Regierungsräte im Interview 6: Stephan Schleiss

«Kein Wunder ist die Bildung so hart umkämpft»

Regierungsrat Stephan Schleiss hofft auf seine Wiederwahl. Erst in der zweiten Amtsperiode könne er «richtig PS auf den Boden bringen». (Bild: mag)

Stephan Schleiss ist der Musterschüler im Zuger Regierungsrat. In unserem sechsten Video-Interview spricht der Kultur-, Sport- und Bildungsdirektor darüber, weshalb er kein Aufsehen erregt, und warum es manchmal nötig ist, zu blockieren. Und wieso er für ein freiheitliches Waffenrecht eintritt. Passt das zusammen, Bildungsminister und Waffenfreund? Schleiss sagt: «Wieso nicht?»

zentral+: Ihnen wurde bei Amtsantritt die Bildungsdirektion zugeteilt, passt diese Direktion denn überhaupt zu Ihnen?

Stephan Schleiss: Ja, auf jeden Fall. Mir ist ergangen, wie jedem, der sich in ein neues Thema reinkniet: Mit der zunehmenden Sachkenntnis kommt die Begeisterung. Das erste halbe Jahr war hart, ich wollte alles richtig machen. Aber mittlerweile bin ich eingespielt. Wenn es mit der Wahl klappt, dann freue ich mich sehr auf eine zweite Amtszeit. Das weiss ich schon vom Kantonsrat: In der zweiten Legislatur bringt man erst richtig PS auf die Strasse. Und die brauchen wir auch: Der Lehrplan 21 wird eine grosse Herausforderung.

zentral+: Was begeistert Sie denn an der Bildungsdirektion?

Schleiss: Bildung und Feuerwehr, das sind die beiden Themen, gegen die man an keiner Gemeindeversammlung etwas sagen darf – erste Politikerregel (lacht). Im ernst, Bildung ist allen wichtig, es ist das Thema, über das eine Gesellschaft sich auch definiert. In der Schule werden die Ideen über unsere Gesellschaft den Jungen weitergegeben, kein Wunder ist Bildung auch hart umkämpft. Das macht sie so enorm spannend.

Wer ist Stephan Schleiss?

Stephan Schleiss hat in Zürich Wirtschaft studiert und arbeitete von 2001 bis 2010 in der Risikoüberwachung bei der Bank Vontobel, zuletzt als Vizedirektor. Er ist seit 2011 Regierungsrat und Bildungsdirektor. Schleiss ist unter anderem Mitglied bei der AUNS, der IG Freiheit, die den rositgen Paragraphen verleiht, und der pro Tell, der Gesellschaft für ein freiheitliches Waffenrecht. Er ist ledig und hat keine Kinder.

zentral+: Sie sind an Amtsjahren der Zweitjüngste im Regierungsrat, gehen Sie hinter ihrem SVP-Kollegen Heinz Tännler nicht etwas unter?

Schleiss: Im Gegenteil. Der Regierungsrat funktioniert als Kollegium und man unterstützt sich gegenseitig in der Arbeit. Und das Gute an meiner Direktion: In keinem anderen Gebiet ist die kantonale Hoheit noch so gross wie in der Bildung. In meiner Arbeit gilt für mich nur die Kantonsverfassung und das kantonale Schulgesetz. Bildungspolitisch sind die Kantone immer noch kleine Königreich.

zentral+: Warum muss der kleine Kanton Zug ein eigenes Bildungssystem haben? Wäre eine nationale Vereinheitlichung nicht sinnvoller?

Schleiss: Die Bildung ist keine exakte Wissenschaft, man kann keinen Beweis dafür erbringen, was ein gutes Bildungssystem ist. Das heisst, es braucht Wettbewerb: Jeder Kanton geht seinen eigenen Weg, sogar jede Gemeinde. Es gibt Kantone, die sind an der Spitze der Entwicklung mit dabei, und andere, die schauen erst Mal zu, ob sich ein neues System bewährt. Und das Mobilitätshindernis zwischen den Kantonen, das beschworen wird, das ist nur in wenigen Einzelfällen wirklich schwerwiegend. Da muss man die Einzelfälle betrachten, nicht das System ändern.

zentral+: Wo steht Zug, an der Spitze oder bei den Zuschauern?

Schleiss: Der Kanton Zug hat gute Schulen. Seit ich das Amt angetreten habe, hat das Reformtempo etwas abgenommen. Ich bin eher einer, der zuerst schaut, ob etwas auch funktioniert.

zentral+: Sie haben bei Ihrem Amtsantritt mehrere Projekte der Schulreform gestoppt, etwa die integrierte Schule auf Oberstufe. Sind Sie ein Blockierer?

Schleiss: Sehen Sie, Schule braucht Zeit, um sich zu entwickeln. Gleichzeitig ist sie ein Politikum, das alle interessiert. Man muss deshalb den Druck von der Schule nehmen und den Entwicklungsprozess verlangsamen.

zentral+: Man könnte auch sagen, sie haben in Ihrer Politik nichts gewagt.

