Kriminelle sind auf dem Vormarsch

Drogenmafia setzt Luzerner Strafverfolgern zu

Im April 2022 kommunizierte die Luzerner Staatsanwaltschaft, einen Drogenring zerschlagen zu haben, der mit 10 Kilogramm Kokain gehandelt hatte. (Bild: Luzerner Polizei)

Sie sitzen in Albanien, Italien, Nigeria: Immer stärker drängen internationale Verbrechersyndikate nach Luzern. Es geht um Drogen, Geldwäscherei und Menschenhandel; die hiesigen Ermittler kommen an ihre Grenzen. Und fordern mehr Leute.

Eine Minute muss die Fahrt durch das Stadtluzerner Quartier gedauert haben, 210 Meter Wegstrecke vom Ein- zum Aussteigen, dann hatte der Stoff den Besitzer gewechselt. Und Ervin Hoxha* und Martin Keller* hatten wieder Ware, um ihr Geschäft am Laufen zu halten.

Von April bis Dezember 2020 kauften sie 10 Kilogramm Kokain und 400 Gramm Heroin, machten mit dem Verkauf des Stoffs je rund 45'000 Franken Gewinn. Geld, das die beiden Schweizer zum Leben brauchten, als sie noch in Freiheit waren.

Was Ervin Hoxha und Martin Keller taten, nennt man gewerbs- und bandenmässigen Drogenhandel. Deshalb sitzen die beiden Männer heute, zwei Jahre und vier Monate nach der letzten Lieferung, im Gefängnis. Das Luzerner Kriminalgericht hat sie vor wenigen Wochen im abgekürzten Verfahren und nach umfassendem Geständnis zu mehrjährigen Gefängnisstrafen verurteilt.

Albanische Kriminelle sind auf dem Vormarsch

Ihren Stoff, mal im Golf mit Berner Nummer oder im VW Touran mit Zürcher Kennzeichen geliefert, hatten die beiden bei einem Grosshändler bestellt, den die Strafverfolger «Ilir» nennen und der von einem Ort aus arbeitet, den sie zuletzt immer öfter hören: Albanien.  

«Das ist erschreckend, eine Gefährdung für Bevölkerung und Wirtschaft», sagt Daniel Burri, ein schmaler Mann mit hohen Wangenknochen und grau-weissem Haar, während ein Beamer eine Grafik an die Wand hinter ihm wirft. Die Luzerner Staatsanwaltschaft hatte für den Dienstag zur Präsentation ihres Jahresberichts geladen (zentralplus berichtete). Und Oberstaatsanwalt Burri nutzte die Aufmerksamkeit der versammelten Medien – sechs Journalisten, eine Journalistin, eine Kamera – um zwei Botschaften zu vermitteln.

«Diese Gruppierungen arbeiten sehr organisiert und sehr professionell. Wir haben es hier mit schwerer Kriminalität auch aus den Bereichen Menschenhandel und Geldwäscherei zu tun.»

Daniel Burri, Oberstaatsanwalt des Kantons Luzern

Erstens: Das organisierte Verbrechen hat den Platz Luzern für sich entdeckt. Seit einiger Zeit beobachten die Ermittlungsbehörden, dass sich internationale Verbrechersyndikate in Luzern einnisten. Organisationen aus Nigeria, die italienische Mafia, vor allem aber Gruppierungen aus Albanien, die Burri zufolge die Kontrolle über den internationalen Drogenhandel an sich gerissen haben. «Luzern ist für sie aufgrund seiner Zentrumsfunktion und der Lage auf der Nord-Süd-Achse attraktiv», so Burri. Die Kriminellen organisierten den Drogenhandel von ihren Heimatländern aus, kämen als Kriminaltouristen nach Luzern und regelten den Direktverkauf mit Mittelsmännern vor Ort. Burri: «Diese Gruppierungen arbeiten sehr organisiert und sehr professionell. Wir haben es hier mit schwerer Kriminalität auch aus den Bereichen Menschenhandel und Geldwäscherei zu tun.»

Oberstaatsanwalt Daniel Burri und Simon Kopp, Sprecher der Luzerner Staatsanwaltschaft. Bild: kük

Burris zweite Botschaft lautete: Die Luzerner Strafverfolgungsbehörden brauchen mehr Leute, um etwas gegen die Syndikate ausrichten zu können. «Aktuell können wir den etlichen Hinweisen, die wir haben, nicht nachgehen. Uns fehlen schlicht die Ressourcen für proaktive Vorermittlungen», so der Oberstaatsanwalt, der diese Forderung vergangene Woche beim Luzerner Regierungsrat deponiert hat. Nun hofft er, dass ihm ab 2024 mehr Leute zur Seite gestellt werden. Vor allem fehlt es an Juristen mit Anwaltspatent, welche die Leitung von Verfahren übernehmen können.

Der Personalengpass zeigt sich auch anhand der sogenannten Erledigungsquote – jenem Verhältnis zwischen neuen und abgeschlossenen Fällen also, das im Kanton Luzern 2022 bei 95 und damit unter den anvisierten 100 Prozent lag. Heisst: Die Strafverfolger schliessen weniger Fälle ab als neue hinzukommen. Oder, anders gesagt: Sie kommen der neuen Arbeit nicht mehr hinterher.

