Fragliche Zwangsmedikation

Fehler in der Klinik Zugersee sind keine Einzelfälle

Die Klinik Zugersee. Schöne Aussicht, doch im Innern brodelt es gewaltig. (Bild: zvg)

Die grösste Psychiatrie im Kanton Zug steht erneut in der Kritik. Der Klinik unterlaufen wiederholt schwerwiegende Fehler. Der Kanton sieht keinen Handlungsbedarf.

Die Klinik Zugersee bei Oberwil liegt herrlich am Hang, viele Zimmer haben eine fantastische Seesicht. Ein Ort der Ruhe und der Erholung – zumindest von aussen. Im Innern der Klinik brodelt es aber gewaltig. Und das seit Jahren.

zentralplus hat schon zweimal Missstände bei der Medikation von Patientinnen ans Licht gebracht (zentralplus berichtete). Die Klinik sprach im Zusammenhang mit den beiden Fehlern von Einzelfällen. Nun zeigen aber Recherchen der «Zuger Zeitung», dass von Einzelfällen nicht die Rede sein kann.

Gericht hat Klinik Zugersee vielfach gerügt

Seit 2016 leitete das Zuger Verwaltungsgericht 18 Verfahren gegen die Klinik Zugersee in Bezug auf Zwangsmedikation der Patienten. In acht Fällen fand das Gericht formelle Fehler bei der Medikation. Wie etwa im Fall einer Patientin, die sich gegen ihre Zwangsmedikation wehrte. Das Verwaltungsgericht gab ihr letztlich recht, weil die Klinik bei einer solch schwerwiegenden Massnahme zwingend das Vier-Augen-Prinzip hätte anwenden müssen – tat sie aber nicht (zentralplus berichtete).

In vier weiteren Fällen deutet das Gericht an, dass womöglich ein formaler Fehler bei der Medikation vorliegt. Das Gericht ging in diesen Fällen jedoch nicht auf die Beschwerden ein.

Was ist los in Oberwil? Für Bernhard Rütsche, Professor für öffentliches Gesundheitsrecht an der Universität Luzern, sind es auffallend viele Fehler. So sagt er gegenüber der «Zuger Zeitung»: «Hier liegt sicher eine bemerkenswerte Häufung vor. Vor allem, weil es eine Dunkelziffer geben dürfte, da nicht gegen jeden Entscheid Beschwerde erhoben wird.» Rütsche nennt Ressourcenmangel als möglichen Grund für die vielen Fehler. Behandlungspläne seien bürokratisch. Einer gestressten Mitarbeiterin fehle womöglich die Zeit, diesen sauber aufzusetzen.

Tatsächlich herrschen in der Klinik gemäss Berichten von Mitarbeitern teils prekäre Zustände (zentralplus berichtete). Die für die Klinik zuständige Aktiengesellschaft Triaplus hat mittlerweile auf die Kritik reagiert und die Arbeitsbedingungen verbessert. Unter anderem hat die Klinik die Löhne erhöht.

Chefarzt und Kanton spielen die Sache herunter

Der zuständige Chefarzt sieht das Problem aber nicht in den Arbeitsbedingungen. Er glaube nicht, dass wegen Personalmangels mangelhafte Behandlungspläne erstellt worden seien. Und hält allgemein fest: «Man muss bedenken, dass wir pro Jahr etwa 500 fürsorgerische Unterbringungen haben. Das relativiert die Zahl der sehr seltenen Beanstandungen, auch wenn wir das Ziel haben, diese auf Null zu reduzieren.»

Auch die Gesundheitsdirektion des Kantons Zug spielt die Sache herunter. Der Zuger Kantonsarzt habe in der Klinik bisher keine systematischen Fehler ausgemacht. Von den Rügen des Verwaltungsgerichts habe Gesundheitsdirektor Martin Pfister nun auch zum ersten Mal gehört. Er gehe davon aus, dass die formalen Fehler nicht gesundheitsschädigend für die Patienten gewesen seien. Diese Tatsache sei entscheidend.

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2 Kommentare
  • Profilfoto von Pepe
    Pepe, 20.12.2022, 17:10 Uhr

    Dass um die 2000er-Jahre dort Zustände herrschten wie andernorts 1950, habe ich selbst erlebt. Aggressive pflegerische Grundstimmung mit Auswirkung auf die gesamte Stationsstimmung, Verabreichen von Psychopharmakas aus den 60ern mit mehr Nebenwirkungen als Wirkungen, Zwangsmedikationen am Laufmeter, ebenso Isolationen über Tage und Wochen und sogar noch Anwenden von Zwangsjacken, keine Bezugsperson, Arztgespräch 2 mal im Monat.
    Das können höchst traumatische Ereignisse sein, erlebt innert Stunden oder Tagen, mit jahrelangen psychischen und finanziellen Folgen für die Patienten.
    Umso erstaunlicher, um nicht zu sagen schockierender, ist, zu lesen, dass dort anscheinend noch immer zumindest ähnliche Zustände herrschen beziehunsgweise nicht mal jetzt, mehr als 20 Jahre später alle Formalitäten eingehalten werden. Zumal die Gerichtsfälle einen Promilleanteil der effektiv vorgefallenen Misstände sind, da sich Patienten nur sehr sehr selten mit den entsprechenden Rechten auskennen plus dann noch die Ressourcen aufbringen, sich für ein zeit-, kraft- und eventuell finanzintensiven Verfahren zu entscheiden.

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  • Profilfoto von K. Iten
    K. Iten, 03.07.2022, 07:58 Uhr

    Erquickend zu lesen, dass der Gesundheitsdirektor „davon ausgeht“, die Fehler seien nicht gesundheitsschädigend. Bei diesen Einweisungen handelt es sich um die zeitgenössische Form von „administrativen Versorgungen“. Und Jahrzehnte später folgt die mühsame Aufarbeitung und eine längst fällige Entschuldung.

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