Kantonsgericht rüffelt Luzerner Polizei

Polizei zwang 72-Jährige, sich auszuziehen – das ging zu weit

Die Luzerner Polizei führt bei Verhaftungen in gewissen Fällen grundsätzlich Leibesvisitationen – das ist rechtswidrig. (Bild: bic)

Die Luzerner Polizei hat im Februar eine Frau verhaftet, weil sie sich gegen eine Hausdurchsuchung wehrte. Bevor die Rentnerin in die Zelle gebracht wurde, musste sie sich für eine Leibesvisitation ausziehen. Das war rechtswidrig, sagt nun das Kantonsgericht.

Eine 72-Jährige ist davon überrumpelt worden, dass die Luzerner Polizei mitten in der Nacht in ihre Wohnung stürmte. Die Polizisten suchten den Sohn der Rentnerin. Allerdings nicht, weil dieser etwas verbrochen hätte, sondern weil er aus der Psychiatrie entwichen war. Die Frau reagierte irritiert. Weil sie laut schimpfte und einem der Polizisten leicht ins Bein kickte, wurde sie umgehend festgenommen.

Sie wurde ins Hauptgebäude der Luzerner Polizei transportiert und dort einer Leibesvisitation unterzogen. Zuerst musste sie ihr Oberteil und Unterhemd ausziehen, sodass ihr Oberkörper komplett nackt gewesen sei. Nachdem sie ihr Unterhemd und Oberteil wieder angezogen hatte, musste sie ihre Hose und Unterhose ausziehen, sodass auch ihr Unterkörper komplett nackt gewesen war. Danach wurde sie in eine Zelle gesperrt.

Rentnerin empfand die Leibesvisitation als menschenunwürdig

Aus Sicht der Frau ist klar: Die Leibesvisitation der Luzerner Polizei war menschenunwürdig schikanös. Es hat nur dazu gedient, sie einzuschüchtern und herabzuwürdigen. Sie legte am Kantonsgericht eine Beschwerde ein.

Die Luzerner Polizei brachte dort vor, dass die Frau ein aggressives und unberechenbares Verhalten an den Tag gelegt habe. Die Leibesvisitation sei auch aus Gründen ihres Schutzes angebracht gewesen – um zu verhindern, dass sie sich selbst etwas antun könnte.

Nach der Festnahme verhielt sich die Frau ruhig

Die Frau meinte zwar, es hätte nie damit gerechnet werden müssen, dass sie gefährliche Gegenstände auf sich trug. Aus Sicht der handelnden Polizei ist das aber nicht der Fall. Eine solche Annahme wäre ein «rein spekulativer Art», wie sie in einer Stellungnahme ans Gericht schrieb. Daran ändere auch das hohe Alter der Beschuldigten nichts.

Das Kantonsgericht sieht das anders. Die Frau hat zwar einen Polizisten getreten, als sie im Pyjama die Türe öffnete und mehrere Männer in ihre Wohnung eindrangen. Aber: «Sie liess sich widerstandslos festnehmen und der anschliessende Transport zum Hauptgebäude der Luzerner Polizei verlief ohne Probleme», wie es im Urteil heisst.

Beschuldigte auszuziehen ist nur in Ausnahmefällen erlaubt

Für die Durchführung einer Leibesvisitation aus Gründen der Selbst- oder Fremdgefährdung müssen konkrete Anhaltspunkte vorliegen. Als solche gehören namentlich der Tatvorwurf eines Gewaltdelikts, ein aggressives Verhalten der betroffenen Person sowie die Umstände der Festnahme. Eine Beschuldigte anzuweisen, sich zu entkleiden, ist nur zulässig wenn der Verdacht besteht, die betreffende Person habe Gegenstände am Körper versteckt, die bei blossem Abtasten über den Kleidern nicht gefunden werden könnte.

Vorliegend war dies aus Sicht des Kantonsgerichts nicht der Fall. «Es gab keine konkreten Anhaltspunkte für eine Selbst- oder Fremdgefährdung, die ausnahmsweise eine Leibesvisitation hätten rechtfertigen können», heisst es im Urteil.

Leibesvisitation gehört bei der Luzerner Polizei zum Standard

Der Entscheid muss die Praxis der Luzerner Polizei nachhaltig verändern. Das Kantonsgericht hält nämlich klar fest, dass in jedem Einzelfall geprüft werden muss, ob ein Eingriff in die Grundrechte durch eine Leibesvisitation verhältnismässig ist. Im vorliegenden Fall argumentierten die Polizisten, es gebe einen Dienstbefehl für Leibesvisitationen, der durchgeführt worden sei.

Dienstbefehle dienen dazu, Abläufe – wie beispielsweise den Hafteintritt – zu standardisieren. Aber: Es befreit die Polizistinnen nicht von der Pflicht, die Verhältnismässigkeit zu wahren. «Bei festgenommenen Personen in aller Regel oder zumindest sehr weitgehend eine Leibesvisitation durchzuführen ist nicht akzeptabel», heisst es dazu im Urteil.

Damit bestätigt das Kantonsgericht die Haltung des Bundesgerichts. Dieses hatte beispielsweise im Fall der festgenommenen ehemaligen Kantonsrätin Heidi Joos festgehalten, dass eine Leibesvisitation nicht gerechtfertigt ist (zentralplus berichtete).

Verwendete Quellen
  • Urteil 2N 22 37 des Kantonsgerichts Luzern
  • Mailkontakt mit dem Anwalt der Frau
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