Spiess-Hegglin fordert sechsstellige Summe

So schlugen sich Spiess-Hegglin und Ringier vor Gericht

Die Anwältin Rena Zulauf (l.) und ihre Mandantin Jolanda Spiess-Hegglin vor dem Zuger Kantonsgericht. (Bild: wia)

Jolanda Spiess-Hegglin verlangt von Ringier eine Gewinnherausgabe von rund 600'000 Franken. Ringier spricht von einer realitätsfernen Forderung. Überhaupt findet das Medienhaus, dass es gar nicht in der Verantwortung stehe.

Es sei nicht richtig, wenn ein Unternehmen mit dem Leid von Privatpersonen Gewinne schreibt. Nicht richtig, und auch nicht rechtens, wenn es nach Jolanda Spiess-Hegglin geht. Aus diesem Grund fordert die ehemalige Zuger ALG-Politikerin von der Ringier AG die Herausgabe des Gewinns, den das Medienunternehmen 2014 und 2015 mit Artikeln über sie in den Publikationen «Blick», «Blick.ch» sowie «Blick am Abend» erwirtschaftet hatte (zentralplus berichtete).

Hintergrund der entsprechenden Berichterstattung ist die sogenannte «Landammann-Affäre», welche sich im Dezember 2014 in Zug ereignete und die ganze Schweiz über Jahre beschäftigte. An besagter Feier kam es zum Sexualkontakt zwischen der damaligen Kantonsrätin Spiess-Hegglin und einem SVP-Kantonsrat. Darüber, was in jener Nacht genau passierte, wurde medial viel spekuliert und es herrscht in der Öffentlichkeit bis heute Ungewissheit.

Hochkarätiges Ringier-Aufgebot an der Verhandlung

An der Hauptverhandlung am Mittwoch war dies jedoch nicht der Streitgegenstand. Vielmehr ging es um vier Artikel aus dem Hause Ringier. Diese trugen sensationsgierige Überschriften wie: «Jolanda Heggli zeigt ihr ‹Weggli›». Die Artikel wurden vom Gericht 2022 als persönlichkeitsverletzend befunden (zentralplus berichtete). Schon lange sind sie aus den Medienarchiven verschwunden.

Dass Ringier mit den Artikeln einen Gewinn erzielte, ist für die Klägerin nicht akzeptabel. Sie fordert nun die Herausgabe für die mit diesen Artikeln erzielten Gewinne. Die Frage, die diesbezüglich zuvorderst steht: Wie lässt sich der Gewinn für einzelne Artikel überhaupt beziffern?

Dass der Verfahrensgegenstand ein gewichtiger ist, zeigte sich nicht zuletzt im Personalaufgebot, das Ringier zur Verhandlung entsandte. Anders als in der Vergangenheit erschien am Mittwoch nicht nur der Ringier-Anwalt zur Verhandlung, sondern auch eine hochrangige Delegation des Unternehmens. Darunter Steffi Buchli, die «Chief Content Officer» von Ringier Medien Schweiz.

Bis heute gibt es keine Handhabung in der Mediengewinnherausgabe

Spiess-Hegglin und deren Anwältin Rena Zulauf erhoffen sich ein Präzedenzurteil, das Geschädigten eine Handhabung im Umgang mit persönlichkeitsverletzender Berichterstattung ermöglicht. In ihrem Plädoyer bezog sich Zurlauf auf den Fall der ehemaligen Tennisspielerin Patty Schnyder. Ihrem Vater wurde 2006 vom Bundesgericht der Anspruch auf Herausgabe des Gewinns zugesprochen. Später kam es jedoch zu einer aussergerichtlichen Einigung mit Ringier.

Somit gibt es bis heute keine Handhabung im Umgang mit der Gewinnherausgabe von Medienunternehmen. Demnach existiert auch keine Definition, wie sich der durch spezifische Medienartikel erzielte Gewinn zusammensetzt.

Gemäss der Klägerpartei sind die von Ringier ausgehändigten Angaben und Zahlen ungenügend, um den effektiven Gewinn für einzelne Artikel auszurechnen. Entsprechend liess Hegglin von drei Experten ein eigenes Gutachten erfassen: vom ehemaligen Geschäftsführer von T-Online, Ralf Baumann (selig), von der Zattoo-Gründerin Bea Knecht sowie von Hansi Voigt, den man in der Schweiz unter anderem als ehemaligen «20 Minuten»-Chefredaktor und «Watson»-Gründer kennt.

Sie erarbeiteten eine Formel für den generierten Gewinn durch publizierte Artikel, dies sowohl On- als auch Offline. Online seien insbesondere die Ad-Impressions, also die Werbungen in einem Artikel, ausschlaggebend. Zulauf dazu: «Wir gehen bei besagten Artikeln von sechs Ad-Impressions aus, welche pro 1000 Klicks 40 Franken generierten.» Dies entspricht dem Tausend-Kontakt-Preis, kurz TKP.

Gewinn von Printartikeln ist schwierig zu eruieren

Die Klägerpartei rechnet den Erlös bei Onlineartikeln wie folgt: Die Menge an Seitenaufrufen x Anzahl Werbeabbildungen x Franken pro TKP ÷ 1000. Dazu komme eventualiter der Umsatz, der durch Folge-Traffic generiert werde. Um auf den Gewinn zu kommen, ziehe man die Kosten, ab, welche bei der Erarbeitung des Artikels anfallen, sowie die Kosten des Folge-Traffics.

