Kolumne

Die Macht rasierter Beine

Wie trägt Frau ihr Bein heute? Glatt rasiert oder behaart – wie sie eben will. (Illustration: Mike Bislin) (Bild: Mike Bislin)

Frau urteilt heute selbst über die Behaarung ihrer Achseln und Beine. Und das ist gut so. Doch diese haarigen Beine müssen einem auch nicht gleich zur Schau gestellt werden. Die neueste «Isa, garantiert kompliziert»-Kolumne.

«Verspäte mich», poppt die Nachricht auf meinem Handy auf. «Muss meine Beine noch rasieren. 😤»

Genervt drehe ich mich auf die andere Seite. Sonn ich mir halt noch die Rückenseite. Seit zwei Stunden lieg ich da, im Seebad. Badetuch unter mir, blauer Himmel über mir. Dieser Frauenkram, diese glatte Haut, kommt mal wieder in die Quere. Aber ich versteh's, jaja. Gerade letzthin habe ich meinem Redaktionskollegen mein Leid geklagt, weil sich mein Gspusi vier Tage nicht blicken liess. Ein Blick auf meine behaarten Beine (jedoch unter langen Jeans weise versteckt) hätten's auch verraten.

Wie ich mein Haar gerade trage, verrät viel in meinem Leben, könnte man meinen. Ob's frostig oder heiss draussen ist, mein Outfit Wadenfreiheit zulässt, ob's da einen Mann in meinem Leben gibt oder nicht. Oder ob ich richtig «kalkuliert» habe, was Ärmellänge und Armbewegung anbelangt. Oder ob ich mich da grausam vertan habe, wie Julia Roberts 1999, als sie bei der Premiere von «Notting Hill» im Paillettenkleid über den roten Teppich stolzierte, winkte – und die ganze Welt geschockt auf ihre buschigen Achseln blickte. Alles ein Versehen, ein Statement wollte der Hollywood-Star nämlich gar nicht setzen.

Wenn ich ehrlich bin, war eine Stoppel-Isa jedoch jeweils einfach zu faul.

Von Schmerz und Rasierklingen

Ich war vielleicht 11 oder 12 Jahre alt, als ich mich das erste Mal mit den sich anbahnenden Haaren befasst habe. Freundlicherweise hat mich eine noch nicht pubertierende Schulkollegin auf dem Pausenplatz darauf aufmerksam gemacht, dass da was wachse. Zu Hause hab ich die Enthaarungscrème meiner Mutter im Bad stibitzt.

Das Ergebnis: Die ganze Hütte stank nach der Öko-Paste, meine Beine waren gerötet und brannten. Die Haut hat es halbwegs verätzt, die Haare aber, diese widerstandsfähigen Biester, die blieben.

Es folgten 14 Jahre voller Rasierklingen, Kaltwachs- und Warmwachsstreifen, Sugaring, Enthaarungscrèmes, Epilatoren und anderer Dinge, die meine Körperhaare weghackten, rauszupften oder gleich ganz eliminierten. Hauptsache weg. Schmerzen und Kosten wurden dafür keine gescheut. Und ja, die drei abartig mühsamen und drahtigen Haare, die an meinem Kinn wachsen, werden mit der Pinzette bekämpft.

Wirklich gern tu ich das alles nicht, nein. Doch ich fühl mich rasiert einfach wohler. Und das tu ich für mich, nicht für andere.

Oben alles, unten nichts

Frauen, die Haare zeigen, setzen ein Statement. Sie präsentieren ihre Haare selbstbewusst. Niemand schreibt ihnen was vor, Schönheitsideale sind zum Kotzen, Normen werden bekämpft.

Männer, die Haare zeigen, sind einfach nur Männer. Je haariger die Brust, desto wuchtiger der Bart, desto Holzfäller-mässig, desto männlicher und besser.

