Namensstreit zeigt zwei Gesichter der Stadt

Kriens: Der neue Gemeindehausplatz im Konflikt zwischen Tradition und Moderne

Der neu gestaltete Gemeindehausplatz in Kriens gibt derzeit zu reden. (Bild: bic)

Nach dem Hochhaus in Luzern Süd streitet die Krienser Politik jetzt über den künftigen Namen eines Platzes, der symbolisch für die neue urbane Ära der Stadt steht. Dabei offenbart sich ein Graben zwischen Tradition und Moderne. Der Knatsch passt wohl nirgends besser hin als in das Kriens der frühen 2020er-Jahre.

Der neugestaltete Platz beim ehemaligen Gemeindehaus steht für das neue, urbane Selbstverständnis von Kriens, das seit 2019 auch er Eigenbezeichnung nach eine Stadt ist. Wo man bis vor kurzen noch auf eine asphaltierte Fläche voller Parkplätze schaute, erwarten einen heute Sitzbänke, Sträucher und ein entsiegelter Kiesboden, der zum Boule spielen einlädt.

Gleich gegenüber liegt die moderne Wohnüberbauung «Teiggi». Die Botschaft der Fahnen, die an den Balkongeländern hängen, lässt sich auf dem politischen Spektrum leicht verorten. Die Fassade erinnert in dieser Aufmachung eher an Grossstädte wie Zürich, Winterthur oder Basel als an das vergleichsweise beschauliche Kriens am Fusse des Pilatus.

Doch um den neugestalteten Platz ist in der sowieso bereits von Gräben gezeichneten Krienser Politik – es geht bekanntlich um die rasante Entwicklung der Stadt und die damit verbundenen Kosten und Folgen – ein fast schon erbitterter Streit entbrannt. Die bürgerliche Mehrheit des Einwohnerrates will den Platz nach dem Ur-Krienser Alex Wili benennen. Im Februar wurde ein entsprechendes Postulat überwiesen. An der Idee stören sich aber die Linken und die GLP (zentralplus berichtete).

Alex Wili, der strenge Militärrichter

Und die Grünen holen in der jüngsten Ausgabe des Kriens-Info, dem amtlichen Publikationsorgan der Stadt, erneut zum Rundumschlag aus. Dabei spielen sie direkt auf die Person Alex Wili und verweisen auf dessen, aus Sicht der Partei, unrühmliche Vergangenheit als Militärrichter. In jener Zeit soll er junge Männer, die keinen Militärdienst leisten wollten, besonders hart angepackt haben.

«Alex Wili war viele Jahre Präsident des Divisionsgerichtes 8. Dieses war national bekannt für lange Gefängnisstrafen für junge Menschen, die Gewalt ablehnten», schreiben die Grünen. Mehrere von Wilis Urteilen seinen in zweiter Instanz indes kassiert worden, was ein Hinweis darauf sei, dass dessen «drakonische Urteile» eigentlich falsch gewesen seien. «Pazifisten ins Gefängnis zu werfen war schon damals rückständig», moniert die Partei. Folglich sei der Namensentscheid unverständlich.

Wo das alte und das neue Kriens aufeinander treffen

Wili hat für die Stadt zweifelsfrei viel geleistet. Darin ist man sich von links bis rechts einig. So geht beispielsweise der Erhalt des Schlössli Schauensee auf ihn zurück. Zudem hat der Vollblutliberale mehrere Stiftungen und Genossenschaften gegründet. Aber es zeigen sich auf Nachfrage bei den Parteien eben doch fundamental unterschiedliche Prioritäten, wenn es um die Benennung des neuen Platzes geht.

Es geht dabei um die Frage, ob man an Traditionellem festhalten will, oder ein neues zeitliches Kapitel aufschlagen will. Genauso wie das alte Gemeindehaus und der neue Platz symbolisch für zwei verschiedene Epochen zu stehen scheinen. Für das alte und das neue Kriens, wie sie immer mal wieder bezeichnet werden.

Für Linke und GLP ein alter Zopf

So schreibt der Grüne Erich Tschümperlin: «Grundsätzlich möchten wir keine Personen mehr für Plätze und Strassen. Wir würden aber eine Ausnahme machen, wenn es sich um eine Frau handelt.» Gleich tönt es bei der GLP und der SP. Die Benennung von Strassen und Plätzen sei ein «Relikt aus alten Tagen» und passe nicht zur Auffassung einer Demokratie, wie sie die Schweiz pflegt, hält GLP-Präsident Marco Stocker fest.

Und weiter: «Wir können uns vorstellen, Plätze und Strassen nach Objekten oder geografischen Merkmalen zu benennen. Selbstverständlich sollte da aber ein tieferer Sinn oder ein Nutzen dahinter stehen. Zum Beispiel Ökologie, Fortschritt oder Ähnliches.» Und SP-Präsidentin Pia Engler ergänzt: «Wir sind überzeugt, dass es eine Platzbenennung geben muss, die einfach einzuprägen und zeitlos ist. Niemand soll sich an einem Namen stören, sondern im besten Fall Gefallen daran finden.» Denn es werde immer wieder jemanden geben, der sich gegen die Benennung nach X oder Y auflehnt.

