Leben unter dem Existenzminimum

Asylsozialhilfe: Geflüchtete in Luzern wehren sich vor Gericht

Geflüchtete aus der Ukraine wehren sich vor Gericht – unterstützt durch Kantonsrat Urban Frye – gegen die tiefen Ansätze bei der Asylsozialhilfe. (Bild: zvg)

Der Bund zahlt dem Kanton Luzern monatlich über 1'500 Franken pro Geflüchtete aus der Ukraine, die dieser aufnimmt. Nur ein Bruchteil – weniger als es zum Leben braucht – kommt bei den Betroffenen an. Ist das rechtens? Darüber hat das Kantonsgericht zu entscheiden.

Geflüchtete aus der Ukraine bekommen Asylsozialhilfe, wenn sie mittellos sind. Fakt ist aber: Was sie vom Kanton Luzern bekommen, reicht nicht zum Leben (zentralplus berichtete). 39 Geflüchtete haben sich deshalb zusammengetan und wehren sich vor dem Kantonsgericht. Sie haben einen Anwalt mandatiert. Die Kosten dafür übernimmt Kantonsrat Urban Frye (Grüne), wie dieser in einer Medienmitteilung schreibt.

Der Kanton hat erst kürzlich die Ansätze minimal erhöht, indem er sie der Teuerung angepasst hat (zentralplus berichtete). Jede Änderung einer Verordnung bietet die Möglichkeit, diese gerichtlich überprüfen zu lassen. Und genau das beantragen die Geflüchteten nun.

«Der Kanton macht mit jedem geflüchteten Menschen, für den er Beiträge vom Bund bekommt, einen Gewinn.»

Urban Frye, Kantonsrat Grüne

«Der Kanton verletzt mit seiner Haltung damit Bundes-, Verfassungs- und Menschenrechte», schreibt Frye in der Medienmitteilung. Diese garantieren ein «menschenwürdiges Dasein» – und ein solches ist aus Sicht des Politikers mit den 11.50 Franken pro Tag nicht möglich. So viel bekommen die Flüchtlinge, wenn sie in einer kantonalen Unterkunft leben.

«Wir sind gewillt, nötigenfalls bis vor den ‹Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte› zu gehen, sind aber überzeugt, dass spätestens das Bundesgericht den Kanton zwingen wird, auch geflüchteten Menschen ein würdevolles Leben zu ermöglichen», schreibt Urban Frye weiter.

Bund zahlt mehr, als die Geflüchteten bekommen

Der Kantonsrat macht der Luzerner Regierung schwere Vorwürfe. Aus seiner Sicht bereichert sich der Kanton indirekt an den Geflüchteten. Grund: Der Bund zahlt den Kantonen einen Pauschalbeitrag von über 1'500 Franken, mit dem sie Krankenkassenbeiträge, Mietkosten und Betreuung der Geflüchteten bezahlen können. Für die Sozialhilfe ist gemäss dem Anwalt der Geflüchteten eine Pauschale von 550 Franken vorgesehen.

«Inhaltlich prüft das Gericht, ob der angefochtene Rechtssatz in Widerspruch zu übergeordnetem Recht steht.»

Christian Renggli, Sprecher des Kantonsgerichts

Nur: Bei den Betroffenen in den kantonalen Unterkünften kommt nur ein Bruchteil dieses Geldes an, nämlich rund 350 Franken (11.50 mal 30 Franken). Für Urban Frye ist deshalb klar: «Der Kanton macht mit jedem geflüchteten Menschen, für die er Beiträge vom Bund bekommt, einen Gewinn von rund 200 Franken, da er weniger Asylsozialhilfe auszahlt, als er vom Bund bekommt.»

So tiefe Ansätze sind nicht im Sinne des Erfinders

Der Anwalt der Geflüchteten legt in seiner Beschwerde dar, warum dies nicht im Sinne des Bundes sein kann. Er verweist auf die parlamentarische Debatte zum Asylgesetz im National- und im Ständerat. Aus dieser gehe hervor, dass der Bund zwar darauf verzichtete, den Kantonen vorzuschreiben, wie sie die Ansätze für die Asylsozialhilfe festlegen.

Die Entstehungsgeschichte zeige aber, dass der Bund davon ausgegangen sei, dass die Kantone mit der Höhe der Pauschalbeträge verpflichtet sind, minimal die abgegoltenen Asylsozialhilfebeiträge zu zahlen. Was der Kanton Luzern – wie erwähnt – nicht tut.

Kanton Luzern wehrt sich gegen den Vorwurf

zentralplus hat die Frage, ob sich der Kanton Luzern am Elend der Geflüchteten aus der Ukraine bereichert, bereits vor einem halben Jahr thematisiert. Die zuständige Dienststelle für Asyl- und Flüchtlingswesen (DAF) bestreitet den Vorwurf: «Vielmehr ist davon auszugehen, dass dem Kanton zusätzliche Kosten entstehen werden, auch wenn ein grosser Teil der Kosten durch die Globalpauschale des Bundes gedeckt werden», schrieb sie auf Anfrage (zentralplus berichtete).

Nun wird sich also die vierte Abteilung des Kantonsgerichts mit der Frage auseinandersetzen, ob diese Haltung der Dienststelle rechtens ist. Sprecher Christian Renggli bestätigt auf Anfrage von zentralplus, dass ein Antrag auf eine sogenannte Erlassprüfung eingegangen ist. «Inhaltlich prüft das Gericht, ob der angefochtene Rechtssatz in Widerspruch zu übergeordnetem Recht steht», schreibt er dazu.

Verwendete Quellen
  • Parlamentarische Debatte zum Asylgesetz
  • Pauschalansätze des Bundes ab 1. Januar 2023
  • Antrag um Prüfung eines Erlasses vom 24. Januar 2023
  • Medienmitteilung von Urban Frye
  • Mailaustausch mit Christian Renggli
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9 Kommentare
  • Profilfoto von Hans Peter Roth
    Hans Peter Roth, 02.02.2023, 11:52 Uhr

    Das Existenzminimum gemäss SKOS muss zwingend eingehalten werden. Die Gerichte werden darüber befinden. Es geht nicht nur um verfassungsmässige Grundrechte, sondern beleuchