Im Zuger Regierungsrat bleibt die Linke aussen vor
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Vor der Einführung des Majorzes hat der Regierungsrat 2012 den freiwilligen Proporz versprochen. Die Mitte hat sich nicht daran gehalten. Damit schliesst sie die gleich starke Linke völlig aus.
Nachdem die Zugerinnen und Zuger die Einführung des Majorzsystems 1997 und 2001 zweimal abgelehnt hatten, beschwor die Zuger Regierung beim dritten Versuch den freiwilligen Proporz. In ihrem Bericht und Antrag zur Majorzinitiative vom 10. Juli 2012 konterte sie die Kritiken der Proporz-Verteidiger mit dem Versprechen, «dass die Bereitschaft der Parteien zur Konkordanz auch im Majorzverfahren vorhanden ist». Oder in anderen Worten: der sogenannte freiwillige Proporz.
Diesen stellte sie so vor: «Danach verzichten die stärksten Parteien vielfach darauf, möglichst viele oder alle Sitze zu besetzen und beschränken sich bereits bei der Aufstellung der Kandidatinnen und Kandidaten auf diejenige Anzahl Bewerberinnen und Bewerber, die in etwa ihrem Stimmenpotenzial entspricht.» Das Versprechen eines freiwilligen Proporzes spielte eine wichtige Rolle, dass der Majorz im dritten Anlauf durchkam.
Die Warnungen der Proporz-Verteidiger
Die linken und bürgerlichen Verteidiger des Proporzes hatten vor der «Gefahr» gewarnt, dass mit dem Majorzsystem «der Meinungspluralismus in der Bevölkerung in der Exekutive schlechter widergegeben werde, weil – anders als beim Proporzverfahren – die unterlegenen 49 Stimmenprozente völlig wertlos blieben». Weiter monierten sie, dass das «grundsätzlich dem Prinzip der Gleichwertigkeit der Stimmen widerspreche».
Die Warnungen der Proporzverteidiger bestätigten sich. Es sind zwar nicht 49 Prozent, die wertlos bleiben, aber mehr als 30 Prozent. Die Mitte hat mit 19 von 80 Kantonsratsmandaten 3 von 7 Regierungssitzen. Die FDP und die SVP haben mit je 18 Parlamentssitzen je 2 Sitze in der Regierung. Die Linke hat mit 19 Sitzen in der Legislative keinen einzigen Sitz in der Exekutive. Man vergleiche diese Wirklichkeit mit dem Versprechen von 2012, dass sich beispielsweise die Mitte «auf diejenige Anzahl Bewerberinnen und Bewerber» beschränkt, «die in etwa ihrem Stimmenpotenzial entspricht».
Gerhard Pfisters «klarer Blick»
Gerhard Pfister hielt sich im Abstimmungskampf von 2013 zurück, hatte sich aber 2001 als Kantonalpräsident der CVP umso heftiger engagiert und enragiert. In einem Leserbrief in der «Neuen Zuger Zeitung» vom 20. April 2021 schrieb er: «Mit Erstaunen kann man bereits jetzt lesen, dass die Gegner des Majorz behaupten, wer den Majorz wolle, habe keinen Respekt vor Minderheiten! Offenbar ist da manchen über die trüben Ostertage auch der klare Blick auf die realen politischen Verhältnisse verschleiert worden. Man kann nicht im Ernst behaupten, alle Kantone der Schweiz ausser Zug und Tessin hätten keinen Respekt vor Minderheiten, denn diese wählen die Regierungen im Majorz.»
Tatsächlich wird in den meisten Kantonen ein freiwilliger Proporz praktiziert, der verhindert, dass fast ein Drittel der Bevölkerung von der Regierung ausgeschlossen bleibt. Aber im Kanton Zug ist das nicht so. Bereits bei den ersten Majorzwahlen 2014 beanspruchte die CVP mit 27 Prozent der Stimmen 43 Prozent der Regierungssitze. Es blieb damals bei je zwei Sitzen für die drei bürgerlichen Parteien und einem für die Linke, weil Manuela Weichelt als Bisherige antreten konnte. 2018, als die Linke mit Neuen antrat, verlor die CVP zwar Stimmen bei den Parlamentswahlen, holte aber einen dritten Sitz in der Regierung. Die Linke, die mit 20 Kantonsratssitzen das beste Resultat der Zuger Geschichte machte, blieb erstmals seit 95 Jahren von der Regierung ausgeschlossen.
