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Eine heute 50-Jährige soll 2020 in Meierskappel ihre Mutter ermordet haben. Sie wurde erstinstanzlich verurteilt. Die grosse Frage bis heute: War es wirklich Mord?
«Ich bin ein Monster.» So sagte es die heute 50-jährige St. Gallerin Ende 2023 vor dem Luzerner Kriminalgericht. Und weiter: «Dann habe ich meine Mutter zurückgestossen, sie hat gestossen, ich habe gestossen. Es war ganz, ganz viel Blut. Ich musste die Blutung stillen, irgendwann habe ich ein Kissen gefunden, ich wollte es ihr unter den Kopf schieben. Sie hat mich so beschimpft, sie hat nicht aufgehört, sie hat einfach nicht aufgehört.»
Bis sie sich zu diesem Eingeständnis durchgerungen hatte, brauchte es aber mehrere Anläufe. Das geht aus einem begründeten Urteil des Luzerner Kriminalgerichts hervor, das am Samstag freigegeben wurde. Der Vorwürfe, wegen denen die Frau im Dezember 2023 vor Gericht stand: versuchter Mord und Mord. Sie soll im April 2020 ihre Mutter in Meierskappel umgebracht haben. Vermutlich wegen Geld.
Mord oder Tötung im Affekt?
Es ging mutmasslich um ein zerrüttetes Mutter-Tochter-Verhältnis, finanzielle Abhängigkeit und Streit um ein Erbe. Zuvor soll sie bereits versucht haben, die gutbetuchte Seniorin mit einem Frostschutzmittel zu vergiften. Diese überlebte vermutlich nur, weil sie zufälligerweise gerade wegen Knieproblemen beim Arzt war, als die Vergiftungssymptome eintraten und sie sofort in die Notfallaufnahme eingeliefert wurde.
Das Kriminalgericht verhängte für die 50-Jährige schliesslich eine lebenslängliche Freiheitsstrafe (zentralplus berichtete).
So kam es zum mutmasslichen Mord in Meierskappel
Laut der Anklage soll drei Monate vor der Mordtat Folgendes passiert sein: Im Januar 2020 besucht die Tochter ihre Mutter in deren Villa in Meierskappel. Die Mutter ist gut betucht, verfügt über ein Vermögen, das mindestens sechs Millionen Franken beträgt.
Die Mutter war lange für das Leben ihrer Tochter aufgekommen, finanzierte einen Reitstall mit 20 Pferden, den die Tochter in der Ostschweiz betreibt.
Ebenso zahlte sie deren Schulden, die am Ende über 100’000 Franken betragen haben sollen. Im Herbst 2019 aber hat die Mutter den Geldhahn zugedreht, wenige Monate später will die Tochter eine Aussprache.
Zum Treffen bringt die Tochter Gipfeli mit – und zwei Becher Kaffee. Die Mutter trinkt ihren aus. Und hat laut der Staatsanwaltschaft unglaubliches Glück, dass sie wenig später einen Hausarzttermin hat. Beim Arzt wird der Seniorin schlecht, sie muss sich übergeben, die Symptome werden immer schlimmer, die Frau muss mit der Ambulanz ins Spital. Die Rentnerin erlitt ein akutes Nierenversagen und eine Lungenentzündung. Auslöser ist laut den Strafverfolgern eine Substanz namens Ethylenglykol – ein Frostschutzmittel, das die Tochter zuvor in den Kaffee ihrer Mutter gekippt haben soll.
Nach dem gescheiterten Giftanschlag enterbt die Mutter ihre Tochter, vermacht ihr Millionenvermögen einem von ihren Söhnen, offenbar ihrem Lieblingsenkel. Dafür will sich die Beschuldigte laut Anklage rächen.
Zusammen mit einer Kollegin fährt sie laut der Anklageschrift zum Anwesen in Meierskappel. Weil die Mutter die Tür nicht öffnet, steigt die Tochter über ein offenes Fenster ein. Im Gang kommt es zum Streit, zu einem «heftigen Kampf» am Fuss einer Treppe, wie es in der Anklage heisst. Die Mutter geht zu Boden, die Tochter nimmt ihren Kopf, schlägt ihn auf eine Treppenstufe, mindestens 17-mal. Die Seniorin trägt mehrere Brüche davon, dann holt die Tochter ein Kissen aus der Waschküche, drückt es der Mutter aufs Gesicht – so lange, bis diese sich nicht mehr bewegt.
Die Mutter ist tot, die Tochter kehrt zu ihrer Kollegin zurück, fährt mit dieser in einen Wald, zieht sich unterwegs um und verbrennt ihre Kleider.
