Drei Zentralschweizer Filmer mit Chancen auf Award

«And the Oscar goes to … Luzern?»

Matteo Gariglio und Remo Scherrer in Los Angeles.

(Bild: zvg)

Grosse Ehren für die Innerschweizer Filmlandschaft: Gleich drei Filme sind auf der Longlist für die Oscars. Neben dem Kassenschlager «Die Göttliche Ordnung» sind auch zwei Luzerner Filmstudenten nominiert – beide mit eindrücklichen Themen. Doch trotz des momentanen Booms der hiesigen Filme: Die Zukunft ist alles andere als sicher. 

Ein Abend voller Glamour und Pomp. Die Crème de la Crème Hollywoods trifft sich in teuren Abendroben und Smokings, man gratuliert und feiert sich gegenseitig. Dann, der spannungsgeladene Moment. Jemand auf der Bühne öffnet ein goldenes Couvert und eine Stimme sagt: «And the Oscar goes to…» –  ein Jeder im Filmbusiness träumt davon, nach diesen Worten seinen Namen zu hören.

Dieses Jahr könnte dieser Traum gleich für drei Zentralschweizer Filmemacher Wirklichkeit werden: «Die Göttliche Ordnung» von den Luzerner Produzenten Lukas Hobi und Reto Schärli (Zodiac Pictures), «En la boca» von Dokumentarfilmer Matteo Gariglio und «Bei Wind und Wetter» von Animationsfilmer Remo Scherrer sind alle auf der Longlist der Academy Awards. Am Dienstagmorgen wurden die beiden Letzteren in der Viscosi-Stadt der Presse vorgeführt.

Academy ist nicht transparent

Für die Filmer ist es ein (vielleicht) einmaliges Erlebnis. Für die Präsentation ihrer Werke wurden sie kürzlich nach Los Angeles eingeladen. Dort verbrachten sie vier Tage und durften in mehreren «Screenings» ihr Schaffen präsentieren. Danach gefragt, sagt Matteo Gariglio während der Film-Vorstellung in Emmenbrücke: «Es war interessant zu sehen, wie bei den Oscars alles strikte geregelt ist.» Für alles gebe es Auflagen, wolle man einen Empfang machen, müsse man nicht nur seinen Film vorführen, sondern gleichzeitig ganz bestimmte Gäste einladen und sei dazu verpflichtet, ein Catering bestimmter Grösse zu organisieren.

Dokumentarfilmer Matteo Gariglio in der Bibliothek der Hochschule für Kunst und Design.

Dokumentarfilmer Matteo Gariglio in der Bibliothek der Hochschule für Kunst und Design.

(Bild: pze)

Gleichzeitig sei die Academy sehr intransparent. Weder wisse man, wer zu den rund 6’000 Mitgliedern der Jury gehört, noch, wie viele Konkurrenten genau auf der Longlist stehen. «Es ist schwierig zu sagen, was unser Besuch in LA wirklich gebracht hat», so Gariglio. Eine gute persönliche Erfahrung sei es auf jeden Fall gewesen.

Gariglios 25-minütige Kurzdokumentation über Ticketfälscher in Buenos Aires hat hohe Wellen geschlagen. Bereits seit einem Jahr ist der Luzerner auf der ganzen Welt unterwegs und stellt seinen Film vor. Die Geschichte aus dem Stadtviertel «La Boca», der Heimat des Fussballvereins Boca Juniors, bewegt die Gemüter (zentralplus berichtete). 

Gariglio sieht sich als Aussenseiter

«Ich habe überhaupt nicht damit gerechnet», sagt Matteo Gariglio weiter über die Nachricht aus Hollywood. Der 31-jährige Luzerner holte sich seine Nomination mit seiner Auszeichnung am Krakau Film Festival. Laut Gariglio seien es «wohl rund 80 Filme», die in seiner Kategorie nominiert seien. 

Sohn Matias, Protagonist des Films «En la boca».

Sohn Matias, Protagonist des Films «En la boca».

(Bild: zvg)

 

Der Gewinner des Innerschweizer Filmpreises (zentralplus berichtete) sieht sich als Aussenseiter für einen der zehn Plätze auf der Shortlist: «Rund drei Viertel der nominierten Filme sind amerikanische Produktionen, hinter denen oft grosse Firmen wie Netflix oder Itunes stehen.» Europäische Filme – und kleine Eigenproduktionen wie «En la Boca» – stünden  weniger im Fokus von Hollywood. «Würde ich es schaffen, dann sicher auch mit einer Portion Glück.»

Neue Ideen für 2018

Ob Gariglio da nicht zu bescheiden ist? Immerhin gewann sein Dokumentarfilm nicht nur mehrere nationale und internationale Preise, er ist auch nominiert für den Europäischen Filmpreis 2017, der im Dezember in Berlin verliehen wird. Das öffnet Türen: Rund 50 europäische Festivals werden seinen Film auf Grund der Nomination spielen.

Der Dokumentarfilmer hat bereits neue Ideen – doch noch hat er keine Zeit. «Momentan verbringe ich die Hälfte meiner Arbeitswoche mit ‹En la boca›. Dazu gehören Einsendungen an Festivals, das Aushandeln von Verträgen mit Verleihfirmen oder die Auswertung des Films.» Ab Anfang des neuen Jahres werde er sich neuen Projekten widmen: Es gebe Orte, an die er gehen will, um zu recherchieren. Gariglio deutet an: «Mein Wunsch wäre es, einen langen Dokumentarfilm zu produzieren.»

