Oliver Roth mit «Me Time!» im Südpol

Barbies, Knete, Cheesecake – Kopf leeren und Zeit verschwenden

Freude herrscht, wenn der Korken knallt und die Glitzerbombe gezündet wird.

(Bild: Nelly Rodriguez)

Im Südpol kann man gemeinsam mit Künstlern und den anderen Zuschauern Zeit für sich in Anspruch nehmen. Etwas, das in unserer schnellen und ständig beschäftigten Gesellschaft fast eine Sünde zu sein scheint. Doch «Me Time!» zeigt, wie gut «Zeitverschwenden» eigentlich tut.

Zeit für sich haben. Eine Situation, die man als «Erwachsener» selten mit Nichtstun, mit einfachen Spielen oder Beobachten verbringt. «Ich beginne dann oft, Dinge rumzuräumen, neu zu organisieren – Nuschen», meint der Performance-Künstler Oliver Roth.

Doch diesmal gibt es nichts zu Nuschen. Bei der Performance «Me Time!» im Südpol gibt es vieles, nur nicht wirklich etwas zu tun. Die neuste Produktion von Oliver Roth mit Valentine Paley und Demian Jakob ist eine Performance im theatralen Raum, eine interaktive, zweisprachige Performance.

«Interaktiv», ein Wort, das den Schweizern im Theater die Haare zu Berge stehen lässt. Doch in «Me Time!» gibt es kein Ausstellen des Einzelnen. Man kann sich mehr oder weniger einbringen, man kann mitmachen oder am Rand sitzen bleiben, reinrufen, mitsingen oder stillhalten und lauschen.

Zur «produktiven Leere» forschen Neuropsychologen. Und das Team um Oliver Roth. Und die haben herausgefunden, dass in ruhigen Momenten oft mehr passiert als während lauten. Eine Beobachtung, die sich am Donnerstagabend im Südpol bestätigt.

Geschenkte Zeit

In «Me Time!» wird von Beginn an klar gesagt: Diese Zeit ist geschenkt, ihr habt jetzt Zeit für euch. Dies ist unser aller Geburtstag – kein Druck also. Geniessen wir ihn gemeinsam, jeder für sich.

Erstmal macht es sich das Publikum bequem. Schuhe, Jacken und Taschen kommen an die Garderobe, jeder kann sich ein Sitzkissen greifen und sich auf der weissen Insel in der Mitte der Halle ein Plätzchen suchen. Dann wird die Uhr gestartet. Exakt zwei Stunden Zeit wird dem Publikum nun «geschenkt». Der Countdown läuft, die projizierten Zahlen verschwinden auf der Leinwand, sie werden erst in der letzten Minute wieder erscheinen.

Zum Stück

Oliver Roth ist ein Schweizer Künstler, der im Feld Performing Arts, Zeitgenössichem Theater und Tanz arbeitet. Seit 2016 erarbeitet er abendfüllende Performances, die soziale Konventionen in den Theaterraum stellen und den Fokus auf Alltägliches legen.

Die Arbeit «Me Time!» gehörte zu den Finalisten des Premio Nachwuchspreis für Theater und Tanz 2017. Die Performance wurde von Roth gemeinsam mit Thomas Giger, Cosima Grand, Silja Gruner, Jessica Huber, Demian Jakob, Valentine Paley, Martin Schick und Miriam Coretta Schulte erarbeitet.

Die zweite Vorstellung im Südpol findet am Freitagabend um 20 Uhr statt.

Anschliessend werden «Geschenke» verteilt: Barbies, farbige Knete, Schleim, Geschicklichkeitsspiele, Malbücher, eine Arielle, eine Regenbogenspirale, Wasserpistolen, hüpfende Plastikfrösche, Champagner und eine Glitzerbombe.

Die Ersten, die beschenkt werden, stehen unter der Beobachtung der rund 30 «Zuschauer», die gemeinsam auf der weissen Insel sitzen. Doch nach wenigen Geschenken ist der Fokus einzelner Gruppen auf Spielsachen in ihrer Umgebung übergegangen. Fast hätten wir vor lauter Begeisterung für den «Kinetic Sand» des Nachbarn «unser» Geschenk verpasst. Die Spielsachen wandern bald durch die verschiedenen Hände, es wird gespielt, der Champagner wird herumgereicht, es wird beobachtet.

