Erkältung festgestellt, an Herzinfarkt gestorben

Fahrlässige Tötung? Zuger Obergericht spricht Arzt frei

Das Zuger Obergericht spricht einen Arzt frei, nachdem eine Patientin an einem Herzinfrakt gestorben war. (Bild: Symbolbild: Adobe Stock)

Ein Zuger Arzt diagnostiziert eine Erkältung bei einer Patientin, Stunden später stirbt sie an einem Herzinfarkt. Die Staatsanwaltschaft klagt den Arzt wegen fahrlässiger Tötung an. Jetzt spricht das Obergericht den Mann frei – auch wenn er seine Sorgfaltspflicht verletzt habe.

Ein Wochentag Anfang 2019. Es ist Mittagszeit, trotzdem empfängt der Arzt aus dem Kanton Zug seine Patientin. Er kennt sie seit Jahren, weiss um ihren Bluthochdruck und hört der Seniorin zu, was sie an diesem Mittag schildert.

Knapp zwei Wochen später wird der Mediziner an einer Einvernahme durch die Zuger Strafverfolgungsbehörden zu Protokoll geben, die Frau habe Beschwerden beschrieben, wie sie typisch seien für eine Erkältung mit mässigen Symptomen. Darunter Husten, erhöhte Temperatur, über Tage anhaltendes Schwitzen und Atemnot bei Belastung, etwa beim Treppensteigen.

Nach Arztbesuch klagte die Patientin über Schmerzen in Arm und Brust

Ebenso gibt der Arzt gegenüber den Ermittlern an, die Frau habe von einem wiederkehrenden Kribbeln in den Fingerspitzen und Druck auf der Brust berichtet, nicht aber von Schmerzen in Arm oder Schulter. Die Entzündungswerte seien leicht erhöht gewesen, weder das Abhören von Herz und Lunge noch das Abtasten der Halsvenen habe Auffälligkeiten gezeigt. Die Patientin habe locker gewirkt – ganz anders als Leute, die an einem akuten Herzproblem litten.

Nach einer guten halben Stunde ist die Konsultation zu Ende. Zweimal wird die Seniorin an diesem Nachmittag mit ihrer Tochter telefonieren und ihr zufolge von Schmerzen in Arm und Brust, später von Erbrechen berichten. Die Anzeichen verdichten sich, dass etwas wirklich nicht stimmt.

«Eine Notfallintervention und mithin eine Abwendung des vorliegend eingetretenen tödlichen Verlaufs der Erkrankung hätte nicht erfolgen können.»

Aus dem Urteil des Obergerichts

Als die Tochter kurz nach 17 Uhr die Wohnung ihrer Mutter betritt, findet sie diese am Boden liegend. Jede Hilfe kommt zu spät. Tags darauf wird eine Obduktion den Todeszeitpunkt auf 17:16 Uhr feststellen. Todesursache: «akutes Herzversagen infolge eines frischen Herzmuskelinfarkts».

Staatsanwaltschaft klagte wegen fahrlässiger Tötung an

Das alles steht in einem kürzlich veröffentlichten Urteil des Obergerichts Zug. Der Todesfall beschäftigte die Justiz- und Strafverfolgungsbehörden über vier Jahre lang: Die Staatsanwaltschaft hatte dem Arzt im Wesentlichen vorgeworfen, weder Temperatur, Blutdruck noch Puls der Patientin gemessen zu haben, um seine Schlussfolgerung einer Erkältung zu verifizieren. Vor allem aber habe er keine Tests wie ein Elektrokardiogramm (EKG) durchgeführt. Damit hätte er das Herzproblem feststellen und die Frau notfallmässig einweisen können, wodurch der Tod laut der Staatsanwaltschaft sehr wahrscheinlich verhindert worden wäre.

Die Strafverfolger klagten den Arzt wegen fahrlässiger Tötung an und forderten vor Obergericht, nach einem Freispruch des Zuger Strafgerichts, ein Jahr Gefängnis bedingt. Doch wie das Urteil jetzt zeigt, bleibt es beim Freispruch.

