«Räume der Stille» in Luzerner Schulhäusern

«Keine Moschee»: Regierung verteidigt Gebetsräume

Das ist ein Raum der Stille, allerdings jener in der Universität Luzern.

(Bild: Peter Limacher)

Die Aufregung um die sogenannten «Gebetsräume» in Luzerner Schulhäusern war gross. Von einer «Vorzugsbehandlung für muslimische Schüler» war die Rede. Jetzt ist Ruhe eingekehrt um die «Räume der Stille», wie sie offiziell heissen. Allerdings wird das Angebot auch kaum genutzt – und es droht neues Ungemach.

Es war ein gehöriger Aufreger, der im Januar die «Weltwoche» auf den Plan rief: «Luzerner Schulen preschen mit einer Art Vorzugsbehandlung für muslimische Schüler vor», schrieb das Köppel-Blatt unter dem Titel «Pausengebete» (und schaffte auf den wenigen Zeilen sogar einen Bezug zu den Kölner Übergriffen). Die «Gebetsräume» gerieten in den medialen Fokus und wurden schliesslich zum Politikum.

Zur Erinnerung: In den Stadtluzerner Schulhäusern Biregg und Hubelmatt hat die Schulleitung je einen sogenannten «Raum der Stille» eingerichtet. In diesen Schulhäusern ist das kantonale Zentrum für Brückenangebote (ZBA) angesiedelt. Ein Angebot, das häufig von Jugendlichen mit Migrationshintergrund genutzt wird.

Nicht mehr im Treppenhaus beten

Einige muslimische Jugendliche hatten zuvor an anderen Orten im Schulhaus gebetet: im Schulzimmer, Treppenhaus oder sogar auf der Toilette. Diese Willkür wollte die Schulleitung mit den neuen Räumen verhindern, von den Medien wurden sie fortan «Gebetsräume» genannt. An den anderen Orten im Schulhaus ist das Beten seither verboten und die Räume müssen ausserhalb der Unterrichtszeiten (in Pausen, über Mittag oder nach der Schule) besucht werden.

«Öffentliche Schulen sind konfessionell und politisch neutral, kultische Handlungen haben keinen Platz.»

Antwort Regierungsrat

Im Rummel ging fast unter, dass besagte Räume nicht für muslimische Jugendliche reserviert sind, sondern allen offenstehen – unabhängig von nationaler und religiöser Zugehörigkeit. Weil aber die Schulleitung die «Räume der Stille» ohne Einbezug der Verwaltung schuf, sorgte das für Unmut bei Politikern, die erst im Nachhinein davon erfuhren.

Angst vor der Kakofonie

CVP-Kantonsrat Ludwig Peyer.  (Bild: zvg)

CVP-Kantonsrat Ludwig Peyer.  (Bild: zvg)

Zwei Vorstösse im Kantonsparlament nahmen sich des umstrittenen Angebots an: Ludwig Peyer (CVP) und Pirmin Müller (SVP) wollten die «Gebetsräume» nicht einfach so hinnehmen – und gelangten mit je einer Anfrage an die Regierung. Während Peyers vor allem darauf abzielte, genauere Informationen zu erhalten, befürchtete Pirmin Müller eine «Kakofonie, die bei einem gleichzeitigen Beten von Gläubigen verschiedener Religionen entstehen würde». Dass die Räume allen offenstünden, bezeichnete er als «Lippenbekenntnis».

Nun liegen die Antworten des Regierungsrates vor. Er bezeichnet die Räume als Erfolg, die Gebete seien kein öffentliches Thema mehr, die Jugendlichen würden die Vorgaben einhalten und es sei «ein Beitrag zur Integration» erreicht worden. «Die Jugendlichen müssen lernen, ihren Glauben zu leben und sich gleichzeitig an die Gepflogenheiten unserer westlichen Gesellschaft anzupassen», steht in der Antwort. Und weiter: «Öffentliche Schulen sind konfessionell und politisch neutral, kultische Handlungen haben keinen Platz.»

Kein Essen, kein Handy, keine Verschleierung

Bisher sei es zu keinen Konflikten in den Räumen gekommen. Es habe keine Diskussionen mehr gegeben und «die Regeln waren klar und wurden respektiert», so die Antwort. Allerdings haben auch erst vier Jugendliche vom Angebot Gebrauch gemacht.

Wer den Gebetsraum nutzen will, muss einen Antrag stellen. Und die Regeln sind klar: Man verhält sich ruhig, man darf nicht essen oder trinken und kein Handy mitnehmen. Ansonsten droht der Ausschluss. Auch ein Kopftuch ist erlaubt, Verschleierung jedoch nicht.

«Die Schulleitung und die Mitarbeitenden schweigen nicht zum Thema Beten – sie machen es zum Thema und bleiben mit den Lernenden im Austausch.»

Luzerner Regierungsrat

Man dürfe die Räume nicht isoliert betrachten, schreibt der Regierungsrat weiter, vielmehr seien sie in ein «pädagogisches Setting» eingebunden: Bei einem vorgängigen Gespräch werde der Umgang mit Gebetszeiten thematisiert und geregelt. «Das fördert den konstruktiven Umgang mit der eigenen Religion in unserer westlichen Gesellschaft und fördert damit die Integration», so die Antwort – das sei ein Grundauftrag der Brückenangebote.

