Kolumne

Warum Trash-TV das Geilste ist – dem Feminismus zum Trotz

Reality-Fernsehen ist Sozialstudie – über sich selbst und andere. (Bild: Mike Bislin)

Reality-Shows sind das Niederste schlechthin. Warum man Trash-Romance trotzdem lieben kann – und das als Feministin. Genau darum geht's in der neuesten «Isa, garantiert kompliziert»-Kolumne.

Es fühlt sich fast wie ein Outing an: Ich liebe Trash-TV. Bachelor, Princess Charming, Naked Survival – sie alle habe ich gesehen. Habe mitgelitten, manchmal eine Träne vergossen. War öfters auch mal hässig. Zu sagen, das zwischen mir und Reality-TV sei eine Hassliebe, wäre jedoch falsch. Vielleicht ist es einfach ein wenig kompliziert mit meinem guilty pleasure.

Was es nicht alles so gibt: 14 Frauen, die um die letzte Rose des Bachelors buhlen – des einen Mannes, für den die Frauen sich gegenseitig an den Haare reissen, ihre Plastiknägel brechen und jeglichen Anspruch auf ein eigenständiges Leben aufgeben («Der Bachelor»).

Frauen werden hin und her geschoben zwischen Familien («Frauentausch»). Menschen verloben sich nach nur wenigen Tagen, während denen sie nur durch eine Wand miteinander kommuniziert haben, ohne sich je zu sehen, geschweige denn den Alltag miteinander bestritten zu haben («Liebe macht blind»).

Oder sie nächtigen irgendwo im Amazonas, unter abgeholzten Palmenblätter, wo sie selbst vor Zeckenbissen in Anusnähe nicht verschont bleiben. Sie sind blutt dabei. Niemand weiss wieso («Naked Survival»). Oder sie essen für Geld Kamelpenis («Dschungelcamp»).

Trash: Geisteskrank in deinen Augen

Übelst antifeministisch, einfach nur geisteskrank, ist das alles. Denn es stimmt ja: In den meisten dieser Trash-Formaten ist die Frau nicht nur zurechtgemacht, sie ist gemacht. Das gespritzte Hyaluron in den Lippen gilt quasi als Eintrittskarte fürs Trash-Format. Hübsch aussehen, adrett und willig sein, bisschen Drama schieben. Wenn die Frau den Mund aufmacht, zickt oder lästert sie. Und natürlich fühlt sich keine vollkommen ohne den einen Partner an unserer Seite. Es ist eine Welt, geblendet und gescripted. Menschen werden geframed, in einen Rahmen gezwängt. Sie sind gut oder böse – dafür sorgt die Produktion.

Manchmal falle ich voll darauf rein. Ich kleines Opfer. Immer wieder verfluche ich mich selbst, wenn ich Trash-TV gucke. Nicht weil das, was über den Bildschirm flimmert, so abgrundtief schlimm ist. Viel mehr deswegen, was im eigenen Kopf grade abgeht. Ich realisiere, dass auch ich in gewissen Situationen Kandidatinnen nach Äusserlichkeiten abstemple.

Die dargestellte «Ghetto»-Bitch ist doch eigentlich ganz ne Nette, denke ich dann – und setze mich zwangsläufig mit diesen Klischees auseinander. Und weil sich eben jeder diesen Mist reinziehen kann, der Internetzugang und Handy hat, werden Themen wie zementierte Klischees, Objektifizierung und Sexismus zugänglich. Jeder hat was dazu zu sagen. Das befeuert die Diskussion. Deswegen hat es eben auch etwas Gutes, sich diesen Mist reinzuziehen.

Trash ist Sozialstudie

Zu 99 Prozent besteht diese Trash-Welt nur aus Schönen, Halbintellektuellen, Weissen und Nicht-Behinderten. Meistens jung, heterosexuell, monogam. Alle wollen heiraten, drei bis «eine halbe Fussballmannschaft»-Menge Kinder in ihren Bäuchen austragen. Alle haben sie eine schlimme Vergangenheit. Sie wurden gemobbt, sind depressiv. Voll traumatisiert. Mit Tränen in den Augen und von melancholischer Pianomusik begleitet, erzählen sie von ihrer Quinoa-Intoleranz oder wie der Chihuahua vom Zug überfahren wurde.

Wer Reality-TV guckt, dem präsentieren sich menschliche Abgründe. Klar sollte man sich am Leid anderer nicht ergötzen. Doch Trash ist Sozialstudie. Weil man eben mehr über sich selbst und andere lernt. Ich warte immer noch auf einen Psychotherapeuten, der Lust hätte, mit mir auf der Therapie-Couch eine Folge reinzuziehen.

Vulven und Monogamie

Trash-TV kann auch politisch sein. Besonders Fan bin ich von der homosexuellen Edition von «Bachelorette» – der «Princess Charming». Weil hier eben nicht nur gezeigt wird, dass ein heteronormatives Weltbild völlig konstruiert ist. Klar gibt's auch hier die Fragen von Kandidatinnen – ob die Princess Ring am Finger haben und diese halbe Fussballmannschaft gründen will. Doch es ist in der Regel kein ungeschriebenes Gesetz, dass Monogamie einfach da ist zwischen zwei Menschen. Sie sprechen über alternative Beziehungsformen, Geschlechtskrankheiten und Konsens beim Küssen – und das völlig unaufgeregt (zentralplus berichtete).

Vielleicht, vielleicht holen mich auch die ganzen Emotionen am meisten ab. Es wird geheult, gerotzt und gestritten, geknutscht, gevögelt und geghostet. Eben die ganze Palette. Im Fernsehen dafür bezahlt, sind echte Emotionen im realen Leben eben unbezahlbar. Und manchmal leider ziemlich rar.

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1 Kommentar
  • Profilfoto von Roli Greter
    Roli Greter, 26.11.2022, 17:39 Uhr

    Das ist bestimmt nicht geisteskrank. Andere fliegen mindestens drei mal im Jahr in die Ferien, kleben sich auf Strassen, kennen ihr Geschlecht nicht oder gucken eben trash TV. No drama.

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