Wie unsere Justiz mit Senioren umgeht

Luzerner Rentner-Räuber steht vor Kantonsgericht

Der «Rentner-Räuber» stand heute vor Kantonsgericht. (Bild: zvg)

Der Fall hat über die Region hinaus für Schlagzeilen gesorgt: Ein Luzerner Rentner überfiel die Valiant Bank und die Raiffeisenbank in Meggen. Das Kriminalgericht entschied, dass er nicht ins Gefängnis muss. Jetzt steht er vor Kantonsgericht. Der Fall zeigt, welche Probleme betagte Verbrecher unserem Justizsystem bereiten.

Wer den 84-Jährigen auf der Strasse trifft, sieht das Gesicht eines normalen Grossvaters. Irgendwie sympathisch, leicht gebrechlich. Der Mann aus dem Kanton Luzern hat allerdings eine Seite, die niemand erwartet. 2012 überfiel er die Valiant Bank und 2017 die Raiffeisenbank in Meggen (zentralplus berichtete).

Zusätzlich steht der Rentner an diesem Dienstagmorgen wegen Betruges vor dem Kantonsgericht. Er soll einen Raubüberfall vorgetäuscht haben. Angeblich wurden ihm dabei 3'600 Franken abgeknöpft. Dieses Geld hat er dann von seiner Versicherung zurückbekommen – mutmasslich zu Unrecht.

Kriminalgericht schickte Täter nicht ins Gefängnis

Das Luzerner Kriminalgericht sprach vor rund einem Jahr sein Urteil. Es schickte den Rentner nicht ins Gefängnis, sondern gewährte den bedingten Vollzug für die Freiheitsstrafe von 24 Monaten (zentralplus berichtete). Sowohl Staatsanwaltschaft als auch Verteidigung gingen in Berufung.

Der Verteidiger will, dass der Beschuldigte vom Versicherungsbetrug freigesprochen wird. Die Staatsanwaltschaft ihrerseits fordert vor dem Kantonsgericht eine Freiheitsstrafe von drei Jahren, die nur teilweise zur Bewährung ausgeschrieben wird.

«Einen netten Raubüberfall, ‹ein Räubli›, wie es die Verteidigung nannte, gibt es nicht.»

Staatsanwalt

Die Verhandlung beginnt um 8.30 Uhr. Der inzwischen 84-jährige Bankräuber wirkt ruhig, allerdings auch schwach und geknickt. Er trägt einen beigen Pullover, eine schwarze Hose und eine Brille. Er erzählt dem Gericht nochmals seine Erinnerungen an die Tathergänge.

Es wirkt ein bisschen so, als ob da ein alter Grossvater sitzt, der aus der Vergangenheit erzählt. Und bei dem sich die Altersdemenz langsam bemerkbar macht. Vielfach betont der Mann: «Ich weiss es nicht mehr genau, mein Hirn ist auch nicht mehr das, was es mal war.» Auch mit seinem Gehör kämpft der Mann. So muss er vielfach nachfragen, was der Richter jetzt genau gefragt hat. Die Aussagen des Staatsanwaltes versteht er gar nicht.

Rentner-Räuber bereut seine Taten

Der Beschuldigte sagt, dass es ihm schon in der Untersuchungshaft klar wurde, was er für einen «Seich» gemacht habe. «Es tut mir alles wirklich leid und ich habe mich himmeltraurig gefühlt. Im Nachhinein sagte ich mir, ‹hei bist du dumm! Warum musst du in diesem Alter dies noch machen?›»

Er hat nach eigenen Angaben an beide Banken und an deren Angestellte ein Entschuldigungsschreiben geschickt. Er habe die Angestellten mit den Überfällen nicht erschrecken wollen. «Ich hoffe, dass dieses Schreiben ein bisschen geholfen hat.»

Bei seinen letzten Worten vor Gericht spricht er auch eine Bankangestellte, die im Saal den Prozess mitverfolgt, direkt an. «Ich wollte niemand verletzten und war nicht aggressiv. Das können sie doch auch bestätigen?» Der Richter ermahnt den Mann, die Opfer nicht direkt anzusprechen, sondern dies via Gericht zu tun.

Abschliessend meint der 84-Jährige: «Ich bin schon genug mit meiner schlechten Gesundheit gestraft. Es tut mir leid.»

Staatsanwaltschaft: Zweifacher Bankraub muss härter bestraft werden

Dass sich das Alter und der gesundheitliche Zustand des Rentners strafmildernd auswirken, damit sind alle einverstanden. Die Frage ist nur, wie sehr kann dies ein Strafmass herunterdrücken?

Die Staatsanwaltschaft hat das erstinstanzliche Urteil weitergezogen, weil sie bei diesen Taten eine bedingte Freiheitsstrafe für unangemessen hält. «Es ist kein gutes Zeichen, wenn man zweimal eine Bank überfallen kann, und dann mit einer bedingten Strafe davonkommt», sagt der Staatsanwalt. Und weiter: «Einen netten Raubüberfall, ‹ein Räubli›, wie es die Verteidigung es nannte, gibt es nicht.»

Auch die Geschichte mit dem Überfall auf den Rentner kauft die Staatsanwaltschaft dem 84-Jährigen nach wie vor nicht ab. «Es kann sich durchaus auch eine aussergewöhnliche Geschichte ereignen. Kommen solche aber bei einer Person mehrfach vor – dann ist es eine Frage, wie dies zu bewerten ist.»

Verteidigung will Betrugsvorwurf streichen

Ist der Rentner wirklich selber überfallen worden? Die Frage ist nach den widersprüchlichen Aussagen des Mannes nicht geklärt. «Es ist keine Erfindung, sondern so sind seine Erinnerungen an den Tag», meint sein Verteidiger. Der Fall liege rund zehn Jahre zurück und ein solch dramatisches Ereignis könne niemand detailgetreu wiedergeben.

