Kaffee mit Wolfsmilch und andere Absonderlichkeiten

Das Ochsenherz am richtigen Fleck

In der Metzgerei eine Ochsenherztomate bestellen – darauf käme wohl niemand. (Bild: Adobe Stock)

Kaum hat man es durch die Feiertage geschafft, ginggt einem schon die nächste gesellschaftliche Hürde ans Bein: der «Veganuary». So toll der auch ist: Die Diskussionen über vegane Produktenamen nerven.

Als vegan lebender Mensch freut es mich natürlich, dass auch Omnivorinnen sich für einen Monat mit Themen wie Fleischindustrie, virtuellem Wasser und Nusskäse auseinandersetzen. Und sich dabei auf ihre persönliche Entdeckungsreise begeben – wie letztes Jahr zentralplus-Redaktor Chris Bucher.

Trotzdem fühlt sich der Veganuary manchmal an wie ein einziges Déjà-vu. Was an den Nerven zerrt, sind die endlosen Diskussionen über vegane Produktenamen, die zum Jahresstart Hochkonjunktur haben wie die Couch Potatoes im Fitnesscenter.

Haferdrink statt Hafermilch

Oft ins Feld geführt wird das Argument der Täuschung, welches auch bei den Richtlinien für Produktenamen des Bundesamts für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen BLV zentral ist. Natürlich soll im Verkauf – wie auch in der Gastronomie – sichergestellt werden, dass die Kundschaft nicht in die Irre geführt wird. «Drauf steht, was drin steckt», sozusagen. Drum also Haferdrink statt Hafermilch, weil Hafer nun eben im Gegensatz zu Kühen keine Muttermilch produziert.

Doch auch abseits von Markenschutz und Konsumententäuschung scheint die Toleranz der meisten Mitmenschen bezüglich der Übertragung von Begriffen auf vegane Lebensmittel recht beschränkt zu sein. Warum soll es nach etwas benannt sein, dem es bloss im Gebrauch oder im Aussehen ähnelt?

Konsumenten kommen mit Unklarheiten klar

Im Deutschen finden sich jedoch genug Beispiele dafür, dass auch Hinz und Kunz mit etwas sprachlicher Unsicherheit durchaus klarkommen. Oder haben Sie schon mal daran gedacht, den Blumenstrauss mit etwas Rosenkohl aufzupeppen? Eine Fleischtomate oder eine Ochsenherztomate in der Metzgerei zu bestellen? Haben Sie in einen Adamsapfel gebissen, den Federkohl gerupft, beim Schnorcheln in Bali nach dem Meerrettich Ausschau gehalten? Oder sich ernsthaft gefragt, ob in der Erdnuss Erde drinsteckt?

Eben, ich auch nicht.

Doch genau solche Übertragungen von Bedeutungen scheinen in Bezug auf vegane Lebensmittel Verwirrung zu stiften. Dabei zeigt ein Blick ins Schweizerdeutsche Wörterbuch Idiotikon, dass beispielsweise der Begriff Milch recht frei auf Pflanzen übertragen wurde.

Im Idiotikon finden sich die Begriffe Fischmilch (Samenmilchdrüse, was für mich gar nichts erklärt, aber nichts mit Fischen zu tun zu haben scheint) und Vogelmilch (die späte Lloydie, eine Alpenpflanze). Der Löwenzahn hiess auch Milchblume und Wolfsmilch bezeichnet gleich eine ganze Pflanzengattung – die, Sie dürfen raten, beim Schneiden einen weissen, dickflüssigen Saft hervorbringt. Dieser Saft wurde ebenfalls als Wolfsmilch, aber auch als Eselsmilch, Schlangenmilch oder Guggermilch bezeichnet.

Gelebte Vielfalt der Sprache

In den Kaffee gegossen hat sich die Wolfsmilch wahrscheinlich trotzdem niemand. Das Prinzip der Benennung ist hier dasselbe wie beim Rosenkohl oder dem Federkohl: Erinnert halt einfach optisch an etwas Bekanntes. Also könnte man, zumindest für die Schweizerdeutsche Sprache, auch argumentieren, dass sich ein Begriff wie Hafermilch in eine reiche sprachliche Tradition einreiht. Und, wenn unsere Vorfahren mit einem Begriff wie Schlangenmilch klarkamen, wir uns auch mit der Hafermilch anfreunden können.

Bleibt die Frage: Wäre der Veganuary also nicht auch eine Gelegenheit, sich nicht nur mit unseren Konsumgewohnheiten, sondern auch mit dem eigenen Sprachgebrauch auseinanderzusetzen?

Und dabei vielleicht festzustellen, dass Sojajoghurt oder Hafermilch zwischen Fleischkäse, Adlerfisch und Seezunge doch gar nicht so verwirrend sind. Und beim nächsten Besuch in der Migros vielleicht auch ein wenig zu schmunzeln über die Vielfalt unserer Sprache – am besten bei den Kichererbsen.

Unsere Kolumnistinnen und Kolumnisten vertreten ihre eigene Meinung. Sie deckt sich nicht in jedem Fall mit derjenigen der Redaktion.

Verwendete Quellen
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