Die Angst, selber ein alter, grauer Sack zu werden

Was wohl Isa jetzt wieder umtreibt? (Bild: Mike Bislin)

Falten und Cellulite sind ganz akzeptabel. Innerlich zu altern, das gibt unserer Gesellschafts-Redaktorin Isabelle Dahinden mehr zu denken. Weshalb sie Angst hat, älter zu werden.

Letztens marschierte ich los, um meine leeren Prösiflaschen zu entsorgen. Jaja, ich weiss schon. New-year-new-Isa bleibt auch 2022 eine Utopie. Dry January: gnadenlos gefailt. Vorsorgelösungsabschluss: vertagt. Morgens zwei Stunden vor Redaktionsstart aufstehen, um mit Poweryoga, Jogging und Insta-würdiger Açaí-Bowl in den Tag zu starten: never happened. Aber ich kann mich ja nach dem chinesischen Neujahr richten.

Als ich dann vor den Containern beim Vögeligärtli stand und wie immer rätselte, ob der eine Lieblingswein nun in einer grünen oder braunen Hülle steckt, erspienzelte ich ihn im Hintergrund bereits.

Die «dommi Zwätschge»

Wallendes, lockiges Haar hinter dem Fenster, schob dessen Träger den Vorhang zur Seite. Bestimmt hat er vorhin an seinem Flügel in seinem sonnendurchfluteten Loft irgendeine Klaviersonate von Franz Schubert gespielt. Sein Schwanengesang ist wohl nur so halb vereinbar mit meiner Prösi-Entsorgung. Denn das wage ich doch tatsächlich an einem Sonntag.

«Sie dommi Zwätschge!!» Wild gestikulierend, mit seinen Händen umherfuchtelnd betitelte er mich als «Möchtegern-Grüne», «dumme Pfluttere». Und, nach Luft schnappend, «ob ich denn dammisiech nomol ned läse cha». Eigentlich wollte ich ja zumindest «Grüezi» sagen, lauschte aber erst seiner Hasstirade und bewunderte sein Haar, lockig und doch so gepflegt. Bis er dann sein Fenster wieder zupfefferte.

Soll ich jetzt davonrennen? Schön behutsam die Flaschen in die Container legen, jede Flasche so lange halten, dass es möglichst wenig kracht? Odeeeer: Die Flaschen mit extraviel Schwung reinknallen und dabei voller Rachegelüste vor mich hingrinsen?

Ich fluchte. Leise. In meinem Kopf malte ich mir aus, wie ich wohl in 40 Jahren enden werde. Ein grusliges Bild.

Die Angst vor dem Altern

Wenn ich ehrlich bin: Ich hab echt Schiss vor dem Altern. Ergraut bin ich wohl schon in 10 Jahren, künstliches Kniegelenk inklusive. Einem faltenfreien Gesicht steht (hoffentlich) weniger im Wege, seit ich den Zigaretten abgeschworen habe. Neuerdings lass ich die Gesichtsmasken auch doppelt so lange als auf der Packung angegeben auf meinem Gesicht. Ich wurde drum letztens von einem Kind auf der Schaukel gesiezt.

So weit, so akzeptabel. Man kann ja auch älter aussehen und das Leben so richtig geil auskosten.

Ich hab mehr Angst, innerlich zu altern. Meine Mutter warnte mich letztens davor, dass es doch nicht sein könne, dass sich Seniorinnen unter der Woche mittags um 11 Uhr auf das erste Glas Champagner treffen. Abends spienzlen sie dann an einem Glas Prösi nippend aus dem Fenster. Ich wuchs mit einer Nachbarin auf – eine, die immer am Fenster lauerte, morgens um 6 Uhr, nachts um 2 – stets grüsste sie, um nicht zu sagen: Sie sass da und gaffte und kommentierte in äffenden Tönen, weshalb ich was, wieso jetzt tue.

End-20er: Es beginnt mit den Bünzli-Vibes

Ende ich als untröstliche Frau, die sich in den 70ern dann das Jungfernhäutchen zusammennäht, um zur Truppe der Zölibatären zu gehören? Oder werde ich meinem Karl-Friedrich über den Kopf streichen – der eingeascht in der Urne auf dem Küchentisch weilt? War Karl-Friedrich ein Mann mit schütter werdendem Haar oder womöglich nur ein Kater?

Jeder hat doch dieses Bild vor Augen: Alt und grau, underfucked und frustriert. Bestimmt werde ich mit einem Stück Kreide in der Stadt umherrennen, Fremden schnaubend erklären, wie sie gefälligst einzuparken haben. Natürlich markiere ich das mit der Kreide auf dem Asphalt, natürlich habe ich auch das Lineal im Hosensack.

Während ich also meine Flaschen entsorge – halb sanft, halb aggressiv, jedenfalls reflektiert – realisierte ich, dass ich auch heute schon manchmal eine richtige Füdlibürgerin bin.

Letztens habe ich das Treppenhaus zusammengepfutteret. Ich hab mich doch im Wäscheplan eingetragen. Die Waschmaschine war blockiert. Treppentritt für Treppentritt fluchte ich, ob diese Mitbewohnerinnen dammisiech nomol nicht lesen können.

Oder vor zwei Wochen, da habe ich an einem Samstagmorgen um 5 Uhr den Klappstuhl extra aus dem Schrank geholt und mit dem Pfannenwender an die Decke geballert, weil in der WG obenan eine Saumais war. Tags darauf melde ich mich bei meinen Freunden für den geplanten Clubbesuch ab. Ich hab doch dammisiech nomol mies geschlafen.

Falls der Herr mit schönem Haar das liest (direkt bei der Altglasentsorgung Vögeligärtli) : Sorry, Arthritis fickt gerade mein Knie. Es beginnt auch bei mir mit dem Altern. Habe deswegen alles, was viele Schritte verlangt und dammisiech nomol wehtut, auf einen einzigen Gang ausser Haus geplant. Sehr suboptimal auf einen Sonntag gefallen. Kommt nicht wieder vor. Ich entschuldige mich gerne mit einer (vollen!) Prösi-Flasche bei Ihnen.

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