Fall Spiess-Hegglin: So war die Buchvernissage

Buch über Zuger Landammannfeier hat eine grosse Schwäche

Michèle Binswanger an der Buchvernissage im Gespräch mit Sandro Benini. (Bild: ber)

Wer interessiert sich noch dafür, was an der Zuger Landammannfeier 2014 passiert ist? Einblick gibt die Buchvernissage von Michèle Binswanger, die dem Thema 200 Seiten gewidmet hat. Eine grosse Stärke hat ihr Werk – und eine grosse Schwäche.

Wird das «verbotene Buch» über die Landammannfeier 2014 wirklich auf dem Büchertisch aufliegen? Findet die Buchvernissage überhaupt statt? Wird der Anlass durch Zwischenrufe gestört? Vor dem Event im Zürcher Kaufleuten, wo Michèle Binswanger an diesem Sonntag ihr neustes Werk offziell vorstellen will, sind viele Fragen offen.

Der Festsaal jedenfalls ist rappelvoll. Weder radikale Feministinnen noch irgendwelche Grüsel geben sich zu erkennen. Das Publikum – vornehmlich männlich, viele Basler, wenig Zuger – benimmt sich gesittet. Vorne dominieren zwei mit rotem Samt überzogene Sessel. Es ist kein Ambiente für wüste Szenen und hässliche Worte, wie man sie während Jahren auf Twitter ausgetauscht hat.

Interview mit einem Redaktionskollegen

Die Buchvernissage beginnt. Passagen, die Michèle Binswanger aus ihrem Werk liest, wechseln sich ab mit Gesprächen, die sie mit Sandro Benini führt. Er ist – wie sie – Journalist beim «Tages-Anzeiger». Irritierend am Setting: Sie ist seine Chefin. Wie kritisch kann ein Gespräch unter diesen Umständen sein?

Anders als beim angriffigen Radio-Interview mit Roger Schawinski, das kurz zuvor auf dem Zürcher «Radio1» ausgestrahlt wurde, kann Binswanger hier auf Wohlwollen zählen. Rechtlich heikle Fragen werden umschifft, indem Benini seine Vorgesetzte über sich selber, ihre Erfahrungen und den Shitstorm gegen sie erzählen lässt.

Der Moderator schlägt sich wacker. Erst bei der Fragerunde am Schluss scheint die Stimmung kurzzeitig zu kippen. Kritische Äusserungen gegen Jolanda Spiess-Hegglin werden plötzlich beklatscht und bejohlt. Dem Moderator gelingt es, eine Eskalation zu verhindern.

Ungeschriebenes Buch über Landammannfeier lässt sich nicht verbieten

Thema des Buchs ist die Zuger Landammannfeier 2014 und der darauffolgende Medienrummel, der bis heute andauert. Binswanger sieht sich als Kämpferin für die Medienfreiheit, weil sie sich den Mund nicht hat verbieten lassen. Jolanda Spiess-Hegglin hatte bis vor Bundesgericht versucht, die Veröffentlichung des Buchs zu verhindern – noch bevor das Manuskript vorlag. Womit sie scheiterte (zentralplus berichtete).

Jolanda Spiess-Hegglin will den Entscheid des Bundesgerichts noch an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte ziehen. Dort ist das Verfahren hängig.

Aus Sicht des Obergerichts Zug war klar: Der Journalistin die Recherche zu verbieten ist nicht mit der Medienfreiheit vereinbar – zumal sie einen einwandfreien Leumund habe. Das Bundesgericht lehnte eine Beschwerde gegen diesen Entscheid dann aus formellen Gründen ab. Das heisst auch: Der eigentliche Inhalt des Manuskripts wurde nie von einem Gericht geprüft und für persönlichkeitsrechtlich unbedenklich klassifiziert. Aus diesem Grund fand sich in der ganzen Schweiz kein Verlag, der es vertreiben wollte (zentralplus berichtete).

