Wo bleiben die kritischen Stimmen zum Hochhaus Pi?

Zug wach auf – sonst frisst Dich das Verdichtungsmonster!

Dieses Zuger Wohngebäude soll dem geplanten Hochhaus Pi weichen. (Bild: Andreas Busslinger)

Zug schwelgt in Begeisterung für das geplante Hochhaus Pi. Dabei realisieren Interessenvertreter und Parteien nicht: Auf dem V-Zug-Areal bahnt sich ein städtebaulicher Sündenfall an und es wird ein gefährliches Präjudiz geschaffen.

Wenn im Kanton Zug die Rede auf das Thema Hochhaus kommt, reagieren viele Einwohner, wie wenn sie eine Blondine mit grossem Busen sichten: Sie sind fasziniert, kaum mehr im Stande einen vernünftigen Gedanken zu fassen. Wird das Thema Hochhaus zusätzlich mit Aspekten wie Holzbau oder günstigem Wohnraum verknüpft, ist es um die Vernunft vieler Bürger vollends geschehen. Toll! Endlich geht es vorwärts mit der Stadtentwicklung. Wir bauen die Zukunft. Mut statt Kleingeist. Gerne wird dann auch der Begriff «Leuchtturm» bemüht. Klingt irgendwie gut.

Städtebaulich kluge Verdichtung sieht anders aus

Logisch möchte man da kein Spielverderber sein und dem Heer von Begeisterten und insbesondere der Bauherrschaft – im konkreten Fall der Urban Assets Zug AG bzw. der Tech Cluster AG – nicht in die Parade fahren. Wird das Thema beim Nachtessen im Freundeskreis angesprochen, schweigt man ebenfalls und hält sich mit Einwänden vornehm zurück, nicht ohne sich allerdings zu fragen: Woher nur rührt diese Euphorie für die unverhältnismässige Verdichtung? Bin ich im falschen Film? Von vorgestern? Habe ich etwas falsch verstanden?

Keineswegs! Tatsächlich sollen an der Ecke Baarerstrasse / Göblistrasse in einem rund 80 Meter hohen Turm mit hölzernem Tragwerk 180 Wohnungen (126 davon «preiswert») entstehen und zwar an Ort und Stelle, wo sich schon jetzt ein Block mit 48 bezahlbaren Wohnungen befindet; Wohnungen, die bei der Mieterschaft beliebt und deutlich günstiger sind, als es jene im geplanten Bau je sein werden.

Die Visualisierung lässt die Höhe des geplanten Hochhauses erahnen.
Die Visualisierung lässt die Höhe und Breite des geplanten Hochhauses an der Baarerstrasse erahnen. (Bild: Visualisierung: Tech Cluster Zug)

Die Sanierung des Blocks war aber nie ein Thema. Stattdessen wird der Neubau von der Bauherrschaft als «unternehmerisches Bekenntnis zu ökologischer und gesellschaftlicher Nachhaltigkeit» gepriesen. Dass selbst energetisch vorbildlich ausgeführte Neubauten während der ganzen Lebensdauer deutlich mehr graue Energie verbrauchen, als nach modernsten Technologien erfolgte Sanierungsobjekte, geht in der Euphorie leider unter.

Das Stadtmodell veranschaulicht die Dimensionen

Auch städtebaulich muss hinter Pi ein grosses Fragezeichen gesetzt werden. Zwar befindet sich das Haus in einer so genannten Hochhauszone, doch seine Dimensionen sind gigantisch. Der Bau lässt jegliche Massstäblichkeit missen, wie Vergleichsmodelle und Visualisierungen zeigen und vor allem das dreidimensionale Stadtmodell im Massstab 1:500 anschaulich dokumentiert.

Die Bevölkerung könnte das Konstrukt in der Stadtverwaltung besichtigen, doch offenbar glaubt man lieber der Bauherrschaft, die selbstbewusst verkündet: Die Nah- und Fernwirkung von Pi sei «aus dem Kontext heraus entwickelt worden». Pi leiste einen Beitrag für eine «integrative und durchmischte Stadt». Und schliesslich: Pi sei «kein auf Rendite getrimmtes Objekt». Mag sein. Doch falls die Bauherrschaft innerhalb dieses Bebauungsplans tatsächlich nicht das Maximum an Rendite rausholt, könnte dies auch anderswo auf dem rund 80'000 Quadratmeter grossen Technologiecluster kompensiert werden, wo mit dem Segen der Stadt genauso intensiv projektiert wird.