Strafverfolger zerschlugen 2022 mindestens zwei Drogenringe

Die Geschichte von Ervin Hoxha und Martin Keller ist nur ein Beispiel, wie das organisierte Verbrechen unter Beteiligung albanischer Krimineller die Luzerner Ermittler beschäftigt hat. Im April teilten die Strafverfolger mit, bei einer Aktion mit der Bundeskriminalpolizei und der Bundesanwaltschaft einen Drogenring ausgehoben und neun Personen festgenommen zu haben (zentralplus berichtete).

Im August 2022 dann kommunizierte die Staatsanwaltschaft, was bei ihr intern unter dem Namen «Aktion Highway» lief: Die Festnahme von fünf Männern und einer Frau aus Albanien, die von Luzern aus Drogen in mindestens 13 Kantonen verkauft hat (zentralplus berichtete).

82 Kilogramm Kokain mit einem Verkaufswert von 6,4 Millionen Franken hatte der Drogenring via Südamerika und Holland importiert. Die Hälfte des Geldes war bei Auffliegen des Drogenrings bereits gewaschen, also eingeschleust in den legalen Geldkreislauf. Das ist es, was Daniel Burri am Dienstagvormittag als «erschreckend» und «Gefährdung für Gesellschaft und Wirtschaft» bezeichnet.

Nebst diesen schweren Drogenverbrechen hat sich die Arbeit der Luzerner Staatsanwaltschaft 2022 wieder an die Zeiten vor der Corona-Pandemie angeglichen. Registrierten die Strafverfolgungsbehörden 2020 und 2021 einen Rückgang der Falleingänge, waren es vergangenes Jahr mit rund 51'000 neuen Fällen 12 Prozent mehr als im Jahr zuvor:

Laut Daniel Burri liegt der Anstieg vor allem daran, dass nach den Pandemiejahren das Leben wieder auf die Strassen Luzerns zurückgekehrt ist – und damit auch die Alltagskriminalität. Nur eben: Nicht nur hat sich die Kriminalität quasi erholt - neu hinzu kommen verstärkt komplexe und schwere Fälle von Drogenkriminalität.

Das zeigt sich auch anhand der Anklagen, welche die Staatsanwaltschaft bei den Luzerner Gerichten erhoben hat. Während die Staatsanwaltschaft 2022 ähnlich viele Falleingänge wie im Rekordjahr 2017 registrierte (vergleiche Grafik oben), stieg die Anzahl Anklagen in den letzten fünf Jahren konstant an.

Leichtere Delikte mit Geldstrafen bis zu 180 Tagessätzen und einem halben Jahr Gefängnisstrafe können die Staatsanwaltschaften in eigener Kompetenz im Strafbefehlsverfahren abhandeln – also ohne dass je ein Richter den Fall gesehen hätte. Mit dem Strafbefehlsverfahren, eingeführt mit der eidgenössischen Strafprozessordnung auf den 1. Januar 2011, sollten die Gerichte entlastet werden. Deshalb hat die Luzerner Staatsanwaltschaft die erschlagende Mehrheit ihrer Fälle per Strafbefehl abgearbeitet: 37'148. Dem gegenüber standen 555 Anklagen, die etwa bei schweren Delikten erhoben werden und in denen es zu einer Gerichtsverhandlung kommt.

Für Daniel Burri steht fest: Will der Staat etwas gegen das organisierte Verbrechen ausrichten, muss er unangenehm werden: «Wir müssen den Ermittlungsdruck konstant hochhalten. Nur so können wir diese Verbrecher von hier vertreiben.» Denn der Kanton Luzern dürfe in Verbrecherkreisen nicht als Ort gelten, wo man ruhig und ungestört arbeiten könne. Burri: «Das wäre absolut verheerend.»

*Name geändert

Verwendete Quellen
  • Urteile 1P6 22 92 und 1P6 22 93 des Luzerner Kriminalgerichts
  • Besuch der Jahresmedienkonferenz der Luzerner Staatsanwaltschaft
  • Medienmitteilung der Luzerner Staatsanwaltschaft
  • Weitere Medienmitteilung der Luzerner Staatsanwaltschaft
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2 Kommentare
  • Profilfoto von Hans Hafen
    Hans Hafen, 14.03.2023, 14:49 Uhr

    Vom anderen Ende her gedacht: Dieses Land hat ein schwerwiegendes Suchtmittelproblem.

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    • Profilfoto von PSCHT
      PSCHT, 14.03.2023, 18:16 Uhr

      Leider richtig. Diese Problematik beginnt aber bereits auf den legalen Marktplätzen und hat ihre Ursachen vorwiegend in unserer Gesellschaft. Die kriminellen nutzen dies lediglich aus. In der Schweiz werden z.B. pro Kopf im weltweiten Vergleich am meisten Schlafmittel konsumiert. Gleichzitig nehmen wir weltweit auch am meisten Wachmacher zu uns. Und das auf legalem Wege. Das Problem zu erkennen reicht nicht aus wenn wir die Ursachen nicht bekämpfen.

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