Eine andere Perspektive dieser Nacht

Binswanger gibt das Buch deshalb im Eigenverlag heraus. Angefragte Verlage im In- und Ausland wollten sich am Buchprojekt nicht die Hände verbrennen, sagt Binswanger. Sie schildert im Buch, wie Markus Hürlimann (SVP) jenen verhängnisvollen Abend und die Wochen darauf erlebte. Er war zweifellos Opfer einer regelrechten Hetzjagd der Medien, nachdem bekannt geworden war, dass die damalige Kantonsrätin (ALG) am Tag nach der Feier mit Unterleibsschmerzen im Spital behandelt worden war.

Die Zuger Landammannfeier und der Medienskandal
Der «Blick»-Artikel mit dem Titel «Hat er sie geschändet?» hat dem Verlagshaus Ringier eine Klage von Jolanda Spiess-Hegglin eingebracht. Das Zuger Kantonsgericht hat bereits entschieden, dass der «Blick» den Gewinn rausrücken muss, den er mit diesem und ähnlichen Berichten gemacht hat. Jolanda Spiess-Hegglin selber gab an, kaum noch Erinnerungen mehr an den Abend zu haben – weshalb bei ihr der Verdacht aufkam, dass ihr jemand KO-Tropfen verabreicht haben könnte. Da sie am Abend zuvor intensiven Kontakt mit dem SVP-Präsidenten Markus Hürlimann hatte und Spiess-Hegglin dies erzählte, geriet er in den Verdacht, die Frau in wehrlosem Zustand sexuell misshandelt zu haben. Auch er hat kaum noch Erinnerungen mehr an die Nacht.

Was für Hürlimann gilt, gilt auch für Spiess-Hegglin

Während sich Spiess-Hegglin ausführlich in den Medien äusserte, hielt sich Markus Hürlimann lange Zeit zurück. Michèle Binswanger schildert nun eindrücklich, wie dem damaligen SVP-Präsidenten der Boden unter den Füssen weggezogen wurde. Sie berichtet die Geschehnisse durchaus plausibel. Fakt ist und bleibt: Was in jener Nacht geschah, wissen heute höchstens die Protagonisten selbst, wenn überhaupt.

Die Strafuntersuchung gegen Markus Hürlimann ist längst eingestellt worden. Das heisst nichts anderes, als dass sich der Verdacht nicht erhärten liess. Er ist und bleibt unschuldig. Ohne Wenn und Aber. Darauf weist Binswanger zu recht hin.

Was sie verkennt: Gleiches gilt für Jolanda Spiess-Hegglin. Die Staatsanwaltschaft Zug hat ein Verfahren gegen sie wegen Irrefürung der Rechtspflege nicht an die Hand genommen, weil kein genügender Anfangsverdacht bestand. Ein Verfahren wegen falscher Anschuldigung endete mit einem Vergleich. Ein weiteres Verfahren wegen mutmasslicher Ehrverletzungsdelikte wurde rechtskräftig eingestellt. Das Obergericht Zug bestätigte diesen Entscheid im August 2018.

Auch für Jolanda Spiess-Hegglin gilt also: Der Verdacht liess sich nicht erhärten. Sie ist und bleibt unschuldig.

Das Buch von Michèle Binswanger über die Landammannfeier 2014 und ihre Folgen ist nun veröffentlicht. (Bild: Andrea Zahler, Tamedia)

Die grösste Schwäche des Buchs

Das ist die grösste Schwäche des Projekts. Im Buch über die Landammannfeier tut Michèle Binswanger genau das, was sie Spiess-Hegglin vorwirft, Markus Hürlimann angetan zu haben: Sie verbreitet öffentlich, dass die ehemalige Kantonsrätin eine Straftat begangen haben könnte, indem sie den ehemaligen SVP-Präsidenten zu Unrecht beschuldigt habe. Sie unterstellt der ehemaligen Kantonsrätin Verleumdung. Obwohl das entsprechende Verfahren eingestellt wurde.

Binswanger insinuiert, dass an dem Vorwurf gegen Jolanda Spiess-Hegglin eben doch etwas dran gewesen sei. Und beweist damit, wie gut es ist, dass Journalistinnen keine Richterinnen sind. Denn vor Gericht gilt: Unschuldig bis zum Beweis der Schuld. Und diesen Grundsatz tritt das Buch mit Füssen.