Der Beziehungsstatus von Frauen und ihren Haaren: kompliziert. Auf dem Kopf: es gibt kein zu viel. Bei den Augenbrauen: nicht zu buschig, nicht zu dünn. Ab dem unteren Wimpernkranz: am besten kein einziges Härchen mehr.

Frauen mit Haar, die sagen was

Letzthin jedenfalls, da traf ich mich mit einer alten Studienkollegin. Sie ist jetzt unter die Pelzaktivistinnen gegangen. Voller Stolz präsentierte sie mir ihre behaarten Beine. Ob mir das denn nicht aufgefallen sei? Wie hätt' ich das übersehen können: Ich hab noch nie ein solches Frauenbein gesehen, das dem haarigen Bein eines Mannes in nichts nachstand. Hab ich es angesprochen? Nöö. Weil mir die Behaarung anderer schnuppe ist.

Sie betonte, sie habe ihre eigenen Werte hinterfragt. Ob sie sich wohl wüki haarfrei machen würde, weil sie sich so wohler fühlen würde. Oder ob eben nicht doch unbewusst die Meinung anderer mit einfliessen würde, dieser Druck, anderen zu gefallen. Sie versteht ihre Haarpracht als Akt feministischen Aktivismus', ihre behaarten Beine als Waffe gegen das Patriarchat.

Schliesslich inspizierte sie meine Beine. Meine Beine mit inexistenten Haaren. «Machsch das wüki für dich», fragte sie wieder penetrant.

Haare sind mir Wurscht

Ganz im Ernst: Mir ist's vollkommen Wurscht, wer wieso Haare trägt oder eben nicht. Ich find's wichtig, gesellschaftliche Normen zu hinterfragen. Zu hinterfragen, wieso man tut, was man da tut.

Ob Frauen ihre Nippel zeigen dürfen, ihre buschigen Achseln – bei alledem wollen wir Frauen zeigen, dass wir über unseren Körper entscheiden, wie wir ihn kleiden, schmücken, was wir zeigen, was nicht.

Ich feiere Menschen, die sich gängigen Schönheitsidealen widersetzen. Doch Feminismus und Feminität schliessen sich gegenseitig nicht aus. Und ich, ich fühl mich unbehaart eben wohler. Jede eben so, wie sie will.

Letzthin schrieb mein Crush übrigens, als ich eben meine frischrasierten Beine eingecremte. Freunde, ich sag's wie's ist: Es ist die Macht rasierter Beine.

Deine Ideefür das Community-Voting

Die Redaktion sichtet die Ideen regelmässig und erstellt daraus monatliche Votings. Mehr zu unseren Regeln, wenn du dich an unseren Redaktionstisch setzt.

Deine Meinung ist gefragt
Deine E-Mailadresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert. Bitte beachte unsere Netiquette.
Zeichenanzahl: 0 / 1500.


2 Kommentare
  • Profilfoto von Lucy Schnee
    Lucy Schnee, 19.06.2022, 23:32 Uhr

    Ich selbst lege zwar Wert darauf, dass meine eigenen Beine unbehaart sind, finde es jedoch absolut nicht abstoßend, wenn andere Frauen ihre behaarten Beine zeigen. Schließlich ist Körperbehaarung natürlich und die Hauptsache ist, dass man sich selbst gefällt. Das Rasieren bin ich mittlerweile jedoch extrem leid geworden, da meine Beinhaare sehr schnell wieder nachwachsen. Deshalb habe ich mir vorgenommen, eine Laserhaarentfernung an mir vornehmen zu lassen, welche man im Vergleich zum Rasieren deutlich seltener machen lassen müsste.

    👍0Gefällt mir👏0Applaus🤔0Nachdenklich👎0Daumen runter
  • Profilfoto von Russenlover_Beter_lic.phil.
    Russenlover_Beter_lic.phil., 11.06.2022, 16:58 Uhr

    weg mit diesen haaren! iiiiiiiigitt

    👍1Gefällt mir👏0Applaus🤔0Nachdenklich👎0Daumen runter
Apple Store IconGoogle Play Store Icon