Ich bin, also bin ich

Ein grosser Teil der zwei Stunden ist «freie Zeit». Es läuft Musik, es wird gespielt, getanzt, beobachtet. Immer mal wieder wird die zweistündige «Me Time!» durch kleine Darbietungen oder Dankesreden unterbrochen. Ganz wie bei einer Geburtstagsparty.

Da hält Valentine Paley eine leicht emotional überforderte Dankesrede an die ganze Gruppe, die sie nah zusammenbringt. Schlussendlich blickt sie jedem Einzelnen in die Augen und sagt «I love you». Wir singen gemeinsam «Happy Death-Day to you» und es ist irgendwie nett. Irgendwie nicht wie eine Performance, sondern eher wie eine Party einer herzlichen, wunderlichen Person, an die man zufällig über einen Bekannten geraten ist.

Oliver Roth gibt in Texten auch ein paar eher deprimierende Gedanken zum Älterwerden, zum Verfall und zur Undankbarkeit der Kinder von sich. Doch schnell sind sie zu übertrieben pessimistisch, als dass sie die Stimmung tatsächlich ins Negative kippen könnten.

Oliver Roth mit Me Time! im Südpol.

Oliver Roth mit Me Time! im Südpol.

(Bild: Nelly Rodriguez)

In einer kurzen Zaubershow mit Hipster-Ballett-Einlagen beeindrucken die Akteure in gekonnter Clown-Manier. Demian Jakob setzt sich mit einem silbernen Radio in die Mitte und spielt mit Tonaufnahmen. Eine kindliche Stimme fragt auf Englisch und leider manchmal etwas schwer verständlich eine ganze Reihe von Fragen über die Welt, das Leben und den Tod. Darüber, wer uns wichtig ist und was Spass macht. Wann wir uns das erste Mal alt gefühlt haben und ob die Zeit jetzt schneller vergeht. Die Fragen kommen ab Bändchen, die Antworten, ermutigt durch die seltsamschönen Antworten der drei «Party-Organisatoren», kommen erst zaghaft, dann lauter aus verschiedenen Ecken der Insel.

Dann wird selbstverständlich noch Karaoke gesungen. «Viva forever» im Chor. Und zum Schluss gibt’s Kuchen – grünen Cheesecake, um genau zu sein – und Shots aus der Wasserpistole. Dann wird noch etwas getanzt und langsam kommt das Gefühl auf, die Party habe ihren Höhepunkt erreicht und man möchte doch eigentlich s Mami anrufen und fragen, ob sie einen nicht jetzt bald mal abholen würde. Es sei toll gewesen, aber jetzt sei auch gut. Man soll ja gehen, wenn’s am schönsten ist.

Zwei Stunden Kopfleerung

Übersetzt in die erwachsene Welt heisst das: Das Ende von «Me Time!» hatte seine Längen, es hätte bereits beim Kuchen Schluss sein dürfen. Es lohnt sich trotzdem sehr, sich auf die Fragen einzulassen, auf das Beobachten und Spielen, das Tagträumen, das Interagieren und einfach auf das «Sein». «Chillen bringt’s», das habe Oliver Roth während seiner Arbeit an der Performance zu akzeptieren versucht und man sollte es ihm definitiv nachmachen.

Denn nach den zwei Stunden fühlt sich der Kopf angenehm leer an. All die To-Dos und Sorgen, um die die Gedanken tagsüber unaufhörlich kreisen, scheinen für einen Moment nicht so wichtig zu sein. Es gibt wichtigere Fragen. Zum Beispiel, wen man wirklich dabei haben möchte, wenn man etwas zu feiern hat. Oder auch nichts zu feiern hat.

Kein Druck.

Die Party hat ihre Spuren hinterlassen.

Die Party hat ihre Spuren hinterlassen.

(Bild: Nelly Rodriguez)

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