Kanzleistreit landet vor Arbeitsgericht Luzern

Zwei Anwälte mit ihren Anwälten machen ein Tamtam

Treffen sich vier Anwälte am Arbeitsgericht... (Bild: Symbolbild Adobe Stock)

Anwälte wissen, wie eine Kanzlei arbeitsrechtskonform geführt wird. Sollte man meinen. Zwei bekannte Luzerner belehren uns eines besseren.

Gerichtsverhandlung oder trashige Anwaltsserie? Das fragt sich an diesem Nachmittag am Arbeitsgericht Luzern der ein oder andere. Zwei Anwälte sitzen hier, vertreten durch weitere zwei Anwälte. Vorne sitzt die Richterin, ihr zur Seite die Gerichtsschreiberin.

Es gilt die Frage zu klären, ob der eine Anwalt dem anderen Anwalt zu wenig Lohn bezahlt hat. Aus Sicht des Arbeitsgerichts ist die Sache «spruchreif», wie die Richterin gleich zu Beginn festhält. Beide Seiten haben zuvor schriftlich ihre Argumente und Belege vorgelegt.

Trotzdem bestand der Kläger darauf, seinen ehemaligen Chef auch physisch vor Gericht zu zerren. Freundlich begrüsst er die Journalistin. Vielleicht erhofft er sich, dass sein Ex-Chef vor dem Auge der Öffentlichkeit einsichtiger wird?

Gab es Überstunden oder nicht? Das ist hier die Frage

Beide Herren sind in Luzern bestens bekannt und versiert im Umgang mit Medien. Der eine hat in der Kanzlei des anderen gearbeitet. Nach aussen hin wirkten sie harmonisch. Als wäre der eine der väterliche Freund des andern. Nun hat sich das geändert. Und doch schwingt das einst enge Verhältnis hin und wieder durch. Vielleicht treffen sie sich genau deshalb heute vor Gericht?

«Ich musste Dinge tun wie Medienanfragen beantworten und allen seinen Ex-Frauen zuhören, die mit ihren Fingernägeln Probleme hatten – ich übertreibe nicht.»

Ehemaliger Mitarbeiter der Kanzlei

Der Jüngere der beiden sagt, er habe in in der Kanzlei viel Überzeit machen müssen. Auch Ferien habe er teils nicht machen können, um die Mandate seines Chefs zu führen. Die geleisteten Überstunden hätten – so war es aus seiner Sicht vereinbart – im Rahmen eines anstehenden Vaterschaftsurlaubs kompensiert werden sollen. Nur habe ihm sein Chef kurz vor der Geburt gekündigt, um genau das zu verhindern. Jetzt will er, dass ihm die Stunden ausbezahlt werden.

Das Problem: Der Senior der Kanzlei behauptet, es habe keine Überstunden gegeben. Jedenfalls seien keine dokumentiert.

Als Troubleshooter missbraucht

Der Anwalt des jüngeren Anwalts macht geltend, der Ex-Chef seines Mandanten habe wesentliche Unterlagen aus dem Personaldossier genommen. Es würden Protokolle von Mitarbeitergesprächen und die Präsenzzeiterfassung fehlen. Dabei schreibe das Gesetz vor, dass bei einem Angestelltenverhältnis eine Arbeitszeiterfassung gemacht werde.

Nachdem der junge Anwalt vor der Schlichtungsbehörde noch einen Betrag von über 100'000 Franken für Überzeit ab dem Jahr 2015 gefordert hatte, reduzierte er seine Forderung vor dem Arbeitsgericht auf rund 15'000 Franken für die Zeit ab 2017 – mit der Ankündigung, vielleicht später darauf zurückzukommen.

«Ich habe oft 12 Stunden gearbeitet», sagt er in der Verhandlung. Es habe Aufträge gegeben, die sich nicht einem Mandanten zuordnen liessen. «Ich musste Dinge tun wie Medienanfragen beantworten und allen seinen Ex-Frauen zuhören, die mit ihren Fingernägeln Probleme hatten – ich übertreibe nicht», versicherte er. Immer wieder habe er sich ums «Familybusiness» seines Chefs kümmern müssen. Einmal sogar seinen Chef wegen einer Parkbusse vor Gericht vertreten. «Er hat auch immer gesagt, wir sollen alles aufschreiben, was er uns aufträgt.» Deshalb habe er das gemacht.

Statt zu arbeiten, sass er im Parlament

Der Senior allerdings will weder von Überzeit noch von missbräuchlicher Kündigung etwas wissen. Vielmehr fühlt er sich ausgenutzt. Und zwar, weil sein ehemaliger Mitarbeiter Arbeitsstunden aufgeschrieben habe, obwohl er in der Zeit nachweislich im Rahmen eines politischen Mandats in einem Luzerner Parlament sass. «Das wäre eine Doppelspurigkeit, die nicht seriös wäre», meint dazu der Anwalt des Chefs.