Lex Uster
Wer die Respektlosigkeit vor allem der CVP gegenüber der linken Minderheit verstehen will, muss in die frühen 1990er Jahre zurückgehen. 1990 ist Hanspeter Uster zum Entsetzen vieler Rechtsbürgerlicher in die Regierung gewählt worden, gemeinsam mit dem Bisherigen Urs Birchler (SP). Die gemeinsame Liste von SP und Alternativen hatte erstmals in der Zuger Geschichte zwei linke Sitze geholt.
1992 lancierte die CVP eine Majorzinitiative, die sich offensichtlich gegen die Wiederwahl von Hanspeter Uster richtete. «Lex Uster» wurde damals zum Begriff für den Majorz. Da die Initiative der Partei mit den meisten (Wirtschafts-)Anwälten wegen eines Formfehlers für ungültig erklärt werden musste, fanden die Wahlen 1994 ebenfalls im Proporz statt. Die Linke behielt die beiden Sitze, die ihrem Anteil in der Bevölkerung und im Kantonsrat entsprachen.
Danach wurde der Majorz mit einer Parlamentsmotion angestossen. Die Mehrheit der Regierung und des Kantonsrates unterstützten den Systemwechsel. Aber im Abstimmungskampf blieb die CVP allein. Die Linke und die SVP waren klar, die FDP knapp gegen den Majorz. Bei der Abstimmung vom 8. Juni 1997 kam dieser mit einem Vorsprung von 50 Stimmen durch. Aber wegen Regelverletzungen bei der Stimmabgabe durch Stellvertreter wurde die Abstimmung für ungültig erklärt. Bei der zweiten Abstimmung vom 28. September 1997 obsiegte der Proporz mit einem Vorsprung von 295 Stimmen.
Die «Zwängerei» geht weiter
Die Bürgerlichen hatten damals beteuert, es ginge nicht gegen Hanspeter Uster, weil dieser auch den Majorz schaffen würde. Dabei unterschlugen sie, dass Uster nur deshalb majorzfähig werden konnte, weil er 1990 dank Proporz in die Regierung gewählt worden war. Das Beispiel von Hanspeter Uster zeigt, wie falsch das Argument der Persönlichkeitswahl ist. Der Majorz bevorzugt nicht starke Personen, sondern die Kandidierenden bürgerlicher Parteien.
Zu einer weiteren Volksabstimmung kam es am 10. Juni 2001. Die wichtigste Änderung war, dass der Freisinn, aus deren Reihen der Vorschlag gekommen war, mehrheitlich den Majorz vertrat. Trotzdem setzte sich der durch Linke, SVP und eine starke FDP-Minderheit verteidigte Proporz erneut durch, mit einer Mehrheit von 538 Stimmen. Erst beim dritten Anlauf vom 9. Juni 2013 beschloss das Volk den Majorz, und zwar deutlich. Zusätzlich zur CVP und FDP hatte auch die GLP die Ja-Parole vertreten. Offenbar hatte sie den Versprechen nach einem freiwilligen Proporz Glauben geschenkt.
Umdenken im Volk
Unter ihrem neuen Namen «Mitte» betont die ehemalige CVP besonders laut, eine «Politik des Ausgleichs» zu verfolgen. Martin Pfister legte nach seiner Wahl in den Bundesrat – notabene dank der Linken – grossen Wert auf die «Konkordanz». Dabei betonte er: «Sie ist bedeutsam für die Akzeptanz von Entscheidungen in unserem direktdemokratischen System.» Möglicherweise hat er dabei an die Zuger Tunnelabstimmungen vor einem Jahr gedacht.
Nur hat die Weigerung, den hoch und heilig versprochenen freiwilligen Proporz zu praktizieren, mit «Ausgleich» und «Konkordanz» herzlich wenig zu tun. Der Mitte-Anspruch auf einen dritten Sitz ist angesichts der Kräfteverhältnisse, wo keine Partei mathematisch auf zwei ganze Sitze kommt, nackte Arroganz der Macht. Die beiden anderen bürgerlichen Parteien stehen proportional noch deutlicher unter zwei Vollmandaten.
Allerdings gibt es Grund zur Annahme, dass unter den Bürgerinnen und Bürgern in jüngster Zeit der Sinn für Fairness und damit den freiwilligen Proporz gewachsen ist. Vor allem ist die Missstimmung über die rein bürgerliche Regierung gewachsen. Das zeigen Volksabstimmungen über die Wohnfrage und die Tunnelkredite. Dass mindestens eine linke Person der Zuger Regierung und dem Kanton gut tun würde, liegt gerade angesichts des dramatischen sozialen Verdrängungsprozesses auf der Hand. Mit Andreas Lustenberger stellt sich eine starke Persönlichkeit zur Wahl.
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