Authentisch und leidenschaftlich: Ein perfekt gepuderter Barockabend
Am Sonntagabend waren die Berliner Barock Solisten im ausverkauften Theater Casino Zug zu Gast. Das Ensemble aus talentierten Instrumentalisten unter der Leitung von Reinhard Goebel spielte in verschiedenen Formationen Werke von Telemann und Bach und schickte die Zuschauer voller Glücksgefühle in die neue Woche.
Das Theater Casino Zug erwartete seine Gäste im edlen Konzertsaal mit Balkon, Stuckaturdecke und, wie passend, einer Schar in Stein gemeisselter Putten oberhalb der Bühne. In dieser Weise passte der Ort wunderbar zum Thema des Abends, dem Aufleben barocker Musik. Die Berliner Barock Solisten haben sich nämlich formiert, um die Musik des 17. und 18. Jahrhunderts so aufzuführen, wie es sich der Komponist gewünscht hätte: authentisch und leidenschaftlich.
Einen besonderen Schwerpunkt legt das Ensemble dabei auf die Wiederentdeckung alter, vergessener Meister wie etwa Georg Philip Telemann. Dieser Fokus kommt nicht von ungefähr, steht den Solisten doch Reinhard Goebel vor: Der Dirigent ist eine Koryphäe der alten Musik und Wegbereiter der historischen Musikinterpretation, der 2017 für sein diesbezügliches Engagement mit dem Bach-Preis geehrt wurde.
Von Komponisten, die Solisten herausfordern
Telemann stand auch am Sonntagabend im Zentrum des Konzerts, Seite an Seite mit dem heutzutage berühmteren Johann Sebastian Bach, den Ersterer zu Lebzeiten an Popularität aber noch weit überflügelte. Gemeinsam haben die beiden ihr Genie und das Gewicht in der Barockmusik, das bis in die Gegenwart andauert.
Den Auftakt bildet Telemanns Konzert für zwei Hörner in Es-Dur. Zum regulären Korps der Solisten gesellen sich je nach aufgeführtem Werk Gastspieler, so auch in diesem Fall: Mit Radek Baborak konnten die Berliner einen Spitzenhornisten gewinnen, der gemeinsam mit Ensemblemitglied Andrej Zust Telemanns von der Jagd inspirierte Komposition gefühlvoll zum Leben erweckte.
Auf den Aufmacher mit Fanfarencharakter folgt Bachs Brandenburgisches Konzert Nr. 4 und mit ihm Solo-Gastgeiger Roberto Gonzalez-Monjas. Der Spanier wagt sich in diesem Concerto an eines der virtuosesten Geigensoli des Barocks heran – und meistert es mit Bravour. Gonzalez-Monjas hat eine gewinnende Bühnenpräsenz, klebt als einer von wenigen nicht ausschliesslich an den Noten und verleiht seinem Spiel grossen Ausdruck.
Sein Ansatz ist seidenglatt, sein Klang rund, voll und sticht aus allen Geigen durch sein flüssiges Spiel hervor, selbst wenn er nicht als Solist auftritt. Bach fordert ihm in Konzert Nr. 4 das Letzte ab, doch je virtuoser die Passagen, desto fulminanter Gonzalez-Monjas’ Spiel.
Klar, präzis und federleicht
Ebenfalls vertreten in diesem Konzert sind zwei Blockflöten, Isabel Lehmann und Gastmusikerin Kerstin Fahr. Ihr an sich zurückhaltendes, weiches Instrument erwacht unter den fliegenden Fingern der beiden Frauen zum tragenden Element in einem Klangbild, das bis ins letzte Detail raffiniert ist. Fahrs Flöte bleibt im Brandenburgischen Konzert Nr. 2 vertreten und tritt in einen überraschend üppigen Dialog mit Soloinstrumenten und Begleitung.
«Der riesige Kristallkronleuchter im Theater Casino Zug passte fast schon kitschig gut zum Konzert.»
Im darauffolgenden Konzert für drei Oboen und drei Violinen gibt sich wiederum Telemann die Ehre und es duellieren sich die drei Holzbläser mit Gaststar Christoph Hartmann und drei Violinen, allen voran Kotowa Machida. Die Japanerin, die seit dem zarten Alter von drei Jahren Geige spielt, steht in dieser besonderen Konstellation im direkten Kontrast mit Gonzalez-Monjas. Ganz anders als er interpretiert sie das barocke Material, jeder Ton trägt ihre Handschrift.
Ihr Spiel ist klar, präzis und federleicht, ihre Liebe zur Musik des 18. Jahrhunderts spürbar. Auf Telemanns Konzert für drei Violinen in F-Dur folgt am Ende noch Bachs Brandenburgisches Konzert Nr. 1, in dessen Sätzen sich Allegro, Adagio, Menuetto und Trio die Klinke in die Hand geben. Wieder steht die Musik im Zeichen der Jagd und Bach inszeniert seine Komposition in einer an Vivaldi erinnernden Bildhaftigkeit. Die Melodien evozieren Szenen der Hatz, des gefallenen Wildes und vielleicht auch des anschliessenden Verzehrs beim Festmahl – es besteht Raum für Fantasie.
Barocke Dekadenz und Lebensfreude
Dieser Raum wird von Anfang an von den Barock Solisten geöffnet. Mit ihrer genuinen Zusammensetzung inklusive Cembalo (meisterlich gespielt von Raphael Alpermann) glaubt man, bei ihrem Konzert um Jahrhunderte in der Zeit zurückzureisen. Barock bedeutet Opulenz, Überfluss und Prunksucht in allen Sparten: Ob Architektur, Lyrik oder Musik dieser Zeit, die Kunst tropft vor Schwere, Dekadenz und Süsse. Barock ist die Zeit der Puderperücken und weiss getünchten Gesichter, ausladenden Gelagen und rauschenden Feiern am Hof. Barock sind marmorne Ballsäle und Bühnen für als Rockstars gefeierte Komponisten und Legenden wie Paganini, den Teufelsgeiger.
All diese Bilder entfalten sich vor dem inneren Auge, wenn die Berliner Barock Solisten die Werke von Telemann und Bach spielen, die mal vor Lebensfreude strotzen, mal dramatisch lamentieren und immer voller Kraft stecken. Man kann es Reinhard Goebel bei diesem Material nicht verdenken, dass er ins Schnaufen kam, allerdings waren die lauten Auftakt-Atemzüge des Dirigenten der einzige kleine Schönheitsfehler im perfekt gepuderten Antlitz der Interpretation der Berliner.
Viel mehr in Erinnerung bleiben werden die Aussagekraft der Musik, die Höchstleistungen der Solisten und die Tatsache, dass der riesige Kristallkronleuchter im Theater Casino Zug fast schon kitschig gut zum Konzert passte.