Animationsfilm zeigt Co-Abhängigkeit

Am Dienstag nicht anwesend war der Animationsfilmer Remo Scherrer. Dieser weilt gerade in Mexiko, nimmt sich dort eine Auszeit und habe gerade «eine Ortschaft mit sehr interessanten Menschen für ein neues Projekt gefunden», sagt Jochen Ehmann, der für Animation verantwortliche Dozent der Hochschule für Design und Kunst. Scherrers «Bei Wind und Wetter» wurde vor eineinhalb Jahren am Filmfestival in Cannes prämiert – bereits dies war eine hohe Auszeichnung für das Abschlussprojekt des Filmstudenten. Jetzt folgt die Longlist der Oscars – verdient, wie sein Dozent findet.

Remo Scherrer weilt momentan in Mexiko und sucht Inspiration.

Remo Scherrer weilt momentan in Mexiko und sucht Inspiration.

(Bild: zvg)

Scherrers Animationsfilm behandelt eine sogenannte Co-Abhängigkeit. Eine Frau erzählt in nüchterner Stimme von ihren eigenen Erfahrungen als Kind: Ihre Mutter alkoholabhängig, der Vater schaut weg, dem Kind wird zu viel Verantwortung aufgebürdet. Bereits mit acht Jahren schaut das Mädchen zu seiner Mutter statt umgekehrt. Daraus resultiert ein Trauma, das von keinem erkannt wird. Eine bedrückende, nachdenkliche Geschichte, dargestellt in animierten Schwarz-Weiss-Bildern.

Therapeutin und Opfer in einer Person

Die Stimmfarbe der Erzählerin mache einen grossen Teil der Wirkung des Films aus, sagt Ehmann. Diese spezielle Stimme hat ihre eigene Geschichte: Remo Scherrer wollte, als das Thema feststand, Betroffene interviewen. Über die Therapeutin Wally Wagenrad versuchte er, an Personen heranzukommen, die bereit wären, Auskunft über ihre Erfahrungen zu geben. «Nach kurzem Zögern sagte die Therapeutin: ‹Ich kann dir meine eigene Geschichte erzählen.›», führt Ehmann aus.

Der Trailer des Animationsfilms «Bei Wind und Wetter»:

Jetzt also spricht Wagenrad im Film, gleichzeitig als Traumatisierte und Therapeutin. «Sie geht sehr reflektiert an die Sache heran, sie weiss, was da abgeht. Gleichzeitig hat sie diese Erfahrung, die ein Trauma bedeutet», so Ehmann. Sie spreche im Prinzip sehr sachlich, doch die persönliche Erfahrung drücke da und dort durch. Diese Mischung sei spürbar und «führt bei mir auch bei der dreissigsten Vorstellung dazu, dass sich die Nackenhaare aufstellen», so Ehmann.

Für die Oscars – und andere internationale Filmfestivals – musste Scherrer seinen Film übersetzen lassen. Es gebe eine französische und eine englische Version, erklärt Ehmann. «Für die Synchronisationen mussten die Schauspielerinnen lange üben, gleichzeitig so sachlich und emotional zu sprechen wie Wagenrad im Original. Aber der Erfolg des Filmes zeigt, dass das ziemlich gut gelungen ist», so Ehmann. 

Jetzt läuft es gut – aber …?

Filmschaffen ist eine teure Kunst – und dafür braucht es Unterstützung. Doch in der Innerschweiz fehlt eine systematische Filmförderung (zentralplus berichtete). Viele Filmer arbeiten daher für ihre Projekte mit der SRG zusammen. Ohne deren Subventionen könnten qualitativ gute Filme – vor allem im Spielfilmsegment – kaum finanziert werden. Beispielsweise unterstützte SRG «Die Göttliche Ordnung» mit 550’000 Franken.

Doch nun – trotz des internationalen Erfolges der (Inner-)Schweizer Filme – müssen sich Scherrer, Gariglio und Co. Sorgen machen um ihre Hauptfördererin: Die No-Billag-Initiative ist in aller Munde. Was, wenn sie angenommen würde? «Das wäre eine Katastrophe», sagt Filmdozent Jochen Ehmann offen. Zwar dürfen die Studienfilme der HSLU-Studierenden nicht von der SRG unterstützt werden, doch bereits im Masterstudium stellen die Filmschaffenden Kontakt zur SRG her, so Ehmann. Eine künftige Zusammenarbeit werde so möglichst früh aufgegleist (zentralplus berichtete).

«Die Göttliche Ordnung» erhielt insgesamt 550'000 Franken von der SRG.

«Die Göttliche Ordnung» erhielt insgesamt 550’000 Franken von der SRG.

(Bild: Daniel Ammann)

«Es ist ja nicht so, dass die SRG eine Donation gibt, sondern sie investiert in professionelle Produktionen.» Das Schweizer Fernsehen erhalte qualitativ hochstehende Produkte zurück. Durch No Billag würde Geld für die Unterstützung grösstenteils fehlen, Investitionen in hiesige Filmschaffende wären kaum mehr möglich.

Und als wäre es so gewollt: Sowohl die Oscar-Verleihung wie die No-Billag-Abstimmung finden am 4. März statt. Vielleicht liegen an diesem Tag Höhepunkt und Tiefpunkt des Innerschweizer Filmschaffens tragisch nahe beieinander.

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