Grammy-nominierter Musiker in der Coronakrise

Ajay Mathur: «Auf die Auftritte bin ich nicht angewiesen»

Bühnenauftritte sind im Moment undenkbar. Untätig bleibt Ajay Mathur deswegen aber nicht. (Bild: Dunja Dietrich)

In der Luzerner Musikszene ist er eine feste Grösse. Ajay Mathur erklärt im Interview, warum die Coronakrise auch eine Chance ist und warum berufliche Umwege manchmal nötig sind.

Ob im Stadtkeller, der Bar 59, dem Bruch Brothers Pub – der Zentralschweizer Musiker Ajay Mathur hat schon auf vielen Luzerner Bühnen gespielt. In der hiesigen Szene kennt er sich bestens aus und arbeitet oft mit anderen Luzerner Musikern zusammen. So zählen der Schlagzeuger Fausto Medici und der Gitarrist Christian Winiker zu seinem Stammpersonal.

Musik war schon seit Teenagerjahren ein zentrales Element im Leben Mathurs. Der gebürtige Inder kam im Alter von zwanzig Jahren in die Schweiz und lebt heute in Stans. Mit der Band Mainstreet feierte er besonders in den 80er-Jahren Erfolge, auch international. Seit 2011 ist er als Singer-Songwriter unterwegs – ein Weg, der ihm 2016 eine Grammy-Nominierung eingebracht hat.

Heuer wäre er auf einer Deutschlandtournee – wenn die Corona-Pandemie nicht gewesen wäre.

zentralplus: War der Lockdown eine Überraschung für Sie?

Ajay Mathur: Ja – weil er nicht schon früher kam. Um uns herum sind Menschen wie die Fliegen gestorben und die Schweiz hat kaum reagiert. Als der Lockdown dann kam, hat mir das eine gewisse Sicherheit gegeben. Was danach kam, war dann allerdings weniger toll.

zentralplus: Inwiefern?

Mathur: Ich hätte in diesem Jahr viele Auftritte in Deutschland gehabt. Die Absagen trafen Schlag auf Schlag ein. Danach musste ich auch alle Studiotermine absagen. Das hat mich traurig gemacht, ich fühlte mich etwas hilflos. Ich konnte nicht umsetzen, was ich mir für dieses Jahr vorgenommen hatte. Das war eine völlig neue Situation, denn plötzlich hatte ich viel Zeit zur Hand.

«Corona hat mich gelehrt, loszulassen und die Kontrolle abzugeben.»

zentralplus: Wie haben Sie diese Zeit genutzt?

Mathur: Ich habe mir ein paar Wochen Auszeit genommen und mir überlegt, wie ich diese Situation nutzen kann. Was kann ich tun, was bleibt mir übrig? Diese Überlegung habe ich zum Glück relativ früh gemacht.

zentralplus: Mit welchem Ergebnis?

Mathur: Ich hatte schon vor dem Lockdown viele Songs für mein fünftes Studioalbum aufgenommen. Daran habe ich gearbeitet – auch zusammen mit Musikern aus aller Welt. Die Technik macht's möglich. Das gab einen tollen Austausch. Es ging ja allen gleich, alle hatten plötzlich Zeit. Sie haben ihre Parts bei sich zuhause aufgenommen und mir geschickt. Das ist zwar nicht dasselbe wie Live-Sessions, aber trotzdem ein toller, kreativer Prozess. Die Notlage hat uns diese Freiheit gegeben.

Wenn ich zurückschaue, was ich in diesem Jahr alles gemacht habe, erstaunt mich das selbst. Nebst dem neuen Studioalbum habe ich ein Cover-Album in Arbeit, wo andere Künstler meine Songs interpretieren. Früher hätte ich mir nicht vorstellen können, anderen Musikern meine Lieder zu überlassen. Aber Corona hat mich gelehrt, loszulassen und die Kontrolle abzugeben. Das hat mir persönlich viel gebracht.

zentralplus: Das klingt alles sehr positiv.

