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Seinen ersten Auftritt vor Gericht nutzte Mass-Voll-Präsident Nicolas A. Rimoldi, um die Corona-Massnahmen anzuprangern. Interessant wird sein, wie das Bezirksgericht Luzern eine Grundrechtsfrage beantwortet, die sein Fall aufwirft.
Nicolas A. Rimoldi stellte am Freitag sein Talent unter Beweis, sich in Szene zu setzen. Rund 150 Menschen scharte er um sich, bevor er am Morgen den Rütlisaal in Luzern betrat. Das Bezirksgericht Luzern hatte die Verhandlung wegen des angekündigten Besucherandrangs in den grösseren Gerichtssaal verlegt. Die Räumlichkeiten im Bezirksgericht selber hätten dafür keinen Platz geboten.
Zuvor zog Nicolas A. Rimoldi mit einem bewilligten Demonstrationszug vom Schwanenplatz über die Seebrücke bis in den Hirschengraben (zentralplus berichtete). Rimoldi erschien in violettem Hemd und Anzug und gab sich dem Gericht gegenüber betont respektvoll. Erst zum Schluss tauchte der Widerstandskämpfer auf, als den er sich selber sieht und gerne inszeniert.
Die Staatsanwaltschaft Luzern wirft dem Mass-Voll-Präsidenten eine Reihe von Vergehen vor, die in Zusammenhang stehen mit Rimoldis Widerstand gegen die Corona-Massnahmen. Der schwerste Vorwurf lautet Nötigung.
Einblick in die heutige Demonstration:
Verkehr blockiert: Ist das Nötigung?
An einer von ihm organisierten und unbewilligten Kundgebung am 19. Juli 2021 soll Nicolas A. Rimoldi den Demonstrationszug mit 500 Menschen auf die Fahrbahn geführt haben. Mehrere Autofahrerinnen wurden an der Weiterfahrt gehindert. Sie konnten weder vor noch zurück – und das über eine längere Zeit. Aus Sicht der Staatsanwaltschaft ist das Nötigung.
«Wir wollten ein Zeichen setzen gegen eine solche Politik.»
Nicolas A. Rimoldi
Nicolas A. Rimoldi wehrt sich gegen die Vorwürfe. Er räumt zwar ein, dass er die Demonstration organisiert hat und dass keine Bewilligung dafür vorlag. Aber: Es habe sich um eine Spontandemo gehandelt. Die Kundgebung sei eine Reaktion gewesen auf eine Äusserung des Schweizer GLP-Präsidenten Jürg Grossen.
Dieser hatte tags zuvor in der «Sonntagszeitung» eine Kennzeichnung von Ungeimpften gefordert – etwa mittels eines Stickers (zentralplus berichtete). «Das erinnert an die dunkelsten Kapitel in der Geschichte», sagte Nicolas A. Rimoldi in der Verhandlung und spielte damit auf die Zeit an, in welcher Juden unter den Nationalsozialisten einen Stern tragen mussten, um sie als solche zu kennzeichnen.
«Wir wollten ein Zeichen setzen gegen eine solche Politik», so Rimoldi. Auf die Frage des Richters, weshalb er die Leute auf die Fahrbahn geführt habe, meinte er: «Es waren viele Leute und die brauchten Platz.»
Spontan oder nicht spontan – das ist die Frage
Als Spontandemo gilt eine Kundgebung, die auf ein unvorhergesehenes Ereignis innerhalb von 48 Stunden reagiert – weshalb keine Zeit bleibt, eine Bewilligung einzuholen. Nicolas A. Rimoldi hatte die Luzerner Polizei sowie die Stadt Luzern über die geplante Kundgebung informiert, wie dies bei Spontandemos vorgeschrieben ist. Aus Sicht der Staatsanwaltschaft reichte das aber nicht aus.
«Es trifft zwar zu, dass bei Spontandemos keine Bewilligungspflicht gilt und diese nicht aufgelöst werden dürfen», meinte der Staatsanwalt. Aber: Vorliegend habe es sich nicht um eine solche gehandelt.
«Es wäre absurd, wenn man bei jeder Äusserung eines Politikers zu Corona eine Spontandemo machen könnte.»