Für Artikel, die in Printmedien erschienen seien, sei die Berechnung deutlich schwieriger, sagte Zulauf in ihrem Plädoyer. Aus diesem Grund schufen die Gutachter ein Punktemodell: Je nachdem, wie prominent ein Artikel in einer Zeitung platziert ist, ob es sich um eine kleine Meldung handelt und ob es sich um Erst- oder Zweitstoff handelt, erhalten die Artikel Punkte. Je mehr, umso höher in der Wertung, umso grösser der erwirtschaftete Gewinn.

Dieser Berechnungsgrundlage zufolge belaufen sich die Forderungen von Jolanda Spiess-Hegglin gegenüber Ringier auf 430'000 Franken. Dazu fordert die Klägerschaft Zinsen von 5 Prozent seit 2014 respektive 2015. Demnach wären es 640'000 Franken, die Spiess-Hegglin von Ringier verlangt.

Ausgangswerte für Werbeeinnahmen divergieren stark

Die beklagte Partei ist mit dieser Forderung so gar nicht einverstanden. «Insgesamt wurden in diesem Modell 74 erfundene Annahmen getroffen, die jeder Grundlage entbehren», äusserte sich Markus Prazeller, der Anwalt des Medienhauses. Dieser wiederum berief sich auf ein Gutachten von Price Waterhouse Cooper, das in diesem Zusammenhang erstellt worden war. Die Berechnungen der Klägerschaft betreffend der Werbeeinnahmen seien realitätsfremd. «Die Klägerin rechnet mit einem TKP von 40 Franken. Durchschnittlich sind es jedoch tatsächlich 7 Franken, wobei sie im Jahr 2014 bei etwa 4 Franken gelegen haben dürften», so Prazeller.

«Bei der heutigen Gesellschaft handle es sich nicht um jene, welche 2014 und 2015 den Blick herausgab.»

Markus Prazeller, Anwalt der beklagten Partei

«Eine Schätzung des Schadens respektive des Gewinns vorzunehmen ist nur dann opportun, wenn es für die Klägerin nicht möglich oder unzumutbar ist, diesen zu beziffern», so Prazeller weiter. Dies sei jedoch hier nicht der Fall. Sich auf das Kantonsgerichtsurteil vom 22. Juni 2022 berufend, erläuterte der Anwalt, dass Ringier sehr wohl der Forderung nachgekommen sei, die Unterlagen zur Bezifferung des Gewinns herauszugeben (zentralplus berichtete). Ringier fordert demnach eine Abweisung der Klage.

Ringier AG sieht sich nicht als verantwortlich in der Sache

Überhaupt befand der Anwalt in seinem Plädoyer: «Es liegen formelle Fehler vor.» Tatsache sei, dass sich die Unternehmensstruktur von Ringier in den letzten Jahren mehrmals verändert habe. Und weiter: «Bei der heutigen Gesellschaft handle es sich nicht um jene, welche 2014 und 2015 den Blick herausgab», so Prazeller. Die heutige Ringier AG sei erst 2019 gegründet worden. «Schuldnerin kann nur die Ringier Art AG sein. Doch diese steht heute nicht vor Gericht. Sie wurde nicht eingeklagt.» Demnach fehle die Passivlegitimation.

Diesen Einwand liess die Klägerin nicht gelten. Zulauf dazu: «Die Beklagte ging in der Vergangenheit immer auf die Sachverhalte ein. Dies entspricht einem Schuldbeitritt.» Zudem verfüge die beklagte Partei über Zugriff auf das gesamte Daten- und Zahlenmaterial der betreffenden Medienerzeugnisse von 2014 und 2015, «als wäre sie damals die Herausgeberin gewesen». Die Umfirmierung der Gesellschaften im Jahr 2020 sei nirgends publiziert worden ausser im Handelsregister. «Wurde sie bewusst unter dem Radar gehalten?», fragte Zulauf während des Prozesses in den Saal.

Daraufhin äusserte sich Prazeller in seiner Replik wie folgt: «Es handelte sich keinesfalls um eine Verschleierung. Grund für die Umfirmierung war eine Umstrukturierung.» Die Mobiliar übernahm damals 25 Prozent des Medienunternehmens.

Klägerin bedauert den Gang vors Gericht

«Ich vertraue nun darauf, dass das Gericht seine Arbeit machen wird», äusserte sich Jolanda Spiess-Hegglin nach der Hauptverhandlung. Und weiter: «Dass heute so viele Vertreter der Ringier AG vor Ort waren, weist auf die Wichtigkeit dieses Prozesses hin.» Hegglins Anwältin ergänzt: «Wir waren immer vergleichsbereit und haben vor acht Jahren bereits den Kontakt gesucht zu Ringier, um den Streit aussergerichtlich zu lösen.» Der Vorschlag von Ringier sei jedoch finanziell sehr schlecht gewesen, weshalb keine Einigung erzielt werden habe können.

Zulauf weiter: «Ich bedauere, dass sich der ‹Blick› damals mit dem ehemaligen Schweizer Botschafter Thomas Borer innert drei Monaten aussergerichtlich auf eine Schadenersatzsumme von über einer Million Franken einigen konnte, dies in unserem Fall jedoch nicht möglich ist.» Und weiter: «Die Möglichkeiten einer für Ringier gesichtswahrenden Einigung sind nun ausgeschöpft.»

Das Urteil im Fall Spiess-Hegglin gegen Ringier wurde an diesem Mittwoch noch nicht gesprochen. Es wird den Parteien schriftlich zugestellt.

Verwendete Quellen
0 Kommentare
Aktuelle Artikel
Apple Store IconGoogle Play Store Icon