Die politische Tätigkeit sei so abgemacht gewesen, entgegnet darauf der Angeschuldigte. Er habe während der Parlamentsdebatte teils Mails an Klienten verfasst, Mitarbeiter instruiert oder Rechtsschriften gegengelesen – deshalb sei das durchaus zu Recht als Arbeitszeit ausgewiesen.

Durchmischung von Arbeitszeit und Freizeit ist ein Problem

Das Arbeitsgericht lässt sich davon nicht überzeugen. Aus Sicht der Richterin gibt es zahlreiche Widersprüche zwischen der Stundenauflistung des Klägers und seiner Anwesenheit. «Die vom Kläger in der Stundenabrechnung eingetragenen Arbeitszeiten können damit nicht mit dem erforderlichen Beweisgrad der tatsächlichen Arbeitszeit des Klägers für den Beklagten entsprechen», schreibt sie im Urteil.

Der Arbeitsalltag des Anwalts sei durch eine «permanente Durchmischung von Arbeiten für seine eigenen Mandate und den zugewiesenen Arbeiten» geprägt gewesen. Es lasse sich daher nicht nachvollziehen, zu welchem Zeitpunkt für den Chef oder eigene Klienten des Klägers tatsächlich Leistungen erbracht habe.

Aus diesem Grund lasse sich auch nicht nachweisen, dass die Kündigung missbräuchlich gewesen sei. Der Senior bestreitet, dass eine «Langzeit-Kompensation» in Form eines Vaterschaftsurlaubs abgemacht wurde – und das Gegenteil lässt sich aus Sicht des Gerichts nicht beweisen. Offiziell hatte der Chef ihm gekündigt, weil er sich selber aus dem Geschäft zurückziehen wollte.

Saftiges Anwaltshonorar wird gekürzt – ist aber immer noch sehr hoch

Der jüngere Anwalt unterliegt damit vor Gericht – und muss die Kosten tragen. Diese haben es in sich. Nicht wegen dem Verfahren selber, sondern weil sein Ex-Chef einen Anwalt beauftragt hat, der satte 17'000 Franken für die Betreuung seines Mandanten in Rechnung stellt. Dazu muss man wissen: Die ordentliche Gebühr am Arbeitsgericht Luzern liegt bei maximal 4'500 Franken.

«Das geltend gemachte Honorar überschreitet diesen Rahmen mehrfach», heisst es im Urteil. Trotzdem reduziert die Richterin es nicht auf das eigentlich übliche. Dies weil das Verfahren bezüglich der umfangreichen Stundenaufstellungen des Klägers, «objektiv erkennbar ausserordentlich aufwändig war». Das Gericht findet einen gutschweizerischen Kompromiss: Rund 10'000 Franken muss der Unterlegene seinem ehemaligen Vorgesetzten für die Anwaltskosten zahlen.

Der Fall zeigt: Auch bei den Juristen «menschelt» es zuweilen. Mit nichts anderem als einem verletzten Gerechtigkeitsgefühl ist zu erklären, dass der Angestellte bei dieser – aus Sicht des Gerichts klaren – Aktenlage auf die Durchführung der Verhandlung bestanden hat. Nun aber ist die Sache abgeschlossen. Der Entscheid ist rechtskräftig.

Hier gibt es Gratis-Rechtsberatung in Luzern

Der Anwaltsverband bietet jeden Mittwoch von 17.00-19.00 Uhr in der Universität Luzern gratis eine kurze Rechtsberatung an. Dies allerdings nur nach telefonischer Anmeldung. Auch Pro Senectute und 65plus bieten kostenlos 20-minütige Kurzberatungen durch Anwälte an – allerdings nur für Menschen ab 60 Jahren. Personen ab 50 Jahren können sich an Avenir 50 plus wenden. Der Verband engagiert sich gratis für ältere Erwerbslose, Ausgesteuerte und Sozialhilfeempfängerinnen (zentralplus berichtete).

Auch die Gerichte in Luzern bieten Gratis-Rechtsberatung an. Am Dienstag und am Donnerstag beantwortet die Schlichtungsbehörde Miete und Pacht telefonisch Fragen. Montag bis Donnerstag führt das Arbeitsgericht telefonische Kurzberatungen durch. Beratungen im Bereich Familienrecht bieten die Bezirksgerichte nach telefonischer Anmeldung an.

Verwendete Quellen
  • Teilnahme an der Verhandlung vom 3. Mai 2022
  • Urteil 1B5 18 84 des Arbeitsgerichts Luzern vom 7. Dezember 2022
  • Telefonische Nachfrage betreffend Rechtskräftigkeit bei Gerichtssprecher Christian Renggli
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2 Kommentare
  • Profilfoto von martin.vonrotz
    martin.vonrotz, 13.02.2023, 12:40 Uhr

    Und was lehrt uns das wieder einmal: Alle Abmachungen immer schriftlich bestätigen lassen. Dann hätte es keine Verhandlung gebraucht.

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    • Profilfoto von Roli Greter
      Roli Greter, 14.02.2023, 07:25 Uhr

      Was es uns ebenfalls lehrt; Anwälters sind hervorragende Egopflegers.

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