Was ein Umzug bewirkt

Tribschen: Mehr als nur ein Quartier – it’s a Lifestyle

Was wohl Isa jetzt wieder umtreibt? (Bild: Mike Bislin)

Umziehen ist verdammt anstrengend – tut aber der Psyche gut. Warum Gesellschafts-Redaktorin Isabelle Dahinden zwar geheult – aber irgendwie neu angefangen hat. Ihre neue Kolumne.

Neulich bin ich umgezogen. Nicht einfach ein paar Häuser weiter. Nein. Ich brach in neue Sphären auf. Von der Neustadt ins Tribschen. Von der 5,5-Zimmer-WG zur «trendig urbanen Single-Wohnung» (das stand so im Inserat, jawohl). Adieu Cervelat-Palast, adieu Dönerbude meines Vertrauens, adieu Alles-zu-Fuss-erledigen-Können, adieu Gleisquietschen. Bonjour Spiesser-Quartier!

Vis-à-vis der Langensandbrücke …

Schon am Tag des Einzugs hab ich realisiert, dass es im Tribschen anders läuft als auf der anderen Seite der Langensandbrücke. Ich hab echt geweint, war nicht bereit für diese Seite des Lebens.

Da sind keine Männer, die aus Barber-Shops rennen und dir die Umzugskartons aus den Händen nehmen. Es gibt kein Small Talk mit den neuen Nachbarinnen im Treppenhaus. Keine Prösidosen, die man im Lift dem Gegenüber in die Hand drückt.

Stattdessen: Grossmehrheitlich schweigende, eher frustrierte Gesichter der neuen Nachbarn, als ich mich ihnen im Treppenhaus als «die neue vom obersten Stock» vorstelle («Ah, Sie zügled? Gohds vellecht au chli liisliger?»).

Und alte Kettenraucherinnen mit ihrem Frust über das Umzugsauto freien Lauf lassen. Das hat gefälligst 400 Meter beim nächsten Parkcenter zu stehen. Nicht auf dem sonst immer leeren Besucherparkplatz! Nicht mal für zehn Minuten («De ghört imfall i de Nummere 12, ned im 15!»).

«Nicht mal ein halbes Jahr bleib ich im Tribschen», sagte ich am Tag des Einzugs

«Kein halbes Jahr geb ich mir hier», fluchte ich (leise), als ich nach Mitternacht die Türen meines Balkons aufriss. Mich bei den Nachbarn mit Vulva-Guetzlis vorzustellen? Bereits in meinem Kopf als unerledigt-erledigt abgehakt. Kollegen warnten mich ja. Ich sei wohl nicht so der «Tribsche-Typ». Aber Büsi gäbe es da. Und es sei schon grüner, ja.

Kaum waren die Balkontüren offen, wunderte mich über diese Ruhe. Legte mich auf die Matratze meines noch nicht existierenden Bettes. Zwischen Umzugskartons, Pflanzen und Chaos sah ich den Sternen zu. Durch dieses verflucht schöne Dachfenster.

Wie ein neues Kapitel

«Nie wieder zügeln», sagen alle. Auch ich finde zügeln nicht mal semi-geil. Aber das, was kommt, ist es wert. In eine leere, noch unbelebte Wohnung einzuziehen, mit der dich noch keine Geschichte verbindet, keine Vergangenheit, keine Gedanken.

Die Wohnung kennt mich ja nicht. Es gibt kein uns, das wird noch. Es muss nicht immer ein Umzug in eine neue Stadt sei. Manchmal muss man die alten vier Wände, den einen oder anderen Menschen darin, Schlechtes, was in diesen Wänden geschehen ist, einfach hinter sich lassen. Ausbrechen. Vielleicht nehmen wir das eine oder andere Konservenglas mit, das wir gerne öffnen. Um uns mit Erinnerungen zu füllen, die wir nicht vergessen und nicht verlieren wollen. Und die anderen Konservengläser werfen wir fort.

Mittlerweile hab ich mich echt gut eingelebt. Letztens hatte ich einen Schwatz mit der alten Kettenraucherin. Die ist gar nicht so übel. Regeln sind ihr halt wichtig.

Vor paar Tagen habe ich eine offene Prösi-Flasche ins Spülbecken geschüttet. Abstinenz, juhu! Morgens wecken mich durchs offene Fenster Vögel und der Linienbus, der durch die Kurve fährt und dabei das echt schöne Schnauben von sich gibt. Ich find's meditativ.

Mit der Kobra – und anderen Yoga-Stellungen – bewege ich mich schlängelnd vom Bett zur Küche, um mir fürs Detoxen Wasser mit Apfelessig zu gönnen. Und ja: Manchmal passiert’s, dass ich zu früh im Büro erscheine.

«Hey Isa … was ist mit dir los?», fragte mich ein Kollege letztens. «Tribsche», erwiderte ich nur. «Es ist halt eben nicht nur einfach eine Hood – it’s a Lifestyle.»

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1 Kommentar
  • Profilfoto von Karin
    Karin, 01.05.2022, 08:22 Uhr

    Würde ich vom Spießerquartier Tribschen auf die andere Seite der Langensandbrücke zügeln, würde ich zu 100% die gleichen Erfahrungen machen wie im oben erwähnten Bericht.
    Liegt es nicht an mir, dem Neuzuzüger, dass man offen auf die neue Situation zugeht.
    Verwechselt man hier nicht die Spiesser

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