Schleiss: Aktivismus und Mut sollte man nicht gleichsetzen. Daran krankt das Schulwesen, daran krankt die ganze Politik. Manchmal braucht es auch Mut, das Tempo etwas zu drosseln. Und natürlich bewegt sich die Schule weiterhin. Wir sind zum Beispiel daran, die Sekundarschule noch stärker zu profilieren. Aber wir setzen auf Bewährtes, auch bei Neuerungen.

«Finden Sie es vorwärtsgewandt, wenn viele Schulabgänger kein gepflegtes Schweizerdeutsch mehr sprechen?»

Stephan Schleiss, Regierungsrat

zentral+: Gerade die SVP ist nicht für vorwärtsgewandte Schulpolitik bekannt: Eine SVP-Initiative etwa will Mundart im Kindergarten wieder einführen. Können Sie als SVP-Politiker die Schule überhaupt weiterentwickeln und für die Zukunft rüsten?

Schleiss: Was hier vorwärts ist und was rückwärts, ist Definitionsfrage. Finden Sie es zum Beispiel vorwärtsgewandt, dass viele Schulabgängerinnen und Schulabgänger kein gepflegtes Schweizerdeutsch sprechen können? Aber es ist tatsächlich eine grosse Herausforderung, zwischen Experten und der Bevölkerung zu vermitteln. Viele der Schulreformen, die von Experten geplant wurden, gingen an der Bevölkerung vorbei: Die Initiativen sind nichts anderes als eine Reaktion der Bevölkerung auf diese Reformen. Natürlich braucht es Experten, aber die Politik muss zwischen ihnen und der Bevölkerung vermitteln. Sie kann nicht einfach etwas durchsetzen, dass die Bevölkerung nicht will. Insofern, ja, ich kann als SVP-Politiker genauso gut, wenn nicht noch besser, die Schule weiterentwickeln. Aber ich mache das, indem ich schaue, was sich wirklich bewährt. Schule muss sich immer weiterentwickeln, aber im Kern geht es dabei immer um dasselbe.

zentral+: Wie meinen Sie das?

Schleiss: Gute Schule braucht Raum und Zeit. Sie muss von unten wachsen können und sollte nicht ständig von oben verändert werden. Gute Schule braucht Diskussion und Debatte. Gute Schule geht von guten Lehrerinnen und Lehrern aus. Das sind zeitlose Bildungswahrheiten. Wer die Schule stärken will, muss diese Wahrheiten immer wieder freischaufeln.

Albert Einstein hat in einer Rede zur Bildung gesagt: Bildung ist wie eine Statue in der Wüste, die der Wind immer wieder mit Sand zuweht. Es braucht viele Hände, um die Statue immer wieder vom Flugsand zu befreien.

zentral+: Ihnen ist auch das Amt für Kultur und das Amt für Sport unterstellt. Welchen Stellenwert haben Kultur und Sport im Kanton Zug?

Schleiss: Kultur ist gerade in Zug sehr wichtig: Sie gibt Wurzeln. Mit der Globalisierung, quasi mit jedem zusätzlichen Expat, der nach Zug zieht, verstärkt sich das Bedürfnis der Bevölkerung, ihre Wurzeln zu finden. Sei das in der Musik, im Theater oder in der bildenden Kunst. Und der Sport ist so wieso eine wunderbare Sache. Da habe ich viel mit den Vereinen zu tun, und da sieht man einfach, wer sich in diesem Kanton engagiert: Es sind immer dieselben Leute, die man da sieht. Das ganze dicke Eis, das unsere Gesellschaft trägt, ist in den Vereinen engagiert.

zentral+: Sie sind Kommandant im Militär, Hobbyschütze und Mitglied in der Organisation Pro Tell, die für ein freiheitliches Waffenrecht einsteht. Wie passt das zusammen, Bildungsminister und Waffenfreund?

Schleiss: Wieso soll das nicht zusammengehen? Ich bin ein überzeugter Anhänger der Bildung, des freiheitlichen Waffenrechts und der Miliz-Armee.

zentral+: Tragen Sie jetzt eine Waffe?

Schleiss: (lacht) Nein, ganz und gar nicht, ich bin unbewaffnet. Es geht mehr um die Grundeinstellung. Aber zuhause habe ich eine Ordonnanz-Pistole und ein Sturmgewehr für den Schiesstand. Mir geht es darum, dass der Staat seinen Bürgern vertrauen soll. Die Misstrauenskultur passt mir gar nicht. Und wenn einer Angst haben soll, dann ist es besser, der Staat hat vor den bewaffneten Bürgern Angst, als die Bürger vor dem bewaffneten Staat. Das geht so in Richtung Willhelm Tell-Denken.

zentral+: Sie arbeiten viel, seit Sie Regierungsrat sind, sind ab sechs Uhr morgens im Büro. Übernehmen Sie sich mit dem Amt?

Schleiss: Nein, ich bin fitter als ich es vorher war. Und die morgendliche Fahrt mit dem Fahrrad zur Arbeit tut mir gut. Ich gehe früh ins Büro, weil ich dann am ungestörtesten arbeiten kann. Danach kommen die Sitzungen und Termine. Und ich habe mir angewöhnt, keine Arbeit mit nach Hause zu nehmen. Wenn ich Feierabend habe, dann habe ich Feierabend.

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