Luzerner Polizei-Gewerkschaft schlägt Alarm

«Kriminelle kennen längst die Lücken des Systems»

Fünf Polizisten bei einer Übung in Sicherheitsausrüstung.

(Bild: Luzerner Polizei)

Luzern spart bei der Polizei. Nun schlägt der Verband der Luzerner Polizei Alarm. Präsident Federico Domenghini malt ein düsteres Bild bezüglich Sicherheit im Kanton. Kriminelle würden Lunte riechen, sagt er. Und er fällt ein vernichtendes Urteil über die Luzerner Politiker.

Die Luzerner Regierung plant, bei der Polizei zu sparen. Die uniformierte Präsenz soll von 90’000 auf 75’000 Stunden gesenkt werden. Zudem werden Polizeiposten am Wochenende geschlossen. Sparpotenzial: 1,5 Millionen Franken pro Jahr (zentralplus berichtete). Fürs Jahr 2018 trifft es die Polizei noch härter. Sechs Stellen werden abgebaut statt wie geplant fünf geschaffen. Und sollte das Parlament keine Schulden machen wollen, werden gar 19 Stellen abgebaut. Nun schlägt der Verband Luzerner Polizei in einem Schreiben Alarm. zentralplus fragte Präsident Federico Domenghini, wie es um die Sicherheit im Kanton steht.

zentralplus: Federico Domenghini, ist Luzern noch sicher?

Federico Domenghini: Ja, die Grundbedürfnisse sind abgedeckt. Ich muss gleich etwas voranschieben: Polizist ist kein normaler Beruf, das ist eine Leidenschaft. Unsere Leute verrichten ihre Aufgabe tadellos – trotz schwierigem Umfeld. Unsere grösste Sorge ist, dass wir auf Verlangen der Politik unsere Arbeit nicht mehr sauber ausführen dürfen. Wenn ein Polizist nicht mehr mit offenen Augen durch den Kanton gehen kann, haben wir ein grosses Problem.

zentralplus: Patrouillen werden abgebaut. Heisst das, die Politik gibt de facto den Auftrag, kleinere Delikte wie Kiffen, Littering oder Lärm künftig zu tolerieren?

Domenghini: Nein, es ist viel schlimmer. Die kleinen Delikte mit schnellen Verfahren und einer abschliessenden Busse werden von der Politik ausdrücklich verlangt. Der normale Bürger soll zur Kasse gebeten werden. Das Problem manifestiert sich bei den komplexen Fällen. Dort fehlen die Ressourcen. Wer also professionell und organisiert kriminell ist, wird künftig weniger zu befürchten haben.

zentralplus: Was bedeuten weniger Patrouillen konkret?

Domenghini: Reduziert die uniformierte Polizei ihre Präsenz als präventive Massnahme, nehmen die Delikte unweigerlich zu. Wer Kriminelles vorhat, merkt doch, wie häufig Polizeibeamte zugegen sind.

«Kommt der Krankenwagen später, ist dies alles andere als gut.»

zentralplus: Wie sieht die Situation aus, wenn es um Leib und Leben geht, etwa bei häuslicher Gewalt: Muss man mit vermehrten Körperverletzung oder gar Tötungen rechnen?

Domenghini: Diesen Eindruck will ich nicht erwecken. Das lässt sich auch gar nicht sagen. Aber denken Sie an einen Unfall: Kommt der Krankenwagen später, ist dies alles andere als gut.

zentralplus: Wie ist die Stimmung unter den Polizisten?

Domenghini: Suboptimal. Es besteht der Druck, Überstunden abzubauen. Die Arbeit muss aber trotzdem gemacht werden – wie zu Beginn gesagt, so will es die Arbeitsethik unserer Leute. Dass wir jetzt 2017 sparen müssen, ist halb so schlimm, es ist schon Mitte Juli. Aber wenn man nachhaltig die Polizei schwächt, wird es Konsequenzen haben.

Ende März durfte Regierungsrat Paul Winiker 23 neue Polizisten vereidigen.

Ende März durfte Regierungsrat Paul Winiker 23 neue Polizisten vereidigen.

(Bild: Luzerner Polizei)

zentralplus: Sie sprechen die Überstunden an. Kennen Sie Fälle, wo Polizisten 15 Minuten vor Dienstschluss einfach die Augen verschliessen, damit ja keine weiteren Überstunden anfallen?

Domenghini: Nein, aber ich könnte mir vorstellen, dass es so ist. Lassen Sie mich ein Beispiel machen, um den Teufelskreis aufzuzeigen.

zentralplus: Gerne.

