Rückblick eines Zuger Politikers

«Nimmermüde Diener des Volkes sind mir suspekt»

Dolfi Müller mag in Rente sein, sein Banjo aber nicht. (Symbolbild) (Bild: Adobe Stock)

Der Zuger Ex-Stadtpräsident Dolfi Müller blickt auf seine Laufbahn als Politiker zurück – und zeigt sich dabei selbstkritisch.

Politiker lieben grosse Ankündigungen – auch im kleinen Zug. Deshalb wohl hatte ich bei meinem Abgang aus dem Zuger Stadthaus 2018 der ganzen Stadt verkündet, es gehe jetzt auf Weltreise. Das ist den Zugerinnen und Zugern geblieben, wurde ich doch gefühlte 500-mal auf den grossen Trip angesprochen, den meine Frau und ich dann doch nicht gemacht haben.

«Servir et disparaître» (dienen und verschwinden) war damals meine zweite grosse Ankündigung, was mich nicht davon abhält, diese Kolumne zu schreiben. Offenbar möchte ich nicht so einfach aus dem politischen Leben unserer Stadt verschwinden.

Einen mildernden Umstand habe ich wohl: In die Rente gehen ist wie Kinder kriegen – ich hatte mit 64 keine Ahnung, was auf mich zukommen würde. Das bedingungslose Grundeinkommen immerhin hatte ich auf sicher. Nur vom Geld allein lebt bekanntlich keiner.

Ohne Vorwarnung im Krisenmodus

Als ich nach Neujahr 2019 nicht mehr ins Büro durfte, begann für mich schlagartig ein gänzlich neues Leben: Die gewohnte Tagesstruktur und die Beziehungen am Arbeitsplatz waren weg, die oftmals spannende Arbeit machten andere – und Stapi war ich auch nicht mehr. Da fielen Streicheleinheiten weg, die ich bisher durchaus genossen hatte.

Will heissen: Politiker, die sich als nimmermüde Diener des Volkes anpreisen, sind mir irgendwie suspekt.

Nichts gegen die hohe Arbeitsmoral, die uns Schweizerinnen und Schweizer nach wie vor viel bedeutet. Keine Frage: Arbeit ist dann gut, wenn man sie gerne macht – bisweilen sogar mit Herzblut. Doch plötzlich befindet man sich ohne Vorwarnung im Krisenmodus, wie in meiner Amtszeit zweimal geschehen: Ein Ratskollege, der unangekündigt das Handtuch geworfen und ein anderer, der sich strafbar gemacht hatte. Da brauchte es eiserne Nerven, um am Tag des grossen Knalls eine launige Apéro-Rede zu schwingen und freundlich Hände zu schütteln.

Tatsächlich ging es mir kurz vor 60 schlicht um meinen Arbeitsplatz, der zu unserem Familieneinkommen wesentlich beigetragen hatte. Mit eiserner Pflichterfüllung oder gar fast übermenschlicher Schaffenskraft im Dienste des Volkes hatte das schlicht nichts zu tun.

Ich wollte einfach wiedergewählt werden, wie ich es 35 Jahre zuvor im Volkswirtschaftsstudium an der Uni Zürich gelernt hatte. Politiker maximieren ihren persönlichen Nutzen wie alle anderen Menschen auch. Das ist auch mein einziges Argument gegen junge Menschen, die allzu früh Politprofis werden. Sie passen sich zu stark an, um im Amt bleiben zu können. Kein Zufall – ich selber war in meiner letzten Amtsperiode so mutig wie nie zuvor.

Gen Z inspieriert Babyboomber

Da ist mir die aktuelle «Kei-Luscht-Welle» bei der Nachfolge von Bundesrätin Viola Amherd sympathischer, weil diese Leute sich nicht als Übermenschen inszenieren. Wie etwa die hoch gehandelte Frauenkandidatin Andrea Gmür, die Luzerner Ständerätin, gegenüber zentralplus gesagt hat: «Ich bin dann doch zu egoistisch, um fürs Frausein mein ganzes Leben zu opfern.»

Gestandene Babyboomer handeln wie die vermeintlich nicht mehr belastbare Generation Z. Sie outen sich im Zeitalter des Individualismus als Menschen, denen ihre Familie und das persönliche Wohlbefinden wichtiger sind als ihre Karriere oder gar die göttliche Mission, das Schweizer Volk vor dem (selbst herbeigeredeten) Untergang zu retten.   

Wer pensioniert ist, muss sich diese Fragen nicht mehr stellen. Das ist ein Riesenprivileg. So frei war ich letztmals als Student. Ich spiele in Rentnerbands Gitarre und Banjo, geniesse die grenzenlosen Angebote der Stadtbibliothek, liebe meine Enkelinnen, reise mit meiner Frau immerhin durch Europa, wandere fern und schäme mich nicht mehr über das Motörli am Velo. Ein einziges Vereinspräsidium habe ich noch, weil es mir wirklich am Herzen liegt. So entstehen allmählich neue Beziehungen, Strukturen und Inhalte, die mich das Arbeitsleben gerne vergessen lassen.

Ein Highlight ist die politisch-philosophisch, oft auch banal-lustige Kaffeerunde, die mich an die beiden grimmigen Rentner Statler und Waldorf aus der Muppets-Show erinnert. Wenn die ehemaligen Spitzenbeamten und Kommunikationsexperten, der Alt-Kantonsrat, der medizinisch gebildete Velomech, der zugezogene Bähnler und der «ausgezugerte» Psychologe richtig loslegen, wird niemand geschont und kein Pardon gewährt – mindestens bis uns das weibliche Element in der Runde den Wind aus den Segeln nimmt. Ein Hauch Wiener Kaffeehauskultur im bodenständigen Zug. Hier vereinen sich Politik und Lustprinzip auf fast schon ideale Weise.

Allerdings dürfen wir unsere Augen nicht davor verschliessen, dass die Bewahrung der Demokratie bisweilen sehr anstrengend ist – gerade in der heutigen Zeit.

Unsere Kolumnistinnen und Kolumnisten vertreten ihre eigene Meinung. Sie deckt sich nicht in jedem Fall mit derjenigen der Redaktion.

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