Kolumne

Wir tackern uns Etiketten an, als ob wir Würste wären

Was wohl Isa jetzt wieder umtreibt? (Bild: Mike Bislin)

Menschen definieren sich immer mehr durch Labels. Man ist nicht mehr nur einfach, sondern man ist working mom, sapiosexuell oder vegan. Es hört gar nicht mehr auf. In der neuesten Kolumne von «Isa, garantiert kompliziert» geht’s um Sinn und Unsinn davon.

Labels sind für Trutenfleisch aus Freilandhaltung (Fairtrade), für die Socken an unseren Füssen (zertifizierte Bio-Baumwolle) und für die LED-Leuchtröhre (Klasse C, 40 Watt). Und immer mehr tackert der Mensch solche Etikette nicht nur an diese Produkte, sondern auch an sich.

So lief ich neulich einer alten Schulkollegin über den Weg. Wer ich denn heute so sei, fragte sie mich. «Ganz die Alte, nur älter», meinte ich. Sie wollte es genauer wissen. Ob ich eher gothic oder hippie sei. Ob ich eher an Mittelaltermärkten oder an Techno-Partys anzutreffen sei, oder eher ein Cover auf der Wendy anstrebe, einem Heft für pferdebegeisterte Teenies. Ob ich eben eher ein ravergirl oder ein horselover sei.

Man ist nicht mehr einfach, man labelt

Man liebt nicht mehr einfach. Sondern man ist demi-sexuell, sapiosexuell oder allosexuell. Man isst nicht mehr einfach, was man gerne isst und lehnt das andere dankend ab. Sondern man ist Veganer, Pescetarierin oder Flexitarier. Man ist nicht mehr einfach eine Person, sondern ein hippie at mind, technodude oder yogaboy.

Man arbeitet nicht mehr einfach, so wie das halt so fast alle vor der Pension machen, sondern man ist leader, entrepreneur oder working mom. Immer beliebter sind natürlich auch Blockchain-Master, NFT-Queens und so. Und man geht auch nicht ins Gym, ohne seine Instagram-Bio mit Begriffen wie fitchick, bodybuilder at heart oder sponsored athlete zu füllen. Sie sind travellers und globetrotters, nature lovers, Aktivistinnen und Feministen, oder einfach nur ein schrecklich bescheidener human being.

Kevin war früher einfach nur Kevin, 33-jährig, aus Luzern. Heute ist Kevin vegan, shibari enthuasiast, investor, hypersensitive und husband. Ah ja, und ein lifelong learner. Dabei ist Kevin doch einfach nur Kevin.

Fluch und Segen

Diese Sache mit den Labels ist tricky. Fluch und Segen zugleich. Natürlich lassen uns viele als etwas Besonderes, Exklusives erscheinen. Es gibt Labels, die klingen mysteriös, andere luxuriös und andere klingen eben ganz gescheit. Labels sind da sinnvoll, wo sie Zugehörigkeit schaffen. Wo es einem das Gefühl nimmt, in irgendeiner Sache ein Alien, anders als die anderen, zu sein – um eben zu sehen, dass man nicht alleine ist. Dass es einen Namen dafür gibt.

Labels sind da klug, wo es anderen hilft, das Gegenüber einzuschätzen. Der Veganerin eben keine Chicken Nuggets aufzutischen. Der demisexuellen Freundin nicht aufdrängen zu wollen, sie müsse einfach mal offener und weniger prüde sein und einfach ihren Spass haben. Doch die Grenzen von Gut und Böse sind bekanntlich schwammig. Und Labels schaden da, wo wir dem Gegenüber mit Vorurteilen begegnen. Weil wir wegen der vielen Etiketten zu wissen meinen, wie das Gegenüber tickt.

Seid doch einfach

Woher kommt dieser Drang, seinen eigenen Charakter in immer mehr einengende Schubladen stecken zu wollen? Seine Individualität eben nicht einfach nur auszuleben, sondern jeden Nanometer davon benennen und definieren zu wollen? Zumal wir ja nicht ein pfannenfertiges Bio-Wienerli sind, dessen Zutaten durch einen Fleischwolf gelassen und dann in Kunstdärme gepresst werden. Die Inhaltsstoffe sind bekannt, sie können nicht mehr raus.

Aber wir Menschen sind ja nun mal keine vorgepressten Fleischwürste. Labels sind beständig, Menschen nicht. Wir verändern uns und das ist auch gut so. Aus dem husband wird der Ex-Mann. Die Globetrotterin wird zum Couch-Potato. Und das fitchick wird zur «Aktivistin für Speckrölleli».

Labels hin oder her – schön wäre es ja, wenn sich gar niemand mit Etiketten zutackern müsste. Weil jeder und jede so ist, wie sie ist. Das ist doch die Gesellschaft, die wir uns alle eigentlich wünschen.

