Schulden, Verzweiflung, Geldgier

Diese Albaner kamen nach Luzern, um Koks zu verticken

Die finanzielle Misere treibt den albanischen Drogenbossen junge, verzweifelte Männer in Scharen in die Arme. (Bild: Symbolbild : Abobe Stock)

Die Luzerner Justiz führt einen Kampf gegen die albanische Drogenmafia. Die Dealer, die der Polizei ins Netz gehen, sind dabei meist kleine Fische. Die Vitae der Kriminellen zeigen ein Muster – das die Drogenbosse im Osten ausnutzen.

Ardian C.* sitzt im Gerichtssaal in Luzern. Er spricht leise. Wirkt geknickt. Er wünschte, es wäre alles anders gekommen. Kiloweise Koks hat er verschoben. Für mehrere Jahre muss er nun ins Gefängnis und wird seinen kleinen Sohn lange nicht mehr sehen. Er sei in den Drogenhandel hineingerutscht, sei dazu gezwungen worden. Dies erzählt er kürzlich vor dem Luzerner Kriminalgericht (zentralplus berichtete).

Auch wenn kaum ein Dealer vor Gericht zugeben würde, dass er gerne Koks unter die Leute bringt und die Verantwortung lieber weiterschiebt – Ardian C. wirkt aufrichtig reuig, seine Geschichte ist nicht allzu weit hergeholt. Und sie ist kein Einzelfall.

Kein Geld, kaum Jobs – Drogenhandel lockt

Die albanische Drogenmafia hält die Luzerner Justiz auf Trab, wie sonst kaum jemand (zentralplus berichtete). Dutzende Dealer standen die vergangenen Monate vor Gericht. Laufend meldet die Polizei neue Festnahmen. Und ebenso laufend schicken die Drogenbosse im Osten neue Dealer in die Schweiz und nach Luzern.

Dass ihnen dabei die Männer nicht ausgehen, die sich bereit erklären, in einem fremden Land Rauschgift zu verticken, lässt sich – neben der Gier nach schnellem Geld – auf einen Umstand zurückführen: Verzweiflung.

Verzweifelt war auch Ardian C. Er hatte Schulden. Arbeit war schwierig zu finden. Die Frau blieb zu Hause und kümmerte sich um das kleine Kind. Schliesslich gelangt er an den Chef eines Wettbüros. Dieser macht ihm das Angebot, in Luzern Drogen zu verkaufen. Es winkt ein Lohn von mehreren Tausend Franken pro Monat – verlockend. Durchschnittlich beträgt ein albanischer Monatslohn umgerechnet 460 Franken.

Ardian C. geht auf den Deal ein. Er hofft, nur wenige Monate in der Schweiz bleiben zu müssen. Stattdessen wird er festgenommen.

Wirtschaftskrise spielt Drogenbossen in die Hände

Die finanzielle Misere treibt den albanischen Drogenbossen junge, verzweifelte Männer in Scharen in die Arme. Rekrutiert werden sie aus den Städten und vom Land. Es finden sich erfolglose Fussballer und ertragslose Jungbauern unter den verurteilten Drogendealern. Einige erfahren gar erst in Luzern, dass sie hierhergeschickt wurden, um Drogen zu verkaufen.

Viele der Dealer haben keine Ausbildung und gingen kaum einem geregelten Job nach. Sie verdingten sich mal da und dort, bevor sie in den Drogenhandel einstiegen. Dies dürfte auch der wirtschaftlichen Lage im Land geschuldet sein. Albanien gilt als eines der ärmsten Länder Europas. In den 90er-Jahren erschüttert eine schwere Wirtschaftskrise den Balkanstaat.

Seither befindet sich das Land zwar in einem langsamen Aufschwung. Es findet eine Modernisierung und Transformation statt. Korruption, mangelnde Rechtsstaatlichkeit und die Nachwirkungen von Corona machen dem Land aber nach wie vor zu schaffen. 2023 betrug die Arbeitslosenquote bei jungen Albanern beinahe 27 Prozent. Diejenige für die ganze Bevölkerung lag bei knapp elf Prozent.

Geld für Medikamente nötig – Drogen verkauft in der Schweiz

Einer der jungen Arbeitslosen ist auch Edon Y.* Der 25-Jährige wächst in einer Industriestadt in der Mitte Albaniens auf. Als er zwölf Jahre ist, stirbt der Vater. Die Mutter erkrankt an Schizophrenie. Die beiden leben fortan bei der Grossmutter. Edon Y. bricht die Primarschule nach acht Jahren ab, macht keine Ausbildung und ist arbeitslos. Für die Medikamente der Mutter bräuchte er monatlich 500 Euro. Das Geld fehlt.

