36 Urteile auf dem Prüfstand

Justiz-Panne: Kantonsrat Zug könnte Schadenersatz fordern

Reicht der Arm der Zuger Justizia bis in die Ostschweiz? (Bild: Adobe Stock)

Weil eine Zuger Richterin einen Umzug nicht meldete, muss das Verwaltungsgericht in bis zu 36 Fällen nochmals über die Bücher. Bernhard Rütsche, Jus-Professor an der Universität Luzern, ordnet die Panne ein.

Richterin Ines Stocker ist im September umgezogen – und zwar in einen anderen Kanton. Das Problem: Es können nur Menschen im Kanton Zug Richterin werden, die auch im Kanton Zug gesetzlich niedergelassen sind. Der Wohnort ist eine Voraussetzung für die Wählbarkeit. Ergo: Wer wegzieht, verliert sein Amt (zentralplus berichtete).

Wie das Zuger Verwaltungsgericht gegenüber zentralplus bestätigt hat, muss es nun in bis zu 36 Fällen nochmals über die Bücher. Konkret haben die Betroffenen das Recht, die Urteile in korrekter Besetzung nochmals fällen zu lassen. Reicht das, um die Panne zu bewältigen? zentralplus hat bei Bernhard Rütsche nachgefragt. Er ist Professor für öffentliches Recht an der Universität Luzern.

zentralplus: Aus Sicht des Verwaltungsgerichts sind die Entscheide, an denen die Richterin mitgewirkt hat, nicht nichtig. Heisst übersetzt: Sie sind an sich gültig und es reicht, wenn die Betroffenen die Möglichkeit bekommen, die Urteile revidieren zu lassen. Teilen Sie diese Meinung?

Bernhard Rütsche: Ja, ich teile diese Meinung. Der Verfahrensfehler – also die Mitwirkung einer Richterin, die das Wohnsitzerfordernis nicht mehr erfüllt – ist nicht derart schwer und offensichtlich, dass sich eine Nichtigkeit rechtfertigen würde. Ausserdem spricht die Rechtssicherheit gegen die Annahme einer Nichtigkeit.

«Richterinnen haften (...) für den Schaden, den sie dem Staat durch vorsätzliche oder grobfahrlässige Verletzung ihrer Amtspflichten zufügen.»

Bernhard Rütsche, Rechtsprofessor Universität Luzern

zentralplus: Wäre es nicht die saubere Lösung, sämtliche betroffenen Urteile in korrekter Besetzung neu zu machen?

Rütsche: Nein, es soll den von den Urteilen betroffenen Parteien freistehen, eine Revision der Urteile zu verlangen.

zentralplus: Juristische Auseinandersetzungen kosten viel Geld. Falls es zu Neubeurteilungen kommt, kann der Kanton sich die Kosten von der Richterin ersetzen lassen?

Rütsche: Behördenmitglieder, zu denen auch Richterinnen gehören, haften dem Kanton für den Schaden, den sie dem Staat durch vorsätzliche oder grobfahrlässige Verletzung ihrer Amtspflichten zufügen. Damit stellt sich die Frage, ob die von der Richterin unterlassene Meldung des Wohnsitzwechsels in einen anderen Kanton als grobfahrlässig eingestuft werden kann. Auch wenn dies der Fall ist, bedürfte es eines Beschlusses des Kantonsrats, um gegen die Richterin Schadenersatzansprüche geltend zu machen.

zentralplus: Drohen allenfalls auch strafrechtliche Konsequenzen? Anders gefragt: Könnte eventuell ein Fall von Amtsanmassung vorliegen?

Rütsche: Soweit mir der Sachverhalt bekannt ist, fehlt es vorliegend an einer rechtswidrigen Absicht, weshalb der Tatbestand der Amtsanmassung nicht erfüllt ist.

Telefon-Panne: Richterin bestreitet Darstellung des Verwaltungsgerichts

Sollte der Kantonsrat beschliessen, Schadenersatz von der Richterin zu verlangen, müsste der Fall allerdings wohl noch genauer untersucht werden. Ganz so klar, wie der Gerichtspräsident den Fall gegenüber zentralplus dargestellt hat, scheint dieser nämlich nicht zu sein.

«Über meinen vollzogenen Wohnsitzwechsel habe ich das Verwaltungsgericht in einem persönlichen Telefonat informiert.»

Ines Stocker

Der «Zuger Woche» ist es gelungen, mit Ines Stocker Kontakt aufzunehmen. Die Antwort von Ines Stocker auf die Frage, wann sie das Gericht über den Wohnortwechsel informiert habe, ist interessant: «Über meinen vollzogenen Wohnsitzwechsel habe ich das Verwaltungsgericht in einem persönlichen Telefonat informiert, nach meiner Erinnerung geschah dies im Verlauf des Oktobers 2021», zitiert die Zeitung die Richterin.

Um mit einer Schadenersatzforderung Erfolg zu haben, müsste sicherlich ermittelt werden, ob es dieses Telefonat gab oder nicht. Gemäss dem Bericht arbeitet Stocker inzwischen in der Rechtsabteilung einer Bank in der Ostschweiz.

Verwendete Quellen
  • Artikel in der «Zuger Woche»
  • E-Mailaustausch mit Bernhard Rütsche
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1 Kommentar
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    Roli Greter, 05.07.2022, 08:10 Uhr

    Bin gespannt ob sich die Kommentierenden des ursprünglichen Beitrages (zp am 25. Juni) hier nochmals zu Wort melden um die Hasskommentare zu beschönigen.

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