Stossend ist, dass Pi im Planungsverfahren von diversen Ausnahmen und Erleichterungen, insbesondere einer Klausel im Hochhausreglement profitiert hat, welches die Bevölkerung 2017 angenommen hat. Gemäss diesem dürften Hochhäuser an der Baarerstrasse «nur» 60 Meter hoch sein, doch Pi schiesst 80 Meter in die Höhe. Begründung: es wurde ein Wettbewerb durchgeführt und «eine besonders gute städtebauliche Lösung» erarbeitet. Worin die besondere Güte der Lösung liegt? Das kann nur Architekten- bzw. Investorenprosa herbeidichten. Und es braucht nicht viel Fantasie, um sich vorstellen zu können, dass damit ein Präjudiz geschaffen und dieses Beispiel Schule machen wird. Dann gute Nacht, Guthirt!

Rundherum nur Lob und Goodwill

Besonders erschreckend: Die Volksvertreter verspüren keinerlei Lust oder Courage, sich kritisch mit dieser für Zug so verheerenden Entwicklung zu beschäftigen. Die FDP jubiliert mit der (Bau-)Wirtschaft, auf die viel Arbeit (und Geld) wartet und wagt es nicht, auch nur ein kritisches Wort zu äussern. Schliesslich geht es um das Areal der V-Zug, um einen traditionellen und mächtigen Player, mit dem man es sich nicht verscherzen will. Die Linke sieht sich gezwungen, ihr Versprechen vom «preiswerten Wohnraum» einzulösen, nimmt dafür sämtliche Kollateralschäden in Kauf und verliert sich in Details bezüglich Veloabstellplätzen und Fahrradlift.

Die SVP jammert über «Dichtestress» und Zuwanderung, preist das Wohnsilo, das mit 180 Wohnungen abgefüllt werden soll, aber als «vorbildliche, pragmatische und marktorientierte» Lösung. Die Mitte? Spricht von Vorteilen «für den Mittelstand» und hofft, es komme am Ende doch noch gut. So lässt sich erklären, warum der Bebauungsplan, auf dessen Basis «Pi» gebaut werden soll, vom städtischen Parlament im Januar 2024 in erster Lesung ohne nennenswerte Nebengeräusche durchgewunken und acht Monate später in zweiter Lesung ohne eine einzige Gegenstimme zur Umsetzung empfohlen wurde.

Hochwertige Freiflächen und Aussenräume fehlen

Nachvollziehbare Einwände eines Beschwerdeführers und fünf Mitunterzeichnern, das Hochhaus entspreche in keiner Weise dem städtebaulichen Kontext und integriere sich auf Grund seines überrissenen Massstabes nicht in die Umgebung, wurden nach kurzer Diskussion auf Antrag des Stadtrates vom Tisch gefegt. Selbst über das offenkundige Fehlen von ausreichend Frei- und Grünflächen sahen Regierung und Parlament (und zuvor die Bau- und Planungskommission) grosszügig hinweg; und das bei einem Projekt, das sich familienfreundlich nennt und eine «Bereicherung der Umgebung» darstellen soll.

Zwischen Göbli- und Baarerstrasse bleibt beim Hochhaus kein Platz mehr für Freiflächen.
Zwischen Göbli- und Baarerstrasse bleibt beim Hochhaus kein Platz mehr für Freiflächen. (Bild: Zug Map)

So viel Goodwill war nie. Stattdessen tadelte der Stadtpräsident in der Parlamentssitzung die Projektgegner («Ich bin verärgert über die Einwendung») und äusserte die Erwartung, dass man sich dem geplanten Hochhaus nicht weiter in die Quere stellt. Oh ja: Es kann nerven, wenn Bürger von ihren Rechten Gebrauch machen und dabei allenfalls auch ein paar Eigeninteressen verfolgen. Und jetzt kommt es am 9. Februar 2025 auch noch zu dieser unglückseligen Volksabstimmung!

Fremdkörper für das Guthirt-Quartier

Nur weil man es in der Vergangenheit versäumt hat, die politischen Weichen so zu stellen, dass hier auch eine normalverdienende Familie eine bezahlbare, nicht staatlich subventionierte Wohnung findet, muss man jetzt nicht das Kind mit dem Bade ausschütten und ein intaktes, wohlproportioniertes Quartier mit einem überdimensionierten «Wahrzeichen» verschandeln. Vielleicht wäre es auch ein guter Moment, mal seriös darüber nachzudenken, wie stark Stadt und Kanton in Zukunft noch wachsen sollen. 