Mathur: Ja, mir ist nie langweilig geworden. Dank Corona hatte ich viel Zeit für verschiedenste Projekte. Ich bin positiv durch die Krise gegangen. Und ich freu mich auf die Impfung und die Zeit nach dem Virus, denn dann wird man die Kreativität dieser vergangenen Monate hören können.

zentralplus: Gab es für Sie ein Highlight in diesem Jahr?

Mathur: Ich habe mit dem Blues-Musiker Paul J. Miles einen Song aufgenommen. Miles stammt aus Detroit, lebt in Luzern und ist hier aktiv als Musiker tätig. Wir haben uns spontan zusammengetan und den Song «Let's Come Together» aufgenommen. Da floss viel positive Energie – das spüren die Leute, die den Song hören.

zentralplus: Wie schätzen Sie die Kulturbranche generell ein?

Mathur: Es ist eine super Zeit, um kreativ zu werden. In den sozialen Medien sehe ich überall den Slogan «Ohne Kunst & Kultur wirds still» – und dem pflichte ich bei. Darum müssen die Künstler jetzt auch besonders laut sein. Sie sollen aktiv und kreativ werden und im nächsten Jahr – wenn der Spuk dann hoffentlich vorbei ist – die Früchte dieser Arbeit veröffentlichen. Davon profitiert schlussendlich die ganze Branche. Ich finde übrigens auch, dass der Bund das mit den Hilfsgeldern ganz gut und unbürokratisch gelöst hat.

zentralplus: Gerade jüngere, wenig etablierte Künstler sehen ihre Existenz bedroht. Was raten Sie ihnen?

Mathur: Es ist nicht falsch, beruflich umzusatteln – für eine gewisse Zeit zumindest. Viele junge Künstler vergessen, dass man auch Geld verdienen muss. Es ist keine Schande, etwas anderes zu machen, um sein Leben zu finanzieren. Macht etwas, das die Rechnungen bezahlt, und etwas, was euch glücklich macht.

Ich hätte diesen Druck nie haben wollen, von meiner Musik leben, auf Knopfdruck kreativ sein zu müssen.

zentralplus: Haben Sie selbst nach diesem Credo gelebt?

Mathur: Ja. Ich war nie nur Musiker. Ich habe auch Jobs ausgeübt, die nichts mit meiner Leidenschaft zu tun hatten – aber es hat mir Essen auf den Tisch gebracht. Kunst muss nicht nur dein Leben zahlen können. Es muss deine Seele beflügeln. Ich hätte diesen Druck auch nie haben wollen, von meiner Musik leben zu müssen, auf Knopfdruck kreativ sein zu müssen. Wenn Kunst zum Zwang wird, entspricht das nicht meinem Naturell.

zentralplus: Können Sie denn von Ihrer Musik leben?

Mathur: Ja. Heute kann ich von der Musik leben. Ich bin mir bewusst, dass ich finanziell in einer glücklicheren Lage bin als andere. Weil ich seit Jahrzehnten aktiv bin und mir viel erarbeitet habe, habe ich mittlerweile dank den Tantiemen ein regelmässiges Einkommen. Auf die Auftritte bin ich – zumindest finanziell – nicht angewiesen.

zentralplus: Viele Häuser, in denen Sie gespielt haben, stehen in finanzieller Schieflage. Was löst das in Ihnen aus?

Mathur: Das stimmt mich natürlich traurig. Es ist hart, ohne Eigenverschulden in eine solche Situation zu geraten. Es werden nicht alle Institutionen überleben. Genauso wie auch nicht alle Künstler als solche weitermachen können. Das ist schade – aber auch normal. Schliessungen hat es auch schon früher ohne Corona gegeben. Zu einem Teil ist das auch Berufsrisiko. Ich bin aber überzeugt, dass viele Lokale überleben werden.

Wie Ajay Mathur das Coronajahr genutzt hat und was er jungen Künstlern rät, siehst du im Video:

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