SP und Grüne betonen zudem, dass man verdiente Personen auch anders ehren könne. Sie verweisen auf den Anerkennungs- und Förderpreis des Kantons Luzern, der 2020 an Alex Wili verliehen wurde. Auch Kriens kenne solche Preise.

Ein Bild wie aus einer anderen Zeit: Der Gemeindehausplatz vor der Umgestaltung (Bild: Screenshot Google Streeview).

Braucht es in Zukunft klare Regeln?

Für die drei progressiven Parteien ist deshalb klar, dass es in Kriens in Zukunft Regeln braucht, wenn es um das Taufen von Strassen und Plätzen geht. «Wir würden uns dafür einsetzen, dass eine Regel hiesse: Es werden keine Personen berücksichtigt», so Pia Engler. Deckungsgleich ist die GLP. Und der Grüne Erich Tschümperlin schreibt: «Wie bereits im Einwohnerrat von unserer Fraktion erwähnt, möchten wir im Speziellen keine lebenden Personen berücksichtigen. Er verweist auf ein Dokument des Bundesamtes für Landestopografie (swisstopo), wo dies ebenfalls festgehalten ist.

In dem Papier heisst es: «Wenn Gedenknamen, das heisst, Namen, die an Personen und Ereignisse erinnern, verwendet werden, soll dies mit Vorsicht und Zurückhaltung geschehen. Benennungen nach noch lebenden Personen sind zu vermeiden. Es wird empfohlen, für die Benennungen bis mindestens fünf Jahre nach dem Tod der Person abzuwarten.» Alex Wili ist heute 93 Jahre alt. Da es bei der Benennung ausserdem eine historische Asymmetrie zwischen Männern und Frauen gebe, rät der Bund ausserdem, bei Neubenennungen dies «in besonderer Weise in Betracht zu ziehen.»

Hier lohnt sich nochmals der Blick nach Winterthur, das ein entsprechendes Reglement kennt. Dort ist neben dem Punkt des Todesdatums einer Person auch festgehalten, dass die Biografie einer Person einwandfrei sein muss.

Bürgerliche bleiben standhaft

Von derartigen Regeln hält man bei der SVP gar nichts. «Auf keinen Fall. Da soll Kriens frei bleiben. Es geht doch nicht an, zukünftigen Einwohnern vorzuschreiben, in welcher Art und Weise sie ihre Strassen und Plätze benennen sollen», schreibt Vize-Präsident Räto Camenisch. Und was den neugestalteten Platz betrifft, werde man an der getroffenen Entscheidung festhalten. «Wir sind offen für jede sinnvolle Namensgebung, ohne uns dabei einschränken zu lassen.» Ausserdem findet Camenisch, dass auch in Zukunft solche Diskussionen möglich sein sollten.

Bei der CVP hingegen gibt man sich bedeckt. «Die CVP Fraktion hat ihre Meinung nicht geändert und unterstützt das Anliegen weiterhin», schreibt Präsident Kurt Gisler. Und FDP-Fraktionschef Beat Tanner ergänzt: «Das Postulat wurde ausführlich an einer der letzten Einwohnerratssitzungen diskutiert und von der Mehrheit des Parlaments überwiesen. Nun liegt der Ball beim Stadtrat.»

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7 Kommentare
  • Profilfoto von Ercolani Enrico FDP
    Ercolani Enrico FDP, 19.03.2021, 13:55 Uhr

    Sehr geehrter Herr Claudio Birnstiel
    Wie kommen Sie zur Erkenntnis, dass die drei Parteien Grüne, SP und GLP progressiv sein sollen?
    Verhinderungsversuch der Sportarena, Verhinderung des grossartigen Bauvorhabens Weinhalde, Verbote hüben und drüben, immer mehr Staat statt mehr Freiheiten. Nennt man das progressiv? Ich vertrete ich die Meinung, dass solches Verhalten nie zum Ziel führen kann! Umweltgerechtes- und soziales Verhalten, Anstand und Wertschätzung der Mitmenschen braucht unter anderem Anreize (blaue Ökologie) , Ethik und Moral.
    N.B. Ich hoffe, dass der Gemeindehaus Platz den Namen «Alexander Wili» Platz bekommt. Für das was er geleistet hat wäre das mehr als verdient!