Domenghini: Angenommen, eine Patrouille sieht kurz vor Dienstschluss ein Auto, das auf der Autobahn rechts überholt. Sie interveniert. Dummerweise entdeckt man bei der Kontrolle weiteres – Alkohol, Drogen, Mängel am Fahrzeug und so weiter – und muss den Delinquenten zur Einvernahme auf den Posten mitnehmen. Dort müssen die Beamten möglicherweise auf einen Dolmetscher warten. Bei der Einvernahme dann – die Polizisten machen längst Überzeit – wird aufs Tempo gedrückt. Die Qualität des Protokolls leidet.

zentralplus: Und weiter?

Domenghini: Die Staatsanwaltschaft wird reklamieren. Und die ersten Einvernahmeprotokolle sind matchentscheidende Dokumente. Die ganze Strafverfolgung wird also kompliziert, mehr Zeit beanspruchen und automatisch auch viel teurer. Zudem wird der Verteidiger es einfacher haben, formelle Mängel festzustellen, und die Täter werden weniger hart bestraft.

zentralplus: Sie sagen, es fehlen gemäss einer vor Jahren durchgeführten Studie aktuell 7’000 Stellenprozent bei der Luzerner Polizei. Läuft man am Limit?

Domenghini: Wir leben in einer 24-Stunden-Gesellschaft. Und wenn wir am Samstagabend sechs Patrouillen unterwegs haben, braucht’s sechs Anrufe und alles ist blockiert. Man stelle sich gleichzeitig einen Amoklauf vor.

«Es gibt noch immer Politiker, die nicht wissen, dass die Polizei zur Verwaltung gehört.»

zentralplus: Wie sieht’s mit Sondereinsätzen an Events oder Fussballspielen aus?

Domenghini: Auch da erkennt man beispielhaft, wie sich die Katze in den Schwanz beisst. Es gibt einen polizeilichen Auftrag, den wir von Gesetzes wegen erfüllen müssen. Und es gibt auch eine Erwartungshaltung von Bevölkerung und Politik. Wir müssen für diese Einsätze Personal abstellen.

zentralplus: Stichwort Politik: Regierungsrat Paul Winiker sagt, auch die Polizei müsse ihren Sparbeitrag leisten, die Bevölkerung sei schliesslich nicht bereit, höhere Steuern zu zahlen.

Domenghini: Das ist eine Variante, das Abstimmungsresultat zu deuten: Die Bevölkerung gab der Regierung den Auftrag, Leistungen abzubauen – gewollt oder ungewollt. Eine andere Deutung wäre: Die Bevölkerung hat von der finanziellen Lage einfach genug und wünscht sich einen völlig anderen Umgang mit den Finanzen.

zentralplus: Schwingt im Schreiben auch Kritik an der Polizeispitze mit, die sich zu wenig wehrt?

Domenghini: Nein, die sitzt im selben Boot. Es ist nicht in erster Linie eine Kritik, sondern wir wollen ein realistisches Bild der Situation zeichnen. Und wir wollen vor allem die Politik aufrütteln. Was ich teilweise zu hören bekomme, ist haarsträubend. Es gibt noch immer Politiker, die nicht wissen, dass die Polizei zur Verwaltung gehört.

zentralplus: Das Schreiben provoziert und kommt quasi als Einladung für Einbrecher daher. Ist es wirklich klug, die Einbrecher auf Sicherheitslücken aufmerksam zu machen?

Domenghini: Diese Frage stellt sich nicht. Wir wollen die Realität aufzeigen. Und ganz ehrlich: Kriminelle kennen schon längst die Lücken des Systems. Nur die Politiker verkennen die Realität.

Paul Winiker zeigt gewisses Verständnis

Justiz- und Sicherheitsdirektor Paul Winiker hatte bei der Präsentation der neusten Sparpläne am 28. Juni 2017 im Sinne der Opfersymmetrie gesagt: «Auch die Polizei muss ihren Sparbeitrag leisten.» Zur Kritik des Verbandes der Luzerner Polizei erklärt er, dieser melde sich nun als Interessenvertreter der Mitarbeitenden der Polizei in seinen Worten. «Insofern überraschen mich die gewerkschaftlichen Töne nicht», so Winiker. «Ich habe ein gewisses Verständnis für die Befürchtung des Verbandes, auch wenn ich nicht alle geäusserten Meinungen teile.»

 

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1 Kommentar
  • Profilfoto von Heinz Gadient
    Heinz Gadient, 15.07.2017, 18:46 Uhr

    Dass der Regierungsrat absolut unfähig ist, hat er zur Genüge bewiesen. Das Einzige was die Truppe zur Schadensbegrenzung noch beisteuern könnte – geschlossen zurücktreten und sich entschuldigen!

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