Baarer Unternehmen am Pranger

Konzernverantwortung: Was fehlt dem traurigen Kind auf dem Plakat?

Häufig zu sehen im Abstimmungskampf: Plakat mit Mädchen aus Cerro de Pasco. (Bild: mam)

Ein krankes Kind ist das Aushängeschild der Plakatkampagne zur Konzernverantwortungsinitiative. Um wen handelt es sich? Und stimmen die Vorwürfe gegen den Baarer Rohstoffkonzern Glencore wirklich? Ein Faktencheck.

Glencore ist in Zug sehr präsent. Man begegnet dem Baarer Rohstoffunternehmen nicht nur als Sponsor von lokalen Kulturveranstaltungen – etwa im Theater Casino Zug. Nein, im Rahmen des Abstimmungskampfes um die Konzernverantwortungsinitiative sieht man in der ganzen Schweiz traurige Menschen auf Plakaten, die unter anderem auf die Zuger Firma zielen.

Neben einer Frau aus dem Tschad, Opfer von Syngenta-Pestiziden, ist ein kleines Mädchen aus Peru Hauptbelastungszeugin der Initiative. Sie wohnt in der Bergbaustadt Cerro de Pasco und leidet unter der hohen Schwermetallbelastung. Schuld daran soll Glencore sein.

Identität bleibt geheim

Wer ist dieses Mädchen? «Zum Schutz des Kindes und dessen Familie machen wir keine weiteren Angaben zu Name, Alter oder genauer Adresse des Mädchens», sagt Tom Cassee, Campaigner der Konzernverantwortungsinitiative. Dies diene dem Persönlichkeitsschutz des Mädchens und dessen Familie.

Jedoch wohne sie mit ihren Angehörigen in der Nähe der Mine und sei von der Schwermetallbelastung betroffen. «In der Region um die Glencore-Mine leben rund 2000 Kinder, die chronische Schwermetallvergiftungen mit dramatischen Folgen aufweisen», konkretisiert er. «Sie leiden an Blutarmut, Behinderungen und Lähmungen.»

Seit 2004 finanziell engagiert

«Glencore trägt seit Beginn seiner Beteiligung an der Mine in Cerro de Pasco 2004 eine Mitverantwortung dafür», findet Cassee. Seit der Mehrheitsübernahme 2017 treffe sie die volle und alleinige Verantwortung für die Missstände im Ort, «welche gerade für Kinder besonders gravierend» seien.

Glencore weist die Vorwürfe des Initiativkomitees in Bezug auf Cerro de Pasco zurück: «Wie in unserem Verhaltenskodex und unserer globalen Menschenrechtspolitik festgehalten, verpflichten wir uns, bei allen weltweiten Aktivitäten von Glencore die Menschenrechte einzuhalten und zu wahren», schreibt das Unternehmen in einer Stellungnahme.

Massnahmen ergriffen

«Wir sind uns bewusst, dass frühere Abbaupraktiken während der langen Geschichte des Betriebs von Cerro de Pasco möglicherweise Auswirkungen auf die Umwelt um Cerro de Pasco hatten», schreibt Glencore zur Umweltverschmutzung. Nach dem Erwerb der Mehrheitsbeteiligung habe man «rasch an Massnahmen im Bereich der Umwelt und Gesundheit gearbeitet, die als Teil eines umfassendes Sozial- und Umweltmanagementplans umgesetzt werden».

Ein näherer Blick offenbart eine Situation, die komplexer ist als aufgrund der Stellungnahmen vermutet – aber auch sehr viel krasser.

Die Bergbaustadt Cerro de Pasco aus der Luft. (Bild wikimedia common license, unbekannter Autor)

In der Stadtmitte klafft ein Loch

Cerro de Pasco liegt auf 4300 Metern über Meer. Es ist ein wüster Ort, wo es ohne Mineralienvorkommen keine Stadt mit rund 70'000 Einwohner gäbe. Jedoch sind die Erzvorkommen reich und altbekannt. Es gibt seit 1578 Bergbau. Erst wurde vor allem Silber abgebaut. Im 19. Jahrhundert war es dann Kupfer. Im 20. Jahrhundert folgten Zink und Blei.

Als man herausfand, dass vieles davon direkt unter dem Stadtzentrum liegt, ging man 1951 vom Untertagebau zum Tagbau über. Heute klafft ein riesiges Loch in der Mitte von Cerro de Pasco. Die Tagbauaktivitäten in diesem Loch wurden 2012 eingestellt, seitdem bereitet man die Abraumhalden auf, in denen immer noch eine Menge Erz steckt. Vor allem Zink, aber auch Blei und Silber.