Dass es auch einen präventiven Effekt habe, wenn Täter hart bestraft werden, glaubt die Verteidigung so nicht. «Generalprävention klingt ja super – ich glaube allerdings, dass dieser Fall deutlich etwas anderes zeigt. Mein Mandant hat sich zu keinem Zeitpunkt überlegt, was für eine Strafe auf ihn zukommt.»

Ob der Mann mit seinen bald 85 Jahren nun doch noch in den Knast muss und die Strafe auf «teilbedingt» geändert wird, bleibt abzuwarten. Das Kantonsgerichts-Urteil wird den Parteien schriftlich mitgeteilt.

Wie geht die Justiz mit alten Tätern um?

Auch ein sympathischer Opa muss vor Gericht gleich beurteilt werden wie andere Täter. Dies betont der Staatsanwalt nach der Verhandlung gegenüber zentralplus. «Bei der Strafzumessung gibt es ein Beurteilungsprogramm.» Bei diesem wird die Tat und der Täter berücksichtigt. Wenn es Gründe gibt für eine Strafminderung, fliesst dies dort ein.

Einen betagten Mann hinter Gitter zu stecken, ist eine andere Hausnummer als bei jungen Männern. Medizinisch oder auch psychisch kommen Herausforderungen auf die Haftanstalten zu. Wie also gehen sie damit um?

«Die aktuelle Infrastruktur ist nicht optimal auf diese Zielgruppe ausgerichtet.»

Flavia Hüppin, Leiterin Stabsdienste bei der kantonalen Dienststelle Militär, Zivilschutz und Justizvollzug

Im Alltag werde grundsätzlich kein grosser Unterschied gemacht, meint Flavia Hüppin dazu. Sie ist Leiterin Stabsdienste bei der kantonalen Dienststelle Militär, Zivilschutz und Justizvollzug. «Im Gefängnis gilt eine allgemeine Arbeitspflicht, unabhängig vom Alter. Bei der Zuteilung von Arbeit wird in jedem Fall die physische und psychische Verfassung beziehungsweise Leistungsfähigkeit der Gefangenen individuell berücksichtigt.»

Egal wie alt die Inhaftierten sind, die medizinische Grundversorgung sei immer sichergestellt. «Bei Bedarf können weitere Unterstützungsleistungen wie medizinisch verordnete Physiotherapie und Spitexeinsätze in Anspruch genommen werden. Dieses Angebot wird durch wöchentliche ärztliche und psychiatrische Visiten ergänzt», sagt Hüppin. Besteht ein darüber hinaus gehender Betreuungs- und Pflegebedarf, kann die Haft in einer spezialisierten Einrichtung (Klinik, Pflegeheim, Spital) vollzogen werden.

Im steigenden Alter wird der Tod ein Thema

Der Verteidiger des Rentners betonte in der Verhandlung mehrmals, dass sein Mandant Angst habe, eine Haftstrafe nicht zu überleben. Psychisch und physisch sei dies zu hart für ihn. Wie erleben dies Rentner, welche schon hinter Gittern sind? Flavia Hüppin gibt uns einen Einblick.

«Ein grosser altersabhängiger Unterschied mit psychischen Problemen lässt sich nicht feststellen – diese sind in allen Altersschichten zu finden, teilweise jedoch mit unterschiedlich gelagerten Themen», sagt sie. Also gleich wie in der Gesellschaft auch. «Die Auseinandersetzung mit dem eigenen Tod wird generell mit steigendem Alter ein Thema.»

Bericht SKJV über die Entwicklung der inhaftierten Personen, im Alter über 60 Jahre. (Bild: SKJV)

Die Zahl alter Menschen hinter Gitter nimmt in Zukunft zu. Dies zeigt ein Bericht des Kompetenzzentrums für den Justizvollzug (SKJV). «Bis im Jahr 2035 wird die Zahl der Senioren im Straf- und Massnahmenvollzug von 267 Personen im Jahr 2018 auf 390 Personen ansteigen (+48 Prozent). Andere Prognosemodelle schätzen den Anstieg der Seniorenpopulation gar auf 498 Personen (+87 Prozent)», schreibt uns auch Flavia Hüppin.

Steigende Anzahl Senioren stellt Gefängnisse vor Probleme

Rund 50 Prozent mehr Senioren hinter Gitter: Dies bedeutet eine Herausforderung. «Beide Justizvollzugsanstalten Wauwilermoos und Grosshof sind mit dieser Entwicklung bereits heute konfrontiert. Die aktuelle Infrastruktur ist nicht optimal auf diese Zielgruppe ausgerichtet. Entsprechende Sanierungen und Erweiterungen in diesem Bereich sind deshalb bereits in Planung», schreibt Flavia Hüppin.

Menschen hinter Gitter brauchen allgemein mehr Betreuung als vor einigen Jahren. «Unabhängig vom Alter stellen wir eine starke Zunahme von Gefangenen mit erhöhtem Betreuungsaufwand fest», so Hüppin. Grund können körperliche, aber auch psychische Erkrankungen sein. «Deren Betreuung gestaltet sich anspruchsvoller und erfordert zusätzliches und speziell ausgebildetes Personal.»

Christoph Urwyler, Projektleiter SKJV, macht auf der Website ein praktisches Beispiel: «Wenn sich ein älterer Gefangener mit dem Rollator fortbewegen muss, nicht mehr selbst aus dem Bett steigen kann und Schwierigkeiten hat, sich im Haftalltag zurechtzufinden, gelangen die Vollzugseinrichtungen heute an ihre Grenzen.»

Verwendete Quellen
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