Der neue Papst lässt hoffen

Warum ich die Kirche trotz Kritik nicht verlasse

Der Petersdom im Vatikan. Gehen die neuen Zeiten weiter? (Bild: Wikimedia Commons/Hannes Flo)

Warum bleibt man als aufgeklärter Mensch in einer Kirche, die von Skandalen und traditionellem Denken geprägt ist? Die Antwort ist für mich einfacher, als viele denken.

Völlig zu Recht werde ich häufig gefragt, warum ich in einer Kirche bleibe, in der die Gleichberechtigung der Frauen bestenfalls eine Utopie, schlimmstenfalls eine Illusion ist. Deren Klerikalismus und «omertà catholica» so viele Missbrauchsopfer gekostet haben. Die gegenüber Homosexuellen und der ganzen LGBTQ-Community eine ausgrenzende Haltung einnimmt. In der das Oberhaupt von 133 Männern gewählt wird, die selber von Vorgängern eingesetzt worden sind.

Eine Welt, die immer mehr auseinanderfällt

Die Antwort, die ich im Hinblick auf den Ostermarsch in einem Interview für verschiedene Pfarrblätter gab, lautet: «Die katholische Universalkirche ist ein Ort, zu dem Menschen aus der ganzen Welt gehören. Das sehe ich als Chance in einer Welt, die immer mehr auseinanderfällt. Eine andere Organisation ist die Uno, aber die ist in einer noch grösseren Krise als die Kirche.» Auffällig und tröstlich ist, dass die beiden universellen Organisationen vor allem in Fragen des Friedens, des Klimas, der Migration und der sozialen Gerechtigkeit recht gut harmonieren.

In Sorge um diese Engagements und Zusammenarbeit wartete ich gespannt auf den Ausgang des Konklaves. Als ich am 8. Mai zuerst vernahm, es sei ein US-Amerikaner gewählt worden, befürchtete ich das Schlimmste. Ich wusste, dass der in den letzten Jahren erstarkte Rechtskatholizismus für den New Yorker Kardinal und Trump-Schmeichler Timothy Dolan lobbyierte. Und da gab es noch den Kurienkardinal Raymond Burke, der bei «Make America Great Again» mitgemacht und einer Stiftung des Rechtsextremen Steve Bannon vorgestanden hatte. Als ich den Namen Robert Prevost vernahm, war ich vor allem erleichtert.

Ein Sieg des Universalismus über den Trumpismus

Ich wusste, dass Prevost aus fortschrittlicher Sicht der einzige wählbare US-Amerikaner war. Und ich hatte im Januar auch zur Kenntnis genommen, wie er auf den zum Katholizismus konvertierten Vizepräsidenten J. D. Vance reagiert hatte. Auf dessen Tweet, christliche Nächstenliebe gelte für die Familie und die Nachbarn und nicht für die Fremden, konterte Kardinal Prevost aus Rom: «JD Vance liegt falsch. Jesus verlangt von uns nicht, die Liebe zu anderen zu gewichten.»

Damit hatte der gewichtige Präfekt, der selber schwarzafrikanische, französische, spanische und italienische Vorfahren hat, klar Stellung bezogen gegen den Trumpismus. Möglicherweise verdankt Prevost seine Wahl dieser Replik, die seinem Vorgänger und Förderer Franziskus sehr gefallen haben dürfte und die hervorragend zu seiner multikulturellen Herkunft passt.

Aus meiner Erleichterung wurden Freude und Hoffnung, als ich den Namen, den Prevost gewählt hatte, zur Kenntnis nahm: Leo XIV. Das war eine klare Abgrenzung von den ultrareaktionären Pius-Päpsten, die 1846 (Pius IX.) bis 1958 (Pius XII.) vier der sechs «Heiligen Väter» gestellt hatten. Sie verkörpern eine der dunkelsten und verhängnisvollsten Epochen der ganzen Kirchengeschichte. Der durchaus konservative Leo XIII. (1878–1903) fiel aus dem Pianischen Rahmen, vor allem dank seiner Offenheit für die Arbeiterfrage. Den stärksten Ausdruck fand diese in der Sozialenzyklika «Rerum Novarum» («Die neuen Dinge») aus dem Jahre 1891.

Unterbrochene «Freude und Hoffnung»

Die katholische Weltkirche hatte mit dem Zweiten Vatikanum (1962-1965), welches das absolutistische und autistische Erste Vatikanum von 1870 stark korrigierte, eine umfassende Erneuerung beschlossen. Die aus meiner Sicht Wichtigste war die «Pastoralkonstitution» mit dem Titel «Gaudium et Spes» (Freude und Hoffnung) vom Dezember 1965. Deren Schlüsselaussage mutet den Gläubigen zu, «in den Ereignissen, Bedürfnissen und Wünschen, die sie zusammen mit den übrigen Menschen unserer Zeit teilen», zu erkennen, «was darin wahre Zeichen der Gegenwart oder Absicht Gottes sind». Das bedeutete eine Ermächtigung der eigenen Basis und eine Öffnung gegenüber der ganzen Menschheit.

Zum Leidwesen der Kirche und der Welt wurden ihnen 1978 bis 2013 zwei Päpste (Johannes Paul II. und Benedikt XVI.) beschert, die von «Freude und Hoffnung» nicht überzeugt und schon gar nicht beseelt waren. So musste der aus Argentinien stammende Franziskus vor 12 Jahren den Konzilsfaden wieder aufnehmen. Leo XIV. kann ihn nun weiterspinnen.

An die wichtigsten Errungenschaften seines Vorgängers hat er bereits angeknüpft: soziale und ökologische Kapitalismuskritik, humane Migrationspolitik, sofortiger Waffenstillstand in Gaza und in der Ukraine. Diesbezüglich hat der neue Papst die allzu neutralistische Position von Franziskus korrigiert – im Sinne eines gerechten Friedens. Dank Leo XIV. hat Friedenspolitik gegenüber dem auch in unseren Medien grassierenden Aufrüstungswahn wieder an Glaubwürdigkeit und Gewicht gewonnen.

Was die für die traditionsverhaftete Weltkirche besonders schwierige Gender-Frage betrifft, war vom neuen Papst noch nicht viel zu vernehmen. Immerhin will Leo XIV. den synodalen Weg, der den Frauen mehr Rechte gibt, weiterführen. Und von ihm ist kaum zu befürchten, dass er Landeskirchen, die gegenüber sexuellen Minderheiten toleranter sind, autoritär ausbremst.

«Katholikos» bedeutet universalistisch

Der Sieg des Universalismus über den Trumpismus und damit den «christlichen» Suprematismus bestärkt mich in meinem Verbleib in der katholischen Kirche. Schliesslich bedeutet das griechische «Katholikos» universell und universalistisch.

Wie wichtig die sozialen, humanen, klima- und friedenspolitischen Anliegen Leo XIV. für die Schweiz sind, zeigen die hiesigen Auseinandersetzungen um die Sparpolitik, die grassierende Fremden- und Asylfeindlichkeit, das Auftauen des Permafrosts mit seinen katastrophalen Folgen, die Versuche, Rüstungsexporte wieder zu erleichtern oder die Weigerung, 80 Jahre nach Hiroshima und Nagasaki den UNO-Vertrag für ein Atomwaffenverbot zu unterzeichnen. Sie ermuntern die Kirche, bisherigen Engagements wie dem für die universalistische Konzernverantwortungsinitiative treu zu bleiben.

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