Zuger Obergericht spricht Landesverweis aus

Samira nervt, Samira muss gehen

Das Zuger Obergericht heisst die Berufung der Zuger Staatsanwaltschaft gut. (Bild: mma)

Sie stiehlt, nimmt Drogen, fährt schwarz. Nach mehr als 100 Verurteilungen muss Samira Ristic* die Schweiz verlassen. Das entscheidet das Zuger Obergericht und macht wahr, wovor der Staat die Serbin seit Jahren gewarnt hat.

Ist es Galgenhumor? Oder Verachtung? An einem Montag im August dreht sich Samira Ristic* im Foyer des Zuger Strafgerichts zu Staatsanwalt Laurent Rossé um. Nach der Pause wird dieser drei Jahre Gefängnis, 30 Tagessätze Geldstrafe und fünf Jahre Landesverweis für die Beschuldigte Ristic fordern – wegen gewerbs- und bandenmässigen Diebstahls sowie Hausfriedensbruchs.

Unmittelbar vor dessen Plädoyer sagt die zierliche Frau zum Staatsanwalt, einem grossen, gestandenen Mann: «Das wird sicher lustig. Bei Ihnen gibt es immer etwas zu lachen.»

Obergericht gibt Staatsanwaltschaft recht

Es ist ein Dialog, wie es ihn zwischen Beschuldigten und Strafverfolgern wohl selten gibt. Auch sonst fällt Ristic immer wieder auf an den zwei Tagen, an denen sie vor Gericht steht. Die 27-Jährige benimmt sich wie in der zweiten Klasse, zappelt auf ihrem Stuhl herum oder legt den Kopf auf der Tischplatte ab, während es um ihre Zukunft geht. Wahrscheinlich interessiert sie tatsächlich nicht, was die Erwachsenen besprechen. Die Vorwürfe der Staatsanwaltschaft hat sie ohnehin längst eingestanden.

Laut der Anklage hat die Beschuldigte über 50 Diebstähle begangen, einen Teil davon mit einer Freundin, mit der sie mehrmals Parfüm aus Zuger Drogerien gestohlen hatte. «Parfüm-Diebinnen vor Gericht» titelte deshalb die «Zuger Zeitung», die den Prozess begleitete und das Urteil gegen Ristic vermeldete: 23 Monate Gefängnis, sieben Tagessätze Geldstrafe, 250 Franken Busse. Und: kein Landesverweis. «Um 17.03 Uhr am Mittwochnachmittag hat die Serbin also Gewissheit: Sie darf hier bleiben und muss nicht in ein Heimatland, das sie nur aus den Ferien kennt», schrieb die Zeitung im August 2022.

Doch jetzt zeigt ein neues Urteil des Zuger Obergerichts: Samira Ristic muss doch gehen. In zweiter Instanz und nach einer Berufung durch die Zuger Staatsanwaltschaft kippt das Gericht den Entscheid der Vorinstanz.

Sechs Jahre, 115 Vorstrafen

Diese war noch von einem schweren, persönlichen Härtefall ausgegangen und sah deshalb vom Landesverweis ab. Anders sieht das nun das Obergericht unter dem Vorsitz von Verfahrensleiter Andreas Sidler. In seinem 34-seitigen Urteil schreibt es etwa, die Serbin sei zwar in der Schweiz geboren und aufgewachsen, hier aber praktisch nicht integriert.

Der Fall Samira Ristic ist die Geschichte eines Menschen, der seit Jahren mit der Staatsgewalt aneinandergerät und keine Anstalten macht, sich zu bessern. Laut dem Urteil des Obergerichts handelte sich die heute 27-Jährige zwischen Juni 2016 und April 2022 ganze 115 Strafen ein – 1,64 pro Monat. Wegen Marihuana-, Haschisch- oder Kokainkonsums (acht Fälle), Schwarzfahrens (13 Fälle), «Befahren des Bahnbetriebsgebietes ohne Erlaubnis mit Kickboard» (ein Fall) oder Ladendiebstahls (72 Fälle). Samira Ristic begeht Bagatelldelikte, keine Kapital-, schon gar keine Gewaltverbrechen. Im Kern tut sie eines: Sie nervt. Aber das heftig.

«Wenn Sie nochmals delinquieren sollten, können Sie ein neues Leben in Serbien anfangen.»

Philipp Frank, Präsident des Zuger Strafgerichts

Das Obergericht schreibt, die Konstanz und die «Häufigkeit der Delinquenz über Jahre hinweg» deute darauf hin, «dass die Beschuldigte nicht nur keinerlei persönliche Motivation aufweist, um ein gesetzeskonformes Leben zu führen, sondern auch behördenseitig weder mit präventiven noch mit repressiven Massnahmen erreichbar» sei. So hätten weder vorläufige Festnahmen, Untersuchungshaft und frühere Anträge zu langjährigen Gefängnisstrafen und Landesverweisen die Beschuldigte vor weiteren Taten abgeschreckt. Zudem bestehe bei Ristic, die seit Jahren von der Sozialhilfe lebt, weder der Wille zu arbeiten noch für den eigenen Unterhalt zu sorgen und sie stehle «zumindest zum Teil» auch, um ihren Lebensunterhalt zu verdienen.

