Mit über 200 km/h auf Autobahn

«Tik-Tok-Raser» beschäftigt Luzerner Justiz

Adrenalin und Ruhm können süchtig machen. Vielleicht hat ein junger Luzerner deshalb seine Raserfahrten im Internet publik gemacht. (Bild: Flickr/Paul L Dineen)

Die Luzerner Justiz hat sich mit einem aussergewöhnlichen Fall zu beschäftigen. Es geht um einen jungen Mann, der viel zu schnell fuhr und sich dabei filmte.

Tempolimiten sah er wohl eher als Herausforderungen und nicht als gesetzlich bindend. Deshalb musste im vergangenen April ein 25-Jähriger vor dem Luzerner Kriminalgericht vorstellig werden. Der junge Mann sah sich beschuldigt, sechsmal mit massiv zu hoher Geschwindigkeit die Strassen des Kantons unsicher gemacht zu haben.

Der Fall zog einige Aufmerksamkeit auf sich. Die Polizei wurde auf den Mann aufmerksam, weil er eine seiner vermeintlichen Fahrten auf der Plattform Tik-Tok mit der Öffentlichkeit teilte (zentralplus berichtete). Das Verdikt des Gerichts damals: schuldig.

Die Verteidigerin des Angeklagten hat das Urteil mittlerweile angefochten. Sie ist der Meinung, dass die Polizei Beweise unrechtmässig erworben hat. In diesem Zusammenhang hat das Kriminalgericht am Dienstag die Begründung für den Schuldspruch veröffentlicht. Das Dokument wirft ein neues Licht auf den Fall.

Nummernschild und Benutzername halfen Polizei

Alles begann damit, dass die Luzerner Polizei von einem privaten Nutzer auf Instagram ein Tik-Tok-Video zugespielt bekam. Gemäss der Anklageschrift ist darin zu sehen, wie jemand auf der Autobahn A2 Richtung Süden rast. Die kurze Sequenz, scheinbar aufgenommen vom Fahrer, zeigt den Tacho. Darauf ist laut der Anklageschrift eine angezeigte Geschwindigkeit von 198 km/h zu sehen. Zudem Teil des Videos: eine andere Aufnahme des Fahrzeugs von aussen, inklusive Nummernschild.

Die Polizei macht daraufhin den Besitzer des Wagens ausfindig. Aufgrund des Benutzernamens des Nutzers, welcher das Video erstmals auf Tik-Tok teilte, schliessen die Ermittler darauf, dass der Raser wahrscheinlich der Sohn ist.

Sie bestellen den Verdächtigen ein, führen eine Hausdurchsuchung durch – und finden gemäss der Anklageschrift auf dem Handy des 25-jährigen Sohnes nebst dem fraglichen Video fünf Aufnahmen von weiteren Raserfahrten. Darin fährt er mal mit 202 km/h auf der Autobahn, mal mit 190 km/h in einer 80er-Zone und mal mit mehr als 120 Kilometer pro Stunde in einer 50er-Zone.

Unrechtmässiges Suchen nach Beweisen?

Die Anwältin des Angeklagten ist sich sicher, dass die Polizei das Handy nicht hätte durchstöbern dürfen. Sie argumentiert, dass dies eine Form von unzulässiger Beweisforschung darstelle – eine sogenannte «fishing expedition». Die fünf Videos seien im Prozess folglich nicht verwertbar und das Strafmass anzupassen.

Gemäss der Urteilsbegründung des Kriminalgerichts führt die Verteidigerin an, dass zum Zeitpunkt, als die Polizei das Telefon unter die Lupe nahm, bereits ein umfassendes Geständnis des Angeklagten betreffs der Fahrt, welche er auf Tik-Tok teilte, vorgelegen sei. Die Polizei habe dank des Geständnisses keinen Anlass zur Annahme gehabt, dass eine Durchsuchung des Handys weitere Beweismittel ans Licht befördert.

Zehn Minuten gaben den Ausschlag

Die Staatsanwaltschaft sieht das anders. Nach einer ersten Befragung des Angeklagten seien wichtige Fragen zur ersten bekanntgewordenen Fahrt noch nicht geklärt gewesen. So etwa, wann die Raserei stattgefunden hatte und ob noch jemand dabei gewesen war. Die Ermittler hätten sich im Weiteren gefragt, ob die betreffende Sequenz im Video nur einen Ausschnitt der Originalaufnahme darstellte.

Daraufhin sei die Durchsuchung des Handys angeordnet worden. Zehn Minuten nach der Beschlagnahmung des Telefons habe der Beschuldigte zugegeben, der Fahrer im Tik-Tok-Video zu sein. Weil ein solches Geständnis später im Prozess jedoch widerrufen werden kann und weil die Behörden solche Aussagen nachprüfen können müssen, habe die Durchsuchung dennoch stattgefunden, hält die Staatsanwaltschaft fest.

Das nächste Gericht muss ran

Das Gericht liess die fünf zusätzlichen entdeckten Videos als Beweise gelten. Es verurteilt den Raser zu einer Haftstrafe von zwei Jahren und zehn Monaten, wobei er acht Monate davon absitzen muss. Die restlichen 26 Monate sind auf Bewährung. Ausserdem muss er eine Busse von 800 Franken sowie die Verfahrenskosten in Höhe von mehr als 9000 Franken bezahlen.

Nebst den Raserfahrten legt das Gericht dem Mann zur Last, dass sein Auto bei der Beschlagnahmung nicht in vorschriftsmässigem Zustand gewesen sei – er hatte es offenbar aufgemotzt. Dafür, dass er während des Fahrens seines Autos scheinbar sein Handy bedient hatte, wurde er nicht belangt.

Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig und wurde weitergezogen. Als Nächstes muss sich das Luzerner Kantonsgericht mit dem vermeintlichen Tik-Tok-Raser auseinandersetzen.

Verwendete Quellen
  • Urteil mit Begründung des Luzerner Kriminalgerichts
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