Isa, garantiert kompliziert

Angst, alles zu verpassen? Das war mal

Was wohl Isa jetzt wieder umtreibt? (Bild: Mike Bislin)

Regelmässig gibt Gesellschaftsredaktorin Isabelle Dahinden in ihrer Kolumne persönliche Einblicke in ihr Leben – und in ihren komplizierten Alltag. Heute darüber, wie gut es ist, einfach mal alles zu geniessen, was nicht ist.

Neulich im Zug, ein Mädchen sprintet aufs WC. Bub zur Mama: «Ech muess au ufs WC.»
«Nei, muesch ned.»
«Do-hoch.»
«Nä-häi. Du muesch nor, well d'Luzia au muess.»
«Nei!»
«De gang! Söscht meinsch jo weder, verpassisch alles.»

Aha: Die Angst, etwas zu verpassen. The Fear of missing out – kurz FOMO. Scheinbar haben vierjährige Knirpse schon damit zu kämpfen, diese Diagnose habe ich kurz mal eben im Zug von Luzern nach Zug getroffen.

Geht's nach meiner Freundin Ingrid, sollte ich auch daran leiden. An Sex-FOMO, genauer gesagt. «Weil du ja nie einfach in der Gegend rumgevögelt hast.» Ingrid ist übrigens diejenige, die in etwa sechsmal beide Hände mit zehn gehobenen Fingern ausstrecken muss, um die Anzahl Männer zu zeigen, mit denen sie in der Kiste gelandet ist. Mittlerweile sind es glaub sechsmal so viele Finger. Das Zählen lässt man ja irgendwann mal sein. «Bestimmt bist du dann so 40-jährig, verheiratet, mit drei Kindern und fünf Katzen. Und dann bereust du es. Und dann hängen deine Titten, deine besten Jahre sind vorbei und du sagt: Hätte ich doch.»

Joa. Was wollt ich da noch sagen. Fürs «Rumvögeln» bin ich einfach viel zu wählerisch, weswegen sich der Kreis der zu datenden Männer immer wieder auf die bisher gedateten Männer beschränkt, weil ich die immerhin mal ganz cool fand. Und nach meiner monatelangen Liaison mit dem HPV (habe ich mittlerweile verjagt) ist die Lust nach einem erneuten solchen Bündnis not available.

Aber: Auch ich hab an FOMO gelitten. Nicht Sex-Fomo, aber alles andere. Jahrelang. Die beste Party, der Crush des Abends, den einen – aber allerlustigsten – Moment unter Freunden zu verpassen, der dann jahrelang zum Insider-Gag wird. Als ich dann in eine 1-Zimmer-Wohnung mitten in der Stadt gezogen bin (ohne Abwaschmaschine, dafür ideal zwischen Rok-Klub und dem damaligen Uferlos gelegen, zwei Minuten zu Fuss vom Bahnhof, wenn das Zürcher Nachtleben gerufen hat), hat sich das Blatt dann ziemlich gewendet. Corona halt.

Und: Das tat verdammt gut. Statt Shots im Club gab's Yoga und Räucherstäbchen und ganz viele Absagen meinerseits bei Freunden («bin grad am Bananenbrot-Backen, kann gerade nicht raus»). Noch nie habe ich so viel Zeit mit mir alleine verbracht. Ich schätze, es wäre in einer 30-Quadratmeter-Wohnung auch seltsam, wenn nicht.

Die einstige FOMO wuchs zu einer JOMO: der Joy of missing out (ja, auch dafür gibt's einen Fachbegriff). Das hatte ich das letzte Mal krückenbedingt 2016. Noch nie war's besser, einfach mal alles sausen zu lassen. Ich versuch mich zuhause im Hula-Hoop, lese dazu Yuval Harari, schreib tagelang niemandem auf Whatsapp zurück – und mir geht's wunderbar dabei. Ingrid hat jetzt Tripper, andere kriegen Kinder, weitere klagen über fette Kater, ihren Job, ihr Gewicht, die Beziehung – und haben's verpasst, einfach mal glücklich mit sich selbst zu werden.

Aber, surprise: Auch ich bin ja nur ein Mensch. Letztes Wochenende kreuzte ich dann an dieser Party auf, seit Monaten die erste («Isa, ALLE sind da. Du muesch au»). Also ging ich. Was dann so semitoll war. War ja zu erwarten. Mit Chicken Nuggets bin ich dann am Sonntagmorgen im Bett aufgewacht. Mit einem fetten Kater. Und: Räucherstäbchenduft im Zimmer.

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1 Kommentar
  • Profilfoto von Leo
    Leo, 07.08.2021, 22:35 Uhr

    «Ingrid hat jetzt Tripper.» 🙂 goldig.

    Ich habe auch missed out, aber richtig. Unglücklich bin ich auch nicht.

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