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    • Profilfoto von Claudio Birnstiel
      Claudio Birnstiel, 19.03.2021, 15:38 Uhr

      Sehr geehrter Herr Ercolani. Vielen Dank für den engagierten Input: Es ist selbstverständlich so, dass sich in Politik und Gesellschaft genüsslich darüber streiten lässt, was nun progressiv, liberal oder konservativ sein soll. Im vorliegenden Artikel geht es meiner Ansicht nach darum, ob man alte, traditionelle Gepflogenheiten aufrechterhalten soll oder nicht. Die Orientierung an «Autoritäten» sowie ein gewisser «Personenkult» gehören meiner Meinung nach dazu. Diese werden jedoch zunehmend infrage gestellt und es besteht die Möglichkeit, dass eine Mehrheit in Zukunft deshalb zu anderen Schlüssen kommt, wie man damit umgehen will als bisher. Darauf bezieht sich die Bezeichnung «progressiv» im Sinne von «Anpassung an allgemeine (globale) gesellschaftliche Trends.» Darauf zu reagieren und adäquate Lösungen zu finden, ist ja die ureigene Kernaufgabe der Politik. Ob das mit Regeln oder anderweitig geschehen soll, steht natürlich auf einem anderen Blatt, weshalb Ihr Einwand absolut berechtigt ist. Die Diskussionen rund um die Pilatusarena und die Weinhalde etc. betreffen meiner Meinung nach andere gesellschaftspolitische Aspekte (Wachstumskritik, Ökologie oder wirtschaftlicher Fortschritt etc.). Folglich müsste die Debatte über konservativ, liberal und progressiv hier wohl separat geführt werden. Oder anders gesagt: Die Einteilung in diese Kategorien lässt sich den Parteien nicht in jedem Politikbereich gleichermassen überstülpen.

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    • Profilfoto von Erich Tschümperlin
      Erich Tschümperlin, 22.03.2021, 09:32 Uhr

      Lieber Enrico
      Deine engagierte Art zu politisieren schätze ich, auch wenn du es der Hitze des Gefechts öfters nicht ganz genau nimmst. Du behauptest, dass die Grünen die Pilatusarena und die Weinhalde verhindern wollten. Hier handelt es sich um direktdemokratische Abstimmungen. Wir haben ermöglicht, dass die Bevölkerung über die Weinhalde abstimmen konnte. Und die Krienserinnen und Krienser haben sich dagegen entschieden, nicht die Grünen.
      Bei der Pilatusarena haben wir Stimmfreigabe beschlossen. Bei dem knappen Ergebnis hätte ein Nein von uns vielleicht das Ende der Pilatusarena bedeutet.
      Uns als Verhinderer anzuprangern ist zu einfach und stimmt nicht.
      In Kriens wurde in wenigen Jahren enorm viel gebaut, zu viel. Wir schauen uns kommende Bauprojekt kritisch an, auch deshalb wurden wir gewählt. Dass du dies als Baufachmann anders siehst ist mir klar.
      Erich Tschümperlin
      Einwohnerrat
      Co-Präsiden Grüne Kriens

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  • Profilfoto von Tobias Mueller
    Tobias Mueller, 19.03.2021, 13:29 Uhr

    Warum nicht einfach «Gemeindehausplatz»? Selbst in seinen Zeiten als Parkplatz, Lastwagenwaage und Sperrgutumschlag war das der gängige Name. Das alte Gemeindehaus steht ja immer noch an seinem Ort und wird im Volksmund auch noch so genannt. Zu wenig progressiv? Zu wenig urban? Zu wenig hip? Zu pragmatisch?

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  • Profilfoto von Mireille Kurmann
    Mireille Kurmann, 19.03.2021, 08:36 Uhr

    SP, Grüne und Grünliberale sind also «progressive» Parteien. Mehr Vorschriften, mehr Verbote, kurz mehr Staat, also weniger Freiheit, bedeutet progressiv. Schon wieder etwas gelernt. Dank an die Redaktion.

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  • Profilfoto von Peter Bitterli
    Peter Bitterli, 19.03.2021, 08:18 Uhr

    Tiere verfügen stets über eine einwandfreie Biografie, da ihr Moralcodex grundsätzlich von dem menschlichen nicht betroffen ist. Deswegen sind sie auch nicht der Zeit und dem Problem sich wandelnder Beurteilung unterworfen. Tiere sind diesbezüglich zeitlos. Es gibt keine Empörungsrhetorik von Löwenseite über Infantizide. Der Möglichkeiten sind daher viele; diejenigen mit Bezug zu einheimischer Fauna sind natürlich die schönsten: Eselsplatz, Kleekuhallee, Rattengässlein. Rössli-Hü-Stiege.

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  • Profilfoto von Kasimir Pfyffer
    Kasimir Pfyffer, 19.03.2021, 08:17 Uhr

    Warum nicht Lindenplatz? Die Überbauung der GEWAK heisst Lindenpark, das berühmte Restaurant «Linde» war ein Highlight für die Ur-Krienser. Und wenn ich mich nicht täusche, wurden vis-a-vis Teiggi sogar junge Linden gepflanzt. Als «Friedenslinde» dürfte der Baum zudem das alte und das neue Kriens versöhnen.

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