Das will diese nicht hinnehmen. Sie legte Berufung ein. Die Berufungsverhandlung ist noch pendent. Die Verteidigung plädierte vor dem Kriminalgericht auf Totschlag. Die grosse Frage: War es Mord oder eine Affekthandlung im Streit? Die Beschuldigte plädierte auf Letzteres. Das Kriminalgericht und die Staatsanwaltschaft tendierten zu Ersterem.
Mal lebte Mutter noch, mal war die Bekannte Täterin
Dafür würden mehrere Punkte sprechen. So soll sie für ihren Sohn, der damals bei seiner Grossmutter wohnte, einen Termin arrangiert haben, damit er ausser Haus war. Auch habe sie eine Kollegin – welche zu 14 Monate Haft verurteilt wurde – als Fluchtfahrerin zur Tat mitgenommen.
Was weiter gegen eine Affekthandlung sprechen würde: Die Beschuldigte gab in den Einvernahmen und vor Gericht sehr widersprüchliche Angaben an und rückte nur langsam immer näher an das heran, was die Staatsanwaltschaft und das Kriminalgericht für die Wahrheit halten.
Bei der ersten Einvernahme erzählte die Frau noch, dass ihre Mutter sie angegriffen habe, woraufhin es zu einem Kampf gekommen sei. Als sie gegangen sei, habe die Mutter ihr noch von der Türe aus nachgerufen. Sie gehe aber nicht davon aus, dass sich noch jemand anderes im Haus befunden hatte.
Ein nächstes Mal erzählte sie, dass sie aus der Einlegerwohnung Geräusche gehört habe, wie wenn ein Stuhl oder ein Tisch verschoben worden wäre.
In einer anderen Einvernahme – auf ihren eigenen Wunsch hin – erzählte die Beschuldigte, dass die Atemschutzmaske, die sie angeblich wegen Corona getragen hatte, «irgendwie» in den Mund ihrer Mutter geraten sei. Sie habe sie gestossen, woraufhin die Seniorin gestürzt sei.
Wiederum ein anderes Mal erzählte sie, dass ihre Bekannte, die laut Staatsanwaltschaft vor dem Haus beim Auto wartete, doch im Haus gewesen sein soll und auf die alte Frau eingeschlagen habe – diese Aussage zog sie scheinbar schnell wieder zurück.
Kriminalgericht sieht Mord – wenn auch nicht zwingend geplant
Schliesslich gelangte sie doch zum Teilgeständnis: Ja, sie habe ihre Mutter getötet. Aber nicht mit Absicht. Bei dieser Version blieb die St. Gallerin auch vor Gericht. Es sei zum Streit gekommen, die Mutter habe sie beschimpft und gekniffen. Sie habe ihre Mutter niemals umbringen wollen. Sie wisse nur noch, dass sie gewollt habe, dass diese ruhig sei und einfach nicht mehr rede.
Das Kriminalgericht glaubte dies aber nicht. Die Beschuldigte passe ihre Aussagen jeweils an die Beweislage an. Das mache sie unglaubhaft. Und zum Teil seien sie widersprüchlich. So sagte die Beschuldigte, sie habe der Frau kein Kissen aufs Gesicht gedrückt, ihr ein solches aber unter den Kopf gelegt. Als der Leichtnahm gefunden wurde, lag das Kissen aber auf dem Gesicht.
Wie das Kriminalgericht festhält, gebe es aber auch Punkte, die gegen eine geplante Tat sprechen würden. So habe sie zwar eine Fluchtfahrerin mitgenommen, damit aber auch eine potenziell belastende Zeugin. Ausserdem habe sie sich selbst kein Alibi für die Tat beschafft. Auch sei die Tat selbst chaotisch abgelaufen und entspreche eher nicht einem minutiös geplanten Mord.
Letztlich könne der Beschuldigten nicht zweifelsfrei ein geplanter Mord vorgeworfen werden. Mord sei es aber immer noch. Die Tötung sei nicht aus einer reinen «Impulshandlung» erfolgt, schreibt das Gericht. Die zahlreichen Verletzungen, die der Seniorin zugefügt wurden, zeigten, mit welcher Brutalität die Beschuldigten vorgegangen sein soll. «Die exzessive Art der Tötung zeugt von einer grausamen und kaltblütigen Vorgehensweise», heisst es im Urteil.
Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Als Nächstes muss sich das Kantonsgericht mit der Frage beschäftigen, ob die St. Gallerin ihre Mutter ermordet oder im Affekt umgebracht hatte.
- Begründetes Urteil des Luzerner Kriminalgerichts