Staatsanwalt
Die Kundgebung fand an einem Montag statt. Am gleichen Tag, zur gleichen Zeit und auf der gleichen Route zu welcher damals wöchentlich unbewilligte Demonstrationen gegen die Corona-Massnahmen stattfanden (zentralplus berichtete). «Sie richtete sich gegen die Corona-Massnahmen im Allgemeinen», so der Staatsanwalt.
«Diese waren seit über einem Jahr ein grosses Thema. Es wäre absurd, wenn man bei jeder Äusserung eines Politikers zu Corona eine Spontandemo machen könnte.» Es hätte also aus seiner Sicht eine Bewilligung gebraucht.
Es wird interessant sein, wie das Bezirksgericht diese Grundrechtsfrage beantworten wird. Zumal sich das Bundesgericht schon mehrfach dahingehend geäussert hat, dass Spontandemos aufgrund des Rechts auf freie Meinungsäusserung möglich sein müssen.
Welche Rolle spielte Nicolas A. Rimoldi bei der Grossdemo?
Die weiteren Vorwürfe gegen Nicolas A. Rimoldi sind im Vergleich dazu geselllschaftlich von tieferer Relevanz. Die Staatsanwaltschaft wirft dem Mass-Voll-Präsidenten vor, er soll er an einer weiteren unbewilligten Demo am 1. September 2021 ebenfalls für massive Verkehrsbehinderungen verantwortlich sein. Damals blockierten rund 1500 Demonstranten die Strassen (zentralplus berichtete).
Rimoldi bestreitet, diese Kundgebung organisiert und angeführt zu haben. Er sei lediglich spontan dazugestossen und die Polizisten vor Ort hätten sich an ihn gewendet, um die Route abzusprechen. «Egal, wo ich bin, ich bin immer der Organisator», meinte Rimoldi dazu. Dabei habe er noch nicht mal ein Transparent dabei gehabt.
Dem widerspricht die Staatsanwaltschaft. Nicolas A. Rimoldi sei an vorderster Front gelaufen und es gebe Bilder von ihm mit einem Transparent. Ausserdem habe er telefonisch die Freiheitstrychler gelotst, damit sie sich dem Demonstrationszug anschliessen können.
Wie nahe ist zu nahe?
Ein weiterer Vorwurf an Rimoldi betrifft den Auftritt von Mass-Voll während eines Bundesratsbesuch im Verkehrshaus (zentralplus berichtete). Davon existiert ein Video, das der Luzerner selber ins Netz gestellt hat – und das in der Verhandlung auch gezeigt wurde.
Zu sehen ist, wie die damalige Co-Präsidentin mehrfach einem Polizisten auf die Pelle rückt und ihn anschreit. Daraufhin schupft der Mann sie weg. Nicolas A. Rimoldi stellt sich dann vor seine Mitstreiterin und baut sich vor dem Polizisten auf. Nur wenige Zentimeter trennen den grossgewachsenen 27-Jährigen vom Beamten. Der Rauch von Rimoldis Zigarre weht diesem ins Gesicht.
«Wenn Grundrechte zu einem Privileg werden, dann ist Widerstand Bürgerpflicht.»
Nicolas A. Rimoldi
Die Staatsanwaltschaft erblickt darin eine «Störung des Polizeidienstes». Rimoldi selber räumt in der Verhandlung ein, dass dem Polizisten zu nahe gekommen sei. Im Video ist zu sehen, dass er dem Polizisten die Hand hinstreckt. «Um mich zu entschuldigen», sagt Rimoldi.
Der Polizist sagt in der Verhandlung, er habe sich vom Mass-Voll-Präsidenten bedroht gefühlt. Der Verteidiger schenkt dem keinen Glauben. Er beruft sich darauf, dass nirgendwo festgehalten sei, wie nahe man einem Polizisten im Dienst kommen dürfe.
Ohne Maske, dafür mit Zigarillo
Der einzige Vorwurf, der direkt mit den Corona-Massnahmen zu tun hat, bezieht sich auf einen Vorfall Ende Dezember 2020. Damals haben zwei Bahnpolizisten Nicolas A. Rimoldi ohne Maske aus dem Zug steigen sehen – einen Zigarillo rauchend.