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4 Kommentare
  • Profilfoto von Rebekka
    Rebekka, 03.10.2022, 11:42 Uhr

    Mit Labels werden diskriminierte Gruppen sichtbar gemacht. Diese auf die gleiche Ebene wie «Trutenfleisch aus Freihaltung» zu setzen ist nicht nur undifferenziert, sondern spielt auch in die (rechte) Rhetorik, die bspw. lesbische / schwule / non-binäre Menschen stigmatisiert mit ein.

    Wenn man Migrantin, schwul, lesbisch oder non-binär ist kann man nicht «einfach so sein» wie man ist. Man erlebt oft Gewalt in From von Rassismus und Diskriminierung. Die Labels empowern und sind daher wichtig für viele Menschen.

    Notcool.

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  • Profilfoto von Dietschi Luciano
    Dietschi Luciano, 02.10.2022, 09:44 Uhr

    Interessanter Gedankengang!
    Auf dem langen Weg zum selbstständig denkenden Erwachsenen, braucht ein Heranwachsender Identifikationspunkte. Ich war zuerst Beatles-Fan, dann Hippie, dann Che Guevara-Fan (gegen den US-Imperialismus), Yuppie, danach Hinwendung zu den edlen kulturellen Tätigkeiten etc. bis man so ab Mitte 20 seine eigene Bestimmung und Identität zu entdecken beginnt. Ein spannender Prozess, wer nicht mangels Selbstbewusstsein ins Schlingern kommt. Letzterer wird sich ein Label anhängen und damit eine fremde Identität annehmen.
    Eine Herabsetzung des Wahlalters wäre eine gesellschaftliche Katastrophe. Ein Römer wurde erst mit 30 volljährig. Aus gutem Grund.

    Über Nachahmung werden Themen entdeckt und letzlich strukturelle Einschränkungen verstanden. Ein Werdungsprozess, der idealerweise zu Souveränität führt. Der irre woke linksgrüne Terror wird bald an den Realitäten scheitern und praktischer nachhaltiger Lebensweise Platz machen. Zur Zeit ist die Hölle leer, denn die Teufel sind alle hier (Shakespeare) und arbeiten an der Zerstörung unserer kulturellen Identität und Wirtschaftsgrundlage. Das gibt sich wieder, wenn die selbstverschuldete Energiekrise zu Einschränkungen führt. Wie Kinder, die den US-Imperialismus mitmachen, bis sie ihn am eigenen Leib verspüren. Ein zwingender Lernprozess, wenn die Energie runtergefahren wird. Mütter werden durchdrehen.

    Die Dummheit von Regierungen sollte niemals unterschätzt werden.
    Die aktuelle Unfähigkeit des schweizerischen Kollektivs aus Bevölkerung, politischer Führung und Mainstream-Medien besteht darin, faktenbasiert und emotionslos zu reflektieren, wo sie am April 2020 standen, wie sie dorthin gelangten und wohin die Reise gehen wird. Es bedeutet, dass sie die Tatsache nicht begriffen haben, dass die Corona-Massnahmen mit den Abbau der unveräusserlichen Grundrechte (Verfassung) in eine zentralistische Regierungsform eingeschwenkt ist. Ein Beispiel ist die ungeheuerliche Tatsache der Demontage unserer völkerrechtlich verpflichtenden Neutralität (Wiener Kongress 1815) durch die Regierung ohne öffentlichen Diskurs und parlamentarische Konsultation scheint kaum jemanden zu beunruhigen. Eine derart fundamentale Änderung in unseren Aussenbeziehungen hätte die Anfrage des Souveräns bedurft, denn die Neutralität war eine zentrale Säule unsereres wirtschaftlichen Erfolges und gesellschaftlicher Stabilität. Angesichts der seit langem fortschreitenden Zerrüttung und des wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Niedergangs der EU als Selbstzerstörung, und wir als zahlendes stimmloses Anhängsel, ist es unverantwortlich sich den Sanktionen anzuschliessen. Die dramatischen Folgen der Verteuerung der Energiepreise werden uns noch diesen Winter grosses Kopfzerbrechen machen. Wir haben mit unserer einseitigen Parteinahme wichtige wirtschaftliche Entwicklungsmöglichkeiten mit der übrigen Welt erschwert, wenn nicht gar verbaut.
    Aber, wie bereits gesagt, das Aufwachen aus dem woken wahn wird nicht mehr lange auf sich warten lassen.

    Luciano Dietschi

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  • Profilfoto von Roli Greter
    Roli Greter, 01.10.2022, 16:37 Uhr

    Nur unsichere oder psychisch labile Menschen definieren sich immer mehr durch Labels.

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  • Profilfoto von Paul Huber
    Paul Huber, 01.10.2022, 12:07 Uhr

    Ganz ihrer Meinung, Frau Dahinden.

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