Die Stärke des Buchs: seine Bedeutung für die Medienfreiheit

An der Buchvernissage stört das niemanden. Praktisch jede Wortmeldung aus dem Publikum beginnt mit einem Dank an Binswanger, dass sie durchgehalten habe. Dass sie sich nicht habe einschüchtern lassen. Tatsächlich muss man dem Projekt eines zugutehalten: Es gibt nun einen Entscheid des Bundesgerichts, dass für ein «Recherche-Verbot» haargenau nachgewiesen werden muss, dass dessen Ablehnung einen gutzumachenden Nachteil bewirken würde.

Es geht aus Sicht der freien Presse nicht an, einer Journalistin zu verbieten, sich eines Themas anzunehmen. Das ist ein wichtiger Entscheid für die Medienfreiheit, auf den sich die Journalistinnen künftig berufen können. Zumindest juristisch ist das Projekt deshalb eine Bereicherung für die Schweizer Presselandschaft.

Verwendete Quellen
  • Teilnahme an der Buchvernissage
  • Buch: Die Zuger Landammann-Affäre von Michèle Binswanger
  • Urteile des Obergerichts Zug vom 18. August 2017
  • Radiosendung von Roger Schawinski
  • Urteil des Bundesgerichts
  • Medienmitteilung der Staatsanwaltschaft Zug vom Mai 2018
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11 Kommentare
  • Profilfoto von Markus Berger
    Markus Berger, 21.05.2023, 09:54 Uhr

    Ich verstehe an diesem Artikel nicht: wie können sie einerseits kritisieren, dass die Schwäche des Buches sei, dass eine rechtlich als unschuldig betrachtete Person durch eine Journalistin öffentlich (vor- oder nach-)verurteilt wird – also, wenn ich das Argument richtig lese, verleumdet wird. Und dann andererseits im nächsten Abschnitt argumentieren, dass die Stärke sei, dass die Journalistin damit für Pressefreiheit kämpfe? Beisst sich das nicht? Ist ihre ursprüngliche Argumentation zur Schwäche des Buches nicht ein Argument dafür, dass dieses Buch nicht ein journalistisch korrektes Produkt , sondern eine potenzielle Verleumdung ist, die rechtlich besser hätte geprüft werden müssen?

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    David Brunner, Wetzikon, 23.03.2023, 13:54 Uhr

    Ich freue mich über Michèle Binswanger und gratuliere ihr zum neuen Buch und zur Herausgabe schliesslich im Eigenverlag. Sie ist eine dezidierte Feministin, ohne jedoch zu sehr zu pauschalisieren und ins Männerfeindliche abzudriften. Sie scheint selbstbestimmt und bleibt sich treu.

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    Rochus Schmid, 08.02.2023, 01:27 Uhr

    Mein Fazit nach 150 Seiten ( gelesen heute): obwohl es nüchtern geschrieben ist packt es irgendwie. Es ist eine Auslegeordnung die einiges erhellt. Warum es hätte verboten werden sollen ist mir nicht plausibel. Es ist keine Abrechnung sondern der Versuch, die Dinge so zu sehen, wie sie sind. Alles steht oder fällt mit den K.o.-Tropfen. Deshalb wird dieses Thema akribisch behandelt.

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    dominik brun, 07.02.2023, 21:57 Uhr

    Zwei Fragen, die ich bisher nicht beantworten konnte:
    Was hat ein Opfer (bisher sind es peinlicherweise mehrheitlich weibliche) für eine andere Möglichkeit, als mit seinem Anliegen an die Öffentlichkeit zu gelangen? (Vom Mut, den es braucht, so etwas an die Öffentlichkeit zu bringen, spreche ich jetzt nicht.)
    Und zweitens frage ich mich, wie mein Leibblatt den Unterschied zwischen Vetternwirtschaft und seriösem Journalismus macht, wenn eine Mitarbeiterin eine ganze Zeitungsseite zugesprochen erhält, (letztes Wochenende) um auf ihr eigenes Buch hinzuweisen und im weitern auch noch einen Mitarbeiter aus derselben Redaktion findet, der ihre Vernissage moderiert?

