Reinen Wein einschenken? Fehlanzeige!

Politik ist heute vor allem eine Marketingveranstaltung

Politik ist heute weitgehend Politmarketing – nicht nur bei Wahlen. (Bild: mik)

Was ist eigentlich Politik? Schaut man sich die heutige Politlandschaft an, könnte man meinen, vor allem eines: eine grosse Marketingveranstaltung. Warum das gefährlich ist.

Hand aufs Herz: Sie finden das Abstimmungsbüchlein auch ziemlich langweilig – oder? Der grosse Politologe Max Weber sah das noch anders: «Politik ist das Bohren harter Bretter mit Augenmass und Leidenschaft. Dazu gehört ein bestens informiertes Stimmvolk, das nur die Wägsten und Besten wählt. Dahinter steht das Menschenbild, dass wir uns wirtschaftlich und politisch vernünftig verhalten sollten.»

Es gibt allerdings gute Gründe, dieses Bild infrage zu stellen. Menschen haben meistens andere Sorgen als zu politisieren. «Kantonsratsberichterstattung ist unsexy», sagt «Zuger Zeitung»-Chefredaktorin Rahel Hug auf einem Podium. Wen wundert’s, wenn gut 50 Prozent der Bevölkerung keine seriösen Medien mehr liest. Politisch Interessierte sind heute ebenso eine Minderheit wie die aktiven Kirchgänger.

Wenn es nicht die Fakten sind, was sonst prägt unser politisches Urteil? Christoph Frei von der HSG bringt es auf den Punkt: «Wir tun uns schwer damit, politische Mythen zu durchschauen.» Zwischen der besten Armee der Welt von Ueli Maurer und der Aussage von Armeechef Thomas Süssli, wir könnten uns im Ernstfall nicht eigenständig verteidigen, liegen wenige Jahre. Aber der Wilhelm-Tell-Mythos vom Alpen-Réduit der Chrampfer-Nation Schweiz lebt munter weiter.

Drei Wege in die Politik

Bleiben wir im Kanton Zug und fragen uns, warum jemand in ein höheres Amt gewählt wird. Das Fachwissen jedenfalls ist es nicht, was im Milizsystem sogar gewollt ist. Für Neulinge gibt es drei Königswege in die Politik:

Weg Nummer 1:

Das Glück, im richtigen Moment am richtigen Ort zu sein, was uns Martin Pfister, dessen Wahl mich sehr freut, bestätigen würde. Das gilt auch für seine Nachfolge im Zuger Regierungsrat, wer immer es sein wird. Im Zuger Majorz sind die Karten allerdings bereits gemischt.

Weg Nummer 2:

Für eher Introvertierte, die oft als stille Schaffer gelten, braucht es im Kanton Zug eine starke bürgerliche Partei im Rücken – am besten die Mitte. Seit 1848 ist der Kanton bürgerlich regiert. Trotz wirtschaftlicher Weltläufigkeit neigen Herr und Frau Zug zu bodenständiger Behäbigkeit. Tief im Herzen sind wir «Chriesibuure» und Kleingewerblerinnen – keine Trader und Investmentbanker.

Das Zuger Wählerverhalten ist – wie anderswo auch – in erster Linie geprägt von der Familie, dem Arbeitsplatz und dem sozialen Umfeld. Die Stadtzuger SP gewinnt seit Jahrzehnten jede Wohninitiative und liefert Lösungen zum dringendsten Zuger Politproblem. Ihr Wähleranteil ist in derselben Zeit nie über 20 Prozent gewachsen. Die politische Prägung der Menschen ist unerschütterlich gegenüber Fakten, zumal diese schnell wieder vergessen werden.

Das gilt auch für mich. Als ich 1982 für die Linke in den GGR wollte, wünschten mir aufrechte Zuger ein Ticket «Moskau einfach». Meine späte 68er-Prägung hält bis heute, habe ich doch immer links gewählt. Einzig bei bürgerlichen Brückenbauern habe ich gerne eine Ausnahme gemacht.

Weg Nummer 3:

Extrovertierte haben es leichter, gewählt zu werden. Ihre Geselligkeit erzeugt Volksnähe. «Mir gönd no lang nid hei!» Dafür war ich selber zu wenig trinkfest. Dass ich so lange in der Politik bleiben durfte, hatte wohl einen sehr einfachen Grund: Die Menschen gewöhnen sich an dich. Irgendwann ist man ihnen so vertraut wie die Wetterfrösche und die Tagesschaumoderatorinnen im Fernsehen.

Ist man einmal gewählt, ist der «Bisherigen-Bonus» die beste Lebensversicherung für weitere vier Jahre im Amt. Fürs Sachwissen ist sowieso die Verwaltung zuständig. Mein politischer Stammtisch stimmt dem voll zu, was nicht verwunderlich ist bei so viel ehemaligen Staatsdienern.

Der Zweck heiligt die Mittel

Politik ist heute weitgehend Politmarketing. Es geht um Markenbildung und -pflege wie bei Red Bull und Zweifel-Chips. Dabei müssen es nicht unbedingt Schwarznasenschafe sein. Das wusste schon das Zuger Journalistenurgestein Rupy Enzler, als er Andreas Bossard und mich zu einer Fotosession mit Velo bei minus acht Grad auf eisigen Zuger Strassen aufgeboten hat. «Das bringt euch mehr Stimmen als jede gute Rede», meinte er trocken. Auf diese Art die Emotionen des Stimmvolks zu wecken, ist geradezu ziemlich harmlos.

Weniger harmlos ist es, wenn gewählte Amtsträger aus den Zuger Gemeinden ihr Konterfei auf ein Flugblatt setzen lassen, das offensichtlich Falschinformationen verbreitet. So geschehen im aggressiv geführten Abstimmungskampf zur kantonalen Mehrwert-Initiative vom 18.5.25. Fakt ist: Der Regierungsrat unterstützt den gemässigten Gegenvorschlag des Kantonsrats. Im Flugblatt wird ohne zu erröten das Gegenteil behauptet. (zentralplus berichtete). Da heiligt der Zweck offenbar die Mittel. Was in Amerika beginnt, schwappt früher oder später zu uns herüber – in diesem Fall schneller als erwartet.  

«Die Politik ist für das Paradies zuständig, in dem wir gerne leben würden», analysiert die Wissenschaft psychologisch richtig. Eben gerade nicht, sage ich. Es ist das hässliche Geschäft der Populisten und Rattenfänger, den Menschen nach dem Mund zu reden und diese anzulügen.

Wer in der Politik harte Bretter bohren will, muss den Mut haben, dem Volk reinen Wein einzuschenken. Es gibt keine billigen Eier von glücklichen Hühnern. Die Zuger Boomjahre haben uns Vorteile gebracht, die allerdings nicht gratis waren. Die Rettung des Klimas gibt es erst recht nicht zum Nulltarif.

Das sind die Widersprüche des Lebens, die wir ganz einfach aushalten müssen – gerade in der heutigen Zeit.

Unsere Kolumnistinnen und Kolumnisten vertreten ihre eigene Meinung. Sie deckt sich nicht in jedem Fall mit derjenigen der Redaktion.

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