Trinkwasser aus dem Tankwagen

Wie eine Fotoreportage der «Neuen Zürcher Zeitung» von 2016 zeigt, ist das Trinkwasser in ganz Cerro de Pasco vergiftet – es muss mit Tankwagen herangekarrt werden. Die Abraumhalden werden mit Netzen abgedeckt, damit es den mit Schwermetall belasteten Staub nicht allzu stark in die Wohnquartiere weht. Aktenkundig ist, dass Menschen in Cerro de Pasco fünf Jahre weniger lang leben als im Rest von Peru und die Kindersterblichkeit erheblich höher liegt.

Vor rund einem Monat berichteten Schweizer Medien, dass dies keineswegs die Schuld von Glencore sei. In der Vergangenheit seien viele Fehler begangen worden. Dass sich die grosse Mine in Cerro de Pasco lange Zeit in der Hand des Staates befunden habe, welcher indirekt die Probleme verursacht habe.

Bleibelastung wurde schlimmer

Das stimmt – aber nur zum Teil. Der Tagebau wurde schon vor der Verstaatlichung unter US-amerikanischer Ägide begonnen. Glencore erwarb 2004 eine Minderheitsbeteiligung, hält seit 2017 55 Prozent der Anteile an Volcan.

Seit der Jahrtausendwende ist die Bleibelastung in Cerro de Pasco deutlich stärker geworden, wie Studien nahelegen. Seit der Übernahme der Aktienmehrheit hat die Glencore-Tochter Volcan aber auch 10 Millionen Dollar in ein Umwelt- und Sozialprogramm vor Ort investiert – zum Beispiel in die Wiederinbetriebnahme einer Reinigungsanlage für Giftwasser. Ein Gesundheitsprogramm soll zudem eine Reduktion der hochgradigen Blutarmut um 50 Prozent und eine Reduzierung der Anämie bei Kindern und schwangeren Frauen um 10 Prozent erreichen.

Vielleicht ist Cerro de Pasco einfach nur ein hoffnungsloser Fall, der ein grosses Reputationsrisiko für ein in der Öffentlichkeit stehendes Schweizer Unternehmen darstellt. Das wird von Glencore dementiert, aber dafür spricht die Ankündigung von vergangenem Jahr, die Volcan-Operation in Cerro de Pasco an das börsenkotierte kanadische Unternehmen Cerro de Pasco Resources (CDPR) zu verkaufen.

Dieser Verkauf bedeutet nicht etwa den Rückzug von Glencore/Volcan aus Cerro de Pasco. Nein, es werden einfach Minen und Fabriken an die Kanadier abgetreten, während die Glencore-Tochter in Zukunft alles Zink und Blei abnehmen wird, Lizenzgebühren kassiert und beim Gold und Silber ein Vorkaufsrecht und vorteilhafte Preise geniesst. Die Tonnage der geförderten Rohstoffe soll erheblich steigen.

Faktencheck

Doch kehren wir von Südamerika in die Schweiz zurück und unterziehen den konkreten Fall einem Faktencheck zur Konzernverantwortungsinitiative.

Wäre Glencore bei der Annahme der Initiative in der Schweiz haftbar für die Schäden an der Umwelt, die in Cerro de Pasco zu Gesundheitsproblemen bei Kindern führen?

Die Antwort lautet Ja.

Würde die Haftung auch kleine oder mittlere Unternehmen (KMU) betreffen?

Im konkreten Fall würde sich die Haftung auf alle Unternehmen erstrecken, die von Glencore kontrolliert werden. Unabhängig davon möchten die Initianten, dass KMU generell von der Haftung ausgenommen werden. Es sei denn, sie seien in riskanten Geschäftsfeldern tätig, wie etwa dem Diamantenhandel.

In Leserbriefen wird vor «immensen Schäden» gewarnt, wenn Glencore den Hauptsitz von Baar nach London verlegt, falls die Konzernverantwortungsinitiative angenommen wird.

Gegenüber der «Zuger Zeitung», dementierte Glencore-Chef Ivan Glasenberg, dass man im Fall einer Annahme der Initiative aus Baar wegziehen wolle. Die offizielle Position des Unternehmens lautet: «Wir befürworten die Position von Bundesrat, Parlament und den Schweizer Wirtschaftsverbänden und unterstützen den indirekten Gegenvorschlag, der international abgestimmt ist und mit neuen Transparenz- und Sorgfaltsprüfungspflichten den Schutz von Mensch und Umwelt wirksam vorantreibt.»

