Post im Tribschenquartier gehackt

Drahtzieher lenkt Luzerner Automatenraub von Lettland aus

Das Luzerner Kriminalgericht verurteilt einen 33-Jährigen, der einen Bankomaten ausgeräumt hat. (Bild: Adobe Stock)

Als zwei Männer im Juli 2020 einen Bankautomaten im Tribschenquartier ausräumen, sind sie nicht viel mehr als die Handlanger: Denn das kriminelle Hirn sitzt in Lettland, hackt den Automaten aus der Ferne und lässt ihn über 100'000 Franken ausspucken. Jetzt verurteilt das Luzerner Kriminalgericht einen der Komplizen.

Sie nennen ihn den «Cooperator». Und wer der Cooperator ist, können die Strafverfolger in Luzern nicht sicher sagen. Auch wenn sie einen Verdacht haben. Und auch wenn sie einen seiner Komplizen kennen. Das ist seit heute und einem neuen Urteil des Kriminalgerichts bestätigt, bewiesen und rechtskräftig erledigt.

Nach einer Vereinbarung mit der Staatsanwaltschaft und einem Geständnis verurteilt das Gericht einen 33-jährigen Letten zu drei Jahren Gefängnis und zehn Jahren Landesverweis – wegen unerlaubter Einreise und Aufenthalts, Sachbeschädigung und «betrügerischen Missbrauchs einer Datenverarbeitungsanlage», in Ermittlerkreisen bekannt als Computerbetrug.

Automat geknackt, Laptop angeschlossen

Lauris Liepins*, 33 Jahre alt und Ex-Häftling, hat zugegeben, im Sommer 2020 mit einem Komplizen einen Geldautomaten im Luzerner Tribschenquartier ausgeräumt zu haben. Und das nicht irgendwie.

In der Nacht auf den 1. Juli fahren Liepins und sein Kompagnon ins Tribschenquartier. Erst wenige Tage zuvor sind sie mit ihrem Mietauto über Italien in die Schweiz gereist.

An der Tribschenstrasse zieht es die zwei Männer zum CSS-Gebäude, genauer zum Geldautomaten auf Höhe der damaligen Manor-Filiale. Mit Schraubenzieher und Brecheisen stemmt Lauris Liepins den Automaten im oberen Bereich auf. Dort ist die Elektronik verstaut: Liepins fischt nach mehreren USB-Kabeln, die er mit einem «ferngeschalteten Laptop» verbindet, wie es in der Anklage heisst. Dann übernimmt der Cooperator in Lettland.

Eine knappe Dreiviertelstunde braucht er, bis der Automat 113'800 Franken ausspuckt. Lauris Liepins und sein Freund verstauen das Geld in einer Tasche, die sie in ihrem gemieteten Auto zurücklassen. Im Auftrag des Cooperators holt später ein anderer Komplize das Geld ab. Das meiste wird der Cooperator für sich behalten, Lauris Liepins bringt der Bankomaten-Job in Luzern 3'100 Franken.

In Thun kassiert die Gruppe fast 140'000 Franken

Nur einen Tag später wiederholen Liepins, dessen Komplize und der Cooperator, was wunderbar funktioniert hat. Dieses Mal in Thun, dort räumen die drei 140'000 Franken und 13'000 Euro ab.

Nach getaner Arbeit fahren die Männer im neuen Mietwagen zurück nach Luzern, wo sie in diesen Tagen im Hotel wohnen. Oder wie die Staatsanwaltschaft in der Anklage schreibt: «Aufgrund der Intensität des deliktischen Handelns, dem modus operandi und dem hohen Deliktsbetrag (...) muss davon ausgegangen werden, dass der Beschuldigte lediglich in die Schweiz einreiste, um hier mittels betrügerischen Missbrauchs von Datenverarbeitungsanlagen Einkünfte zu erlangen.» Übersetzt: Lauris Liepins und sein Kollege sind Kriminaltouristen.

Für das Trio geht die Sache zunächst gut aus. Liepins wird erst zehn Monate später und nach einem bewilligten Auslieferungsgesuch in der Schweiz verhaftet. Zwischen Mai und August 2021 sass der 33-Jährige in Untersuchungshaft, von dort ging es weiter in den vorzeitigen Strafvollzug. Diese Zeit wird dem Letten angerechnet, der aktuell im Gefängnis Bostadel in Menzingen sitzt. Das wird er noch bis mindestens diesen Mai. Dann hat er zwei Drittel seiner Strafe verbüsst, womit eine bedingte Entlassung für das letzte Jahr möglich wäre.

Bankomatenhacks in Luzern? eine Seltenheit

Unklar ist, wie es um seinen Komplizen und den Cooperator steht. Auf Anfrage heisst es von der Luzerner Staatsanwaltschaft, die Strafverfahren gegen beide Männer dauerten an. Weil gerichtlich nichts entschieden ist, können die Strafverfolger auch nicht final sagen, ob sich tatsächlich der Mann hinter dem Cooperator verbirgt, den sie im Verdacht haben – und dessen Namen zum Linkedin-Profil eines freiberuflichen Webentwicklers in Riga führt.

Fest steht dafür eines: In Zeiten, in denen Bankomaten in der Regel gesprengt werden (zentraplus berichtete), ist der Cooperator-Fall aussergewöhnlich. Oder wie Polizeisprecher Urs Wigger auf Anfrage schreibt: «Solche elektronischen Manipulationen an Geldautomaten sind im Kanton Luzern eher selten. Es handelt sich um Einzelfälle.»

Dieser Einzelfall kommt vor allem die Post teuer zu stehen, die knapp 620'000 Franken Zivilforderungen geltend macht. Lauris Liepins hat diese im Grundsatz anerkannt, das Strafgericht hat sie jedoch zur genauen Bezifferung an ein Zivilgericht weitergeleitet.

*Name geändert

Verwendete Quellen
  • Urteil 1P6 22 34 des Luzerner Kriminalgerichts
  • Schriftlicher Austausch mit der Medienstelle der Luzerner Staatsanwaltschaft
  • Schriftlicher Austausch mit der Medienstelle der Luzerner Polizei
  • Potenzielles Linkedin-Profil des Cooperators
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