Einer der beiden sagte in der Verhandlung aus, der Massnahmenkritiker habe ihm sein Maskenattest nicht zeigen wollen und sich geweigert, das «Stümpli» auszumachen. Deshalb habe er ihn angezeigt.
Das Arztzeugnis war ungültig
In der Befragung stellte sich zwar heraus, dass Nicolas A. Rimoldi seinem Kollegen durchaus das Attest zeigte, das er bei sich trug. Er hinderte ihn allerdings daran, dieses zu fotografieren. Aus gutem Grund, wie die Staatsanwaltschaft meint.
Es war nämlich von einem Arzt ausgestellt worden, der als Corona-Skeptiker schweizweite Bekanntheit erlangte, weil er Maskendispensen schrieb, ohne die Patienten zu untersuchen. «Es handelt sich dabei nicht um ein rechtsgültiges Arztzeugnis, sondern lediglich um eine Empfehlung», so der Staatsanwalt.
Rimoldi wich der Frage aus, ob der Arzt ihn vor der Ausstellung des Attests untersucht habe. Er erinnere sich nicht mehr, ob er in seiner Praxis war, meinte er. Inzwischen sei der Mann aber sein offizieller Hausarzt und er habe ihn auch schon zu Hause aufgesucht.
Lex Mitior heisst das Zauberwort
Klar ist: Seit Januar 2021 besitzt Rimoldi ein gültiges Arztzeugnis, das ihn von der Maskentragepflicht entbindet. Aus Sicht der Staatsanwaltschaft muss er für den Vorfall im Dezember 2020 aber dennoch verurteilt werden, weil er zu diesem Zeitpunkt noch kein richtiges Attest hatte.
Dem widerspricht die Verteidigung. Aus ihrer Sicht muss bei der Beurteilung solcher Vorwürfe jeweils das mildeste Recht angewandt werden. Und heute sieht die Covid-Verordnung keine Maskenpflicht mehr vor. Lex Mitior heisst dieser Rechtsgrundsatz. Gleich hatte vor einiger Zeit die Staatsanwaltschaft Zug argumentiert – und ein Verfahren wegen Verstosses gegen die Maskenpflicht eingestellt (zentralplus berichtete).
Verteidigung fordert vollumfänglichen Freispruch
Wird das Bezirksgericht dieser Argumentation folgen? Das ist noch offen. Der zuständige Einzelrichter kündigte an, dass Urteil «so schnell wie möglich» schriftlich zu fällen. Bis zu einer rechtskräftigen Verurteilung gilt die Unschuldsvermutung. Und die Anträge, über die der Richter zu befinden hat, gehen weit auseinander.
Die Staatsanwaltschaft fordert für alle Delikte zusammen eine bedingte Geldstrafe von 80 Tagessätzen à 80 Franken. Die 6400 Franken müsste Nicolas A. Rimoldi nur im Wiederholungsfall zahlen. Sofort fällig würde eine Verbindungsbusse von 1600 Franken sowie eine Übertretungsbusse von 500 Franken.
Die Verteidigung hingegen fordert einen vollumfänglichen Freispruch.
Befremdliches Verhalten des Publikums
Nicolas A. Rimoldi betonte in seinem Schlusswort, dass er hinter den Vorwürfen gegen ihn politisches Kalkül vermutet. Verhielt er sich während der Verhandlung ruhig und gefasst, holte er in den letzten Verhandlungsminuten zu einem Monolog aus. «Wenn Grundrechte zu einem Privileg werden, dann ist Widerstand Bürgerpflicht», sagte er.
Die Gesellschaft sei durch die Corona-Massnahmen «in die Hölle» geschickt worden. Die Jungen hätten am stärksten gelitten, die Würde der Menschen sei mit Füssen getreten worden. «Ich sitze hier stellvertretend für alle, die sich gewehrt haben», meinte er. Von seinen Anhängern im Gerichtssaal erntete er dafür Applaus. Als handle es sich bei einer Gerichtsverhandlung um ein Theater. Und bei Rimoldi um den Helden auf der Bühne.
- Teilnahme an der Verhandlung
- Urteil 119 IV 301 des Bundesgerichts betreffend Nötigung
- Artikel in der «Sonntagszeitung»