Steuerlich ist Glencore für den Kanton Zug unwichtig. Die Abgaben der Firma mit juristischem Sitz in Grossbritannien bleiben anderswo hängen. Indes hat das Unternehmen Bedeutung als gut zahlender Arbeitgeber von 850 Mitarbeitenden in Baar. Glencore ist auch als Sponsor für den lokalen Sport und die Kultur von Bedeutung. Ausserdem ist das Unternehmen als weltweit grösster Rohstoffkonzern ein Aushängeschild.

In Einzelfällen haben Glencores Operationen ausserdem sehr wohl Auswirkung auf Schweizer Gemeinwesen. Der Börsengang des Unternehmens im Jahr 2011 spülte viel Geld in die Zuger Staatskasse. Verschiedene Zürcher Gemeinden senkten ihre Steuern vorübergehend, weil Glencore-Manager mit Aktienpaketen plötzlich grosse Einnahmen anmeldeten.

Die Initiative als solche betrifft den Standort Zug zweifellos, selbst wenn die Bedeutung des Rohstoffhandels im engeren Sinne in den letzten beiden Dekaden zurückgegangen ist. Zug ist als internationaler Grosshandelsplatz immer noch von Bedeutung – auch die wichtig gewordene Pharmabranche handelt in erster Linie von Zug aus.

Migros und Coop waren für einen griffigen Gegenvorschlag im Parlament. Was ist mit Glencore und andern internationalen Konzernen?

Die Unternehmen haben unterschiedliche Haltungen betreffend die Beweislastumkehr. Geschädigte müssen zwar zeigen, dass ein Schaden vorliegt, dieser widerrechtlich zustande kam, ein Kausalzusammenhang zur Geschäftstätigkeit des Unternehmens besteht und der Schweizer Konzern Kontrolle über das Unternehmen im Ausland hat. Aber das beklagte Unternehmen muss dann beweisen, dass es die nötige Sorgfalt aufgewendet hat, um diesen Schaden zu vermeiden. Migros und Coop halten das für machbar, internationale Konzerne nicht.

Die Konzernverantwortungsinitiative geisselt den vorliegenden abgemilderten Gegenvorschlag als «Verpflichtung, eine Hochglanzbroschüre zu erstellen». Was ist da dran?

Klar, beim Gegenvorschlag fällt die von der Initiative geforderte finanzielle Haftung weg. Aber neben der Verpflichtung zur Berichterstattung schreibt der Gegenvorschlag auch vor, dass Verfahrensweisen implementiert werden müssten, um zu überprüfen, ob Menschenrechte und Umweltnormen eingehalten werden. Sonst drohen Bussen von 50'000 bis 100'000 Franken.

Allerdings brauchts die Sorgfaltsprüfung zwar für Konfliktmineralien und Kinderarbeit. Aber im Fall von Trinkwasserverschmutzung wie in Cerro de Pasco würde sie nicht eingefordert.

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3 Kommentare
  • Profilfoto von Lucommenter
    Lucommenter, 01.11.2020, 14:12 Uhr

    Die Initianten sprechen immer nur von Glencore und Syngenta.Fakt ist aber, dass die Initiative alle Schweizer Unternehmen mit mehr Bürokratie und neuen Risiken (Beweislastumkehr) belasten würde.Eine Gesetzesänderung in der Schweiz wird den Betroffenen auch kaum nützen. Gerade in der aktuell unsicheren Zeit ist es daher unvernünftig, durch eine solche Initiative Arbeitsplätze auf Spiel zu setzen. #gutgemeintschlechtgemacht

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    • Profilfoto von Schaller
      Schaller, 01.11.2020, 20:21 Uhr

      Wenn für die Initiativgegner mehr Bürokratie wichtiger ist wie Menschenleben, zeigt das mir deutlich den Rückgang der geistigen Entwicklung des Menschen.

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    • Profilfoto von Stefan Ernst
      Stefan Ernst, 01.11.2020, 21:03 Uhr

      Die Initiative hat vor allem das Ziel viel Geld in die Kassen der NGO zu schaufeln (die in der Schweiz schon lange Staat im Staate sind und in Bern bestens vernetzt).

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