Das dreiköpfige Gremium bestätigt in zweiter Instanz den Entscheid des Strafgerichts und weist die Berufung der Staatsanwaltschaft ab. Und zwar, weil nicht  «ohne unüberwindliche Restzweifel» bewiesen sei, dass der Tod der Patientin hätte verhindert werden können, wenn der Arzt die Tests durchgeführt hätte. Diese sogenannte Kausalität zwischen dem Unterlassen der Tests und dem Ausbleiben des Todes wäre aber zwingend gewesen für eine Verurteilung.

Gericht: Herzinfarkt kann sich nach Arztbesuch ereignet haben

Im Verfahren fertigten drei Experten alles in allem sieben Gutachten an, Ergänzungen inklusive. Das Gericht stellte in seiner Bewertung im Wesentlichen auf die Erkenntnis einer Gutachterin der Universität Zürich ab.

Gemäss dem Obduktionsbericht muss der Herzinfarkt zwischen 5:15 Uhr morgens und 13:15 Uhr nachmittags vorgefallen sein. Das bedeutet: Die Patientin kann den Infarkt auch nach dem Arzttermin erlitten haben. «Bei dieser Sachverhaltsvariante», schreibt das Gericht, «hätten auch die gebotenen Untersuchungshandlungen bezüglich Elektrokardiogramm und Troponin-Test keine schlüssige Erhärtung eines [...] Herzinfarkts liefern können.» Und: «Eine Notfallintervention und mithin eine Abwendung des vorliegend eingetretenen tödlichen Verlaufs der Erkrankung hätte nicht erfolgen können.»

«Der Beschuldigte hat folglich das atypische Beschwerdebild bei der Verstorbenen als Risikopatientin unzulänglich gewürdigt und gebotene Massnahmen unterlassen.»

Aus dem Urteil des Obergerichts

In diese Richtung hatte die Verteidigung des Arztes bereits vor Strafgericht argumentiert. Aufgrund der ärztlichen Schweigepflicht gab dieser in erster Instanz nur oberflächlich Auskunft. Im Berufungsprozess machte er umfänglich von seinem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch.

Gericht wirft Arzt Fahrlässigkeit vor

Jedoch: Trotz Freispruch vertritt auch das Gericht die Ansicht, der Arzt hätte sich nicht auf seine Einschätzung verlassen dürfen. Es wäre «zwingend geboten gewesen», weitere Abklärungen zu treffen, zumal er über die Ausrüstung für ein EKG verfügt hatte und ein Bluttest in wenigen Minuten hätte durchgeführt werden können: «Der Beschuldigte hat folglich das atypische Beschwerdebild bei der Verstorbenen als Risikopatientin unzulänglich gewürdigt und gebotene Massnahmen unterlassen.»

Das wiederum legt das Gericht dem Arzt als Verstoss gegen seine Sorgfaltspflicht aus und sagt, der Mediziner habe fahrlässig gehandelt. Weil letztlich diese Sorgfaltspflichtverletzung das Verfahren ausgelöst habe, legt das Gericht dem Arzt die Kosten für die Untersuchung sowie das Verfahren am Strafgericht auf: 14’000 Franken.

Ob Arzt und Staatsanwaltschaft den Entscheid akzeptieren, ist offen. Mit Verweis auf die zurückliegenden Feiertage und auf mögliche Verzögerungen bei der Postzustellung wollte das Zuger Obergericht am Donnerstag nicht mitteilen, ob der Entscheid rechtskräftig ist oder ob der Fall ans Bundesgericht weitergeht.

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1 Kommentar
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    SunnySunshine, 07.06.2023, 23:16 Uhr

    Ja, der Arzt hätte gründlicher sein müssen bei einer Risikopatientin, Hellsehen können aber auch Ärzte nicht.. Ich frage mich, wieso die Mutter nicht selbst oder die besorgte Tochter, sofort den Notarzt riefen bei Beschwerden in Arm und Brust.. Selbstverantwortung kann nicht abgeschoben werden.

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