Um es in aller Deutlichkeit zu sagen: Mit dem Bau des Hochhauses Pi wird die Wohnungsnot in Zug um keinen Deut gelindert. Es gibt – dies besagt eine Studie, die kürzlich die Zuger Kantonalbank publiziert hat – in Zug nicht zu wenig Wohnfläche, aber eine Menge Leute, die – als Folge des Wohlstands – überdurchschnittlich viel Platz beanspruchen. Und ja, die hohe Gesamtattraktivität führt zwangsläufig zu einem Nachfrageüberhang – der solange befriedigt werden kann, bis Zug gänzlich zugepflastert ist. Richtig ist ebenso: mit dem geplanten Abbruch des bestehenden Wohnblocks würde ohne Not funktionierender, günstiger und beliebter Wohnraum eliminiert, würden (einmal mehr!) «einfache» Leute aus der Stadt vertrieben, die gerne hiergeblieben wären. Logisch macht sich da Unmut und Verzweiflung breit.

Nutzloses Vorrecht auf Miete

Kurz nachdem das Parlament grünes Licht für den Bebauungsplan gegeben und die Bauchefin verkündet hat, der Weg sei nun «frei für ein Pionierprojekt», landete in den Briefkästen der Guthirt-Nachbarschaft ein Flugblatt mit einem Foto, das eindrücklich visualisierte: Pi weist rund 60 Prozent mehr Nutzfläche und Volumen auf als der schwarze Parktower beim Bahnhof und hat fast viermal mehr Masse als die Hochhäuser Baarerstrasse 125 (ehemals Niente) oder 88 (Obstverband).

Das Modell zeigt die Dimension des Projektes.
Das Modell zeigt die Dimension des Projektes. (Bild: zvg)

Hier wird also kein «urbaner Akzent» gesetzt, sondern ein massiger Klotz hingestellt, der sämtliche Dimensionen sprengt und alles rundherum in den Schatten stellt. Die Vorstellung, dass dereinst ein V-Zug-Servicetechniker seinen Feierabend in einer dieser «preisgünstigen» Familienwohnung geniesst, ist absurd. Mit einem Lohn von 5000 Franken kann ein Arbeiter die Miete von rund 2700 Franken gar nicht stemmen. Da nützt ein Vorrecht auf Miete, das der Eigentümer in Aussicht stellt, herzlich wenig.

Wo bleibt die lebendige Debatte?

Die Bewohner des alten Blocks, der abgerissen werden soll – und die hinter dem Referendum stehen – sind mit ihrer Sorge um den Verlust ihrer Wohnung, der vertrauten Umgebung und der Verunstaltung des Quartiers nicht alleine. Bei der Unterschriftensammlung stiessen sie auf viel Sympathie. Aus Angst vor negativen Reaktionen oder Anfeindungen getrauen sie aber nicht, namentlich in den Lokalmedien zitiert zu werden. Architekten, Baufachleute und -Verbände, die sich sonst gerne zu aktuellen Bauvorhaben zu Wort melden, hüllen sich in Schweigen. Zug ist klein, man kennt sich, da und dort winkt mal ein Auftrag. Stellt man sich so eine lebendige Debatte vor? Bauprofile, die vor Augen geführt hätten, was die Umsetzung des Bebauungsplans konkret bedeutet hätte, sind vor der Abstimmung keine zu sehen. Die wahren Dimensionen werden erst sichtbar, wenn die Gespanne mit Einreichung des Baugesuchs gesteckt sind. Spätestens dann dürfte es da und dort ein böses Erwachen geben.

Niemand ist gegen Verdichtung, günstige Wohnungen und Holzbau. Es geht um die schiere Grösse von Pi. Legen wir darum einen Marschhalt ein und bauen Zug weiter: mit klarem Verstand, Respekt für das Bestehende, Augenmass bei der Verdichtung (pardon: das heisst neu «Innenentwicklung») und kreativen, anderswo erprobten Konzepten – beispielsweise der Umnutzung geeigneter leerer Bürofläche zu Wohnzwecken. Oder mit einem vernünftigen Bebauungsplan, der mit unserer Kleinstadt kompatibel ist und ausreichend Frei- und Grünflächen beinhaltet. Kurz und gut: mit einem Vorschlag, der das Label «pionierhaft» verdient. Als Spielverderber muss sich niemand fühlen.

Unsere Kolumnistinnen und Kolumnisten vertreten ihre eigene Meinung. Sie deckt sich nicht in jedem Fall mit derjenigen der Redaktion.

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