Es zieht ihn in die Schweiz. Ursprünglich wollte er hier legal arbeiten, stellt sich vor, dass das Leben in der Schweiz perfekt ist und das Geld auf den Bäumen wächst. So einfach ist es aber nicht. Das Geld ist nach wie vor knapp. Edon Y. steigt in das Drogengeschäft ein. Für einen Mann, den der 25-Jährige nur als den «Boss» kennenlernte, verkaufte er in Luzern Kokain. Er hätte ein paar tausend Franken dafür erhalten sollen. Die Suche nach einem einfacheren Leben endet aber schliesslich im Knast.

Freiwillig bei Drogenbossen gemeldet

Solche Geschichten sind in den Urteilen und Anklageschriften der Luzerner Justiz viele zu finden. Aber: Auch wenn die widrigen Umstände beim Entschluss, in den Drogenhandel einzusteigen, vielfach eine Rolle spielen, die jungen Albaner nur als Opfer darzustellen, wäre auch nicht richtig. Im Fall von Edon Y. urteilte das Kriminalgericht, er sei «leichtfertig» in das Geschäft mit dem Kokain eingestiegen.

Es finden sich in den Akten des Gerichts denn auch Geschichten von jungen Albanern, die wohl nicht mit dem goldenen Löffel im Mund aufgewachsen sind, aber einem einfachen, wenn auch normalen Leben nachgingen. Sie meldeten sich freiwillig bei den Drogenbossen, mit dem Wunsch, ins Kokaingeschäft einzusteigen. Und in der Hoffnung, ans schnelle Geld zu kommen.

Albaner mischen in Südamerika mit

Nach den Jugoslawienkriegen in den 90er-Jahren und den darauffolgenden Wirtschaftskrisen hat sich der Drogenhandel in Albanien zu einem der florierendsten Wirtschaftszweige entwickelt. Das Portal «Vice» betitelt Albanien gar als den ersten «Narco-Staat» Europas. Das Land galt Anfang der 2000er-Jahre als grösster Produzent von illegalem Outdoor-Cannabis. Mittlerweile sind viele Drogenproduzenten auf Kokain umgestiegen. Produziert wird es in Südamerika.

Die albanischen Drogenbanden haben mittlerweile ihre Wurzeln auch dort geschlagen und machen Banden in Ecuador oder Kolumbien den Markt streitig, wie der «Tages-Anzeiger» kürzlich berichtete. Bis 2022 konnten Albaner visumfrei in die südamerikanischen Staaten einreisen und sich dort breitmachen. Wegen der Kriminalität wurde schliesslich ein Visumszwang eingeführt.

Prozesse in Albanien laufen schleppend

Klar ist: Solange Albaniens Wirtschaft keine Perspektiven für junge Menschen bietet, bleibt der Drogenhandel in der Schweiz reizend. Das schreibt auch die Globale Partnerschaft für Drogenpolitik und Entwicklung (Global Partnership on Drug Policies and Development, GPDPD). Die Organisation unterstützt Länder beim Aufbau von politischen und wirtschaftlichen Instrumenten, um den Drogenhandel zu bekämpfen.

In Albanien werden etwa Projekte verfolgt, die Kleinbauern unterstützen und die Bildung fördern. Nur wenn ein legales Einkommen lohnend sei, verliere das Illegale seinen Reiz, schreibt die Organisation zu Albanien.

Immerhin: Da Albanien in die EU möchte, bemüht sich auch die dortige Regierung, die Wirtschaft in Schwung zu bringen. Der Prozess läuft aber schleppend. Und somit dürften noch einige Zeit Dealer aus dem Balkanstaat in die Schweiz und nach Luzern kommen. Rekrutiert von Drogenbossen, die die wirtschaftliche Lage ausnutzen. So wie es Ardian C. und Edon Y. passiert ist, deren Suche nach schnellem Geld und einem besseren Leben im Gefängnis endete.

*Name geändert

Verwendete Quellen
  • Diverse Urteile und Anklageschriften des Kriminalgerichts und der Staatsanwaltschaft Luzern
  • Wirtschaftsbericht 2023 der schweizerischen Botschaft in Albanien
  • Statistik von Statista zu Jugendarbeitslosigkeit in Albanien
  • Artikel «Vice»
  • Artikel «Tages-Anzeiger»
  • Website GPDPD
  • Medienarchiv zentralplus
1 Kommentar
Aktuelle Artikel
Apple Store IconGoogle Play Store Icon