«Pädagogisches Setting, keine Moschee»

SVP-Kantonsrat Pirmin Müller.  (Bild: zvg)

SVP-Kantonsrat Pirmin Müller.  (Bild: zvg)

Kantonsrat Pirmin Müller befürchtete in seiner Anfrage, dass der Gebetsraum nicht für Frauen offenstehe, weil es in Moscheen strikt getrennte Gebetsbereiche für Frauen und Männer gebe. Darauf der Regierungsrat: «Es handelt sich hier um ein pädagogisches Setting und nicht um eine Moschee.» Die Räume würden von Frauen und Männern gemeinsam genutzt.

Auch dass die Schulleitung den Entscheid eigenmächtig gefällt habe, sei in Ordnung: «Es gab keinen Anlass, den Regierungsrat zu informieren, da das pädagogische Handeln sonst auch autonom gestaltet wird.» Die Schulleitung habe «umsichtig gehandelt und eine adäquate Lösung getroffen.»

Neben den erwähnten Schulhäusern Hubelmatt und Biregg führen auch die Pädagogische Hochschule im Gebäude Frohburg sowie die Universität Luzern je einen «Raum der Stille» (dieser war auch schon Thema in unserem Campus-Blog). Weitere solche Räume seien aber derzeit keine geplant. Würden sich aber Schulleiter oder Rektoren einer Schule für ein solches Angebot entscheiden, erwartet der Regierungsrat «aufgrund der politischen Tragweite dieser Fragen, dass die vorgesetzten Stellen in die Entscheidungsfindung einbezogen werden».

Nicht schweigen zum Thema

Pirmin Müller wollte schliesslich noch wissen, wieso man man Kreuze und Kruzifixe aus den Schulen verbanne, nun aber Gebetsräume schaffe? Der Regierungsrat: Kruzifixe würden laut Bundesgericht gegen die religiöse Neutralität verstossen. «Dieser Entscheid bedeutet allerdings nicht, dass Kruzifixe grundsätzlich aus Schulzimmern zu entfernen sind. Dies ist nur nötig, wenn es im Einzelfall gefordert wird.»

Auf die Frage, ob der Gebetsraum nicht eher zu einer Segregation statt zu einer Integration führe, schreibt der Regierungsrat abschliessend: «Die Schulleitung und die Mitarbeitenden schweigen nicht zum Thema Beten – sie machen es zum Thema und bleiben mit den Lernenden im Austausch.» Diese Auseinandersetzung sei sehr wichtig und leiste einen wesentlichen Beitrag zu einer gelingenden Integration.

Die Symbole von Judentum, Christentum und Islam im Raum der Stille an der Universität Luzern. (PD)

Die Symbole von Judentum, Christentum und Islam im Raum der Stille an der Universität Luzern. (PD)

«Komplett falsches Bild»

Pirmin Müller hat die Antworten ebenfalls gelesen – und ist damit nicht zufrieden. «Der Regierungsrat banalisiert das Ganze und übernimmt keine Verantwortung», sagt er. «Das Angebot dient nicht der Integration, wie die Regierung behauptet. Denn ausserhalb der Schule werden solche Sonderwünsche nicht gewährt», so Müller.

«Wieso braucht es eine Sonderregelung für so eine kleine Minderheit?»

SVP-Kantonsrat Pirmin Müller

Für ihn vermittle man mit diesem Angebot ein «komplett falsches Bild»: Die meisten Jugendlichen würden nach dem Brückenangebot eine Berufslehre machen, und dann könne man auch nicht untertags beten. «Man weckt falsche Vorstellungen für die Berufswelt», sagt er. «Ausserdem besteht keine religiöse Notwendigkeit für dieses Angebot, denn muslimische Gebete können problemlos am Abend nachgeholt werden.»

Müller warnt vor den Folgen dieses Angebots: «Mit der Sonderregelung für diese kleine Minderheit wird ein Präzedenzfall geschaffen, auf den sich Fundamentalisten berufen können, um Sonderrechte einzufordern.» Für ihn sei das Thema jedenfalls noch nicht vom Tisch.

Auf Dauer kontraproduktiv

Bei der CVP tönt es ähnlich: «Es ist mir überhaupt nicht klar, was damit konkret an Integration erreicht werden konnte. Ich stelle vielmehr fest, dass sich die Schule den ausländischen Gepflogenheiten fügte, indem sie einen solchen Raum zur Verfügung stellte», schreibt Ludwig Peyer auf Anfrage.

«Es wäre wünschbar, das Bildungsdepartement würde hier lenkend eingreifen.»

CVP-Kantonsrat Ludwig Peyer

Kurzfristig sei das Angebot in den konkreten Fällen durchaus plausibel, so Peyer, aber: «Auf Dauer erachte ich ein solches Entgegenkommen als eher kontraproduktiv und daher als nicht wünschbar.» Vielmehr müsse man den ausländischen Personen möglichst rasch aufzeigen, welche Werte und Umgangsformen hier gelten würden. Dass man unter dem Tag bete, gehe später in der Berufswelt auch nicht mehr.

«Es wäre wünschbar, das Bildungsdepartement würde hier lenkend eingreifen. Aus der Antwort geht aber hervor, dass man die Schulen hier gewähren lassen will», sagt Peyer. Auch er will dranbleiben: «Ich werde sicher Diskussion verlangen im Rat und auf diesen heiklen Punkt hinweisen.»

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