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    Peter Hübner, 07.02.2023, 14:03 Uhr

    Als amtlicher Verteidiger vertrat ich vor vielen Jahren einen ähnlich abstrusen Fall, bei welchem es zu einer Schändung des noch jungen Opfers kam, nachdem der Täter mit dessen Mutter zuvor einvernehmlichen Sex hatte. Damals war auch Alkohol (und ausserdem THC) im Spiel, was beim Opfer einen Filmriss auslöste. Das Opfer wehrte sich erfolgreich gegen die Einstellungsverfügung der Staatsanwaltschaft, so dass es später zur Verurteilung des Täters kam. Ich kann daher der Version «Blackbox» keinen Galuben schenken. Im erwähnten Fall zitierte der Richter sogar die Genisis der Bibel (1. Buch Mose, Kap. 19) gemäss welcher Lots Töchter ihren Vater schändeten, indem sie ihn betrunken machten und danach mit ihm schliefen und von ihm schwanger wurden.

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  • Profilfoto von Hedy
    Hedy, 07.02.2023, 13:01 Uhr

    Die Öffentlichkeit wurde über Jahre mit diesem Thema konfrontiert.
    Es ist nun richtig, dass man abschließend die Gegenseite einmal hört.
    Es interessiert sicher nicht die ganze CH, aber dennoch werden einige dieses Buch kaufen

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  • Profilfoto von Hans Stebel
    Hans Stebel, 07.02.2023, 09:56 Uhr

    Ich finde nicht, dass Frau Binswanger Frau Spiess Hegglin in dem Buch als Täterin darstellt. Was aber klar wird, ist die Tatsache dass Frau Spiess Hegglin durch ihre Aktionen sich selbst und Herrn Hürlimann ins Verderben trieb und in den politischen Untergang stürzt.

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    reto, 06.02.2023, 17:40 Uhr

    ich verstehe die kritik zum beruflichen verhältnis sandro benini / michele binswanger nicht. dieses wurde am beginn der vernissage klar aufgezeigt.
    sie frau berger haben in ihrem artikel jedoch die berufliche beziehung zwischen ihnen und frau spiess nicht deklariert. warum?

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    • Profilfoto von Lena Berger
      Lena Berger, 07.02.2023, 07:58 Uhr

      Richtig, es wurde transparent gemacht. Das ändert nichts daran, dass in dem Saal kritische Stimmen fehlten und der Moderator seiner Chefin kaum widersprach. Trotzdem finde auch ich: er hat in diese nicht ganz einfachen Situation einen soliden Job gemacht.

      Ich selber habe und hatte nie ein berufliches Verhältnis zu Frau Jolanda Spiess-Hegglin. Ein privates übrigens auch nicht. Wir hatten selbstverständlich einiges miteinander zu tun. Schliesslich begleite ich als Lokaljournalistin diesen Zuger Fall seit rund 3,5 Jahren. Da gibt es nichts zu deklarieren.

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  • Profilfoto von Christian Scherrer
    Christian Scherrer, 06.02.2023, 15:24 Uhr

    Die Medienfreiheit kann aber nicht über einem Grundsatz stehen, welches genau diese Medienfreiheit mit Füssen trifft. Wie im Artikel beschrieben, deutet Frau Binswanger an, dass an dem Vorwurf von Frau Spiess-Hegglin eben doch etwas dran gewesen sei. Dies könnte durchaus so interpretiert werden, dass Frau Binswanger das Buch nicht nach journalistischer Ethik, sondern aus einer persönlicher Befindlichkeit gegenüber Jolanda Spiess-Hegglin geschrieben hat. Zudem frage ich mich, ob die angeblichen Vorkommnisse an der Landammannfeier tatsächlich noch eine gesellschaftliche Relevanz haben, nachdem beide Parteien unschuldig gesprochen worden sind. Aus meiner Sicht handelt Frau Binswanger zu ihrem persönlichen Vorteil und befriedigt mehr das das Voyeuristische in der Gesellschaft.

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    • Profilfoto von Barbara
      Barbara, 06.02.2023, 18:35 Uhr

      Das sehe ich gar nicht so wie Chr Scherrer. Wenn jemand wie JSH die Medien so andauernd bedient, wächst erst recht die Neugierde wie der andere Part das Ganze erlebt hat. Es gibt doch immer 2 Seiten.

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