Die Warnung des Strafgerichts ging ins Leere

Darüber hinaus sei es der arbeitsfähigen und kinderlosen Beschuldigten zuzumuten, in Serbien ein neues Leben anzufangen – auch wenn sie ihr Heimatland nur aus den Ferien kenne und sie dort wohl schlechtere Strukturen erwarteten: «Ein allenfalls tieferes wirtschaftliches Niveau wie auch eine allenfalls nicht optimal arbeitende staatliche Vewaltung sind nur untergeordnet von Bedeutung», schreibt das Obergericht. Und: «Auf jeden Fall erscheinen die Chancen der Beschuldigten auf eine Integration in Serbien nicht schlechter als die Chancen auf eine Integration (...) in der Schweiz.»

Heisst unter dem Strich: Samira muss gehen. Das aber erst, nachdem sie ihre 23 Monate Freiheitsstrafe abgesessen hat, die sie laut dem Obergerichtsurteil im Januar hat antreten müssen. Und so tritt doch noch ein, was Philipp Frank, der Präsident des Zuger Strafgerichts, an seiner Urteilsbegründung im August zum abgewendeten Landesverweis gesagt hatte: «Sie kommen hier mit einem blauen Auge davon. Wenn Sie nochmals delinquieren sollten, können Sie ein neues Leben in Serbien anfangen.» Die Warnung ging offensichtlich ins Leere.

*Name geändert

Verwendete Quellen
  • Urteil S 2022 48 des Zuger Obergerichts
  • Artikel in der «Zuger Zeitung»
  • Weiterer Artikel in der «Zuger Zeitung»
  • Besuch der Verhandlung/Urteilsverkündung vom 22. und 24. August 2022 am Zuger Strafgericht
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7 Kommentare
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    M. Schmidig, 16.02.2023, 09:41 Uhr

    Ich verstehe nicht, weshalb Menschen, die in der Schweiz geboren wurden und das ganze Leben hier gelebt haben, ausgewiesen werden.
    Die Schweiz ist ihr Zuhause.
    Die Frau hat offensichtlich massive psychische Probleme: Mangelnde Impulskontrolle, Unruhe, Unaufmerksamkeit, Unfähigkeit, sich ihr Leben ohne kriminelle Handlungen zu organisieren.
    Was würde man tun, wenn sie den Schweizer Pass hätte?

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    • Profilfoto von Melk Christen
      Melk Christen, 17.02.2023, 09:08 Uhr

      Ich sehe das auch so. Es geht weiterhin gegen mein Gerechtigkeitsempfinden, dass bei uns die Strafen für vergleichbare Vergehen ganz unterschiedliche Ausmasse haben. Einer ist Schweizer, der wird, wie sehr er queruliert und delinquiert, immer in seiner Heimat bleiben können, eine Person wie Frau Ristic hingegen wird als Folge dem Umfeld, in welchem sie ihr ganzes Leben verbracht hat, nun endgültig entrissen. Das sind als Strafen zwei ganz verschiedene Paar Schuhe.

      Aber klar, wenn man sie einfach als «Ausländerin» betrachtet und erst noch denkt, ein solches Verhalten sei mit «die hat einen schlechten Charakter» bereits ausreichend erklärt, dann kann mit einer solchen Ungerechtigkeit wohl leben.

      Es ist wahrlich nicht anzunehmen, dass sich ihr Leben in Serbien zum Besseren wenden wird. Natürlich, das ist dann nicht mehr unser Problem, vor allem kostet sie uns dort nichts mehr. Und nur darum geht es den meisten Leuten wohl. Ich habe aber einfach Mühe damit wie absehbar es ist, dass wir Personen wie Samira Ristic in ihr endgültiges Verderben schicken – und eine Mehrheit das so achselzuckend gleichgültig hinnehmen kann, ja sogar klar unterstützt.

      Tatsächlich hätte sie eine psychologisch-psychiatrische Untersuchung gebraucht und die entsprechende Behandlung erhalten sollen.

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      • Profilfoto von Doris Wernli
        Doris Wernli, 17.02.2023, 09:53 Uhr

        Es gibt für Schweizer und Ausländer tatsächlich unterschiedliche Regelungen. So wie überall. Das Schweizer Stimmvolk hat darüber abgestimmt und war mehrheitlich dafür.

        Denken Sie tatsächlich, dass wenn ein Schweizer in irgend einem anderen Land 115 Straftaten begeht, dass dort seine Aufenthaltsbewilligung verlängert wird? Ausländer werden andernorts wegen deutlich geringeren Vergehen dem Lande verwiesen.

        Und noch ein Punkt: Woher wissen Sie, ob die Frau nicht bereits psychologisch betreut wurde? Ich bin überzeugt, dass sich in der Vergangenheit zahlreiche Ämter und Fachstellen der Frau angenommen hatten.

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        • Profilfoto von Melk Christen
          Melk Christen, 17.02.2023, 20:08 Uhr

          Ich weiss nicht, ob Frau Ristic allenfalls schon mal psychologische Hilfe angeboten wurde. Das ist durchaus möglich. Das ändert aber doch nichts daran, dass sie die Hilfe offensichtlich immer noch oder endlich bräuchte. Sollte sie z. B. an einer Entwicklungsstörung leiden, und so klingt es für mich, dann ist das nichts, das man mal schnell wegtherapieren kann. Denn dann hat man bleibende Einschränkungen. Mit welchen man aber zu leben lernen kann, sofern man die nötige Hilfe erhält.

          Und grundsätzlich haben Sie selbstverständlich Recht: So gut wie alle, wenn nicht alle Länder würden sie ebenfalls des Landes verweisen. Aber, na und? Ist es deswegen denn richtig? Es wird mir ja wohl erlaubt sein, diese Handhabung ganz grundsätzlich zu kritisieren. Ich finde sie auch in anderen Ländern falsch.

          Und Entscheide der Schweizer Stimmbevölkerung, die habe ich zu akzeptieren. Das ist doch völlig klar. Aber das ist doch nicht gleichbedeutend damit, dass ich mit dem Entscheid an sich plötzlich einverstanden wäre. Persönlich finde ich ihn weiterhin nicht richtig. Auch das werden Sie mir lassen müssen.

          Es ist halt ganz ehrlich meine persönliche Meinung: Ein Mensch, der von klein auf in der Schweiz gelebt hat, der ist hier zu Hause. Auch ohne Schweizer Pass. Selbst als schlecht integrierter Mensch. Es gibt nun mal Menschen, die nirgends ganz dazugehören. Es ist absurd zu meinen, der Pass, das Papier an sich, entscheide darüber, wo jemand zu Hause ist. Der Pass, die Staatszugehörigkeit, das ist eine technisch-rechtliche Ebene, die mit jener der gefühlten, erlebten Heimat nicht gleichgesetzt werden kann. Wir sind in erster Linie Menschen, nicht Staatsangehörige.

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  • Profilfoto von Daniela Baumann
    Daniela Baumann, 14.02.2023, 17:10 Uhr

    Bravo endlich mal ein konsequentes Urteil.
    Andere arbeiten , und müssen schauen wo sie bleiben.

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  • Profilfoto von Philip C. Brunner
    Philip C. Brunner, 14.02.2023, 14:42 Uhr

    Danke Herr Küttel für diese Einblicke, ich zitiere Sie: «Der Fall Samira «Ristic» ist die Geschichte eines Menschen, der seit Jahren mit der Staatsgewalt aneinandergerät und (überhaupt red.) keine Anstalten macht, sich zu bessern. Laut dem Urteil des Obergerichts handelte sich die heute 27-Jährige zwischen Juni 2016 und April 2022 ganze 115 Strafen ein – 1,64 pro Monat. Wegen Marihuana-, Haschisch- oder Kokainkonsums (acht Fälle), Schwarzfahrens (13 Fälle), (…) oder Ladendiebstahls (72 Fälle). Samira Ristic begeht Bagatelldelikte, keine Kapital-, schon gar keine Gewaltverbrechen. Im Kern tut sie eines: Sie nervt. Aber das heftig.» Darum ist der Entscheid Frau Ristic des Landes zu verweisen richtig: Denn (Zitat): «Auf jeden Fall erscheinen die Chancen der Beschuldigten auf eine Integration in Serbien nicht schlechter als die Chancen auf eine Integration (…) in der Schweiz.» (Ende Zitat). Ich danke allen involvierten Kreisen (Polizei, Justizbehörden usw.) und vorallem dem Obergericht des Kanton Zug in diesem Falle endlich durchzugreifen, denn es «reicht» Frau «R.» schon lange.

    Philip C. Brunner, Kantonsrat, SVP, Zug

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    • Profilfoto von Pajni
      Pajni, 16.02.2023, 23:28 Uhr

      Ja sie ist Kriminelle , hat Drogen sucht und anscheinend Kleptomanisch ,aber Nicht Integriert ist etwas anderes .
      Rechtfertige Samira ferhalten keinster Weise aber so manche Schweizer wäre auch nicht integriert we Wenn man Samira Fall als nicht Integriert beurteilen sollte,wäre so mancher Schweizer es auch nicht .
      Anscheinend hört Gleichberechtigung auf wenn es um Kriminelle Ausländer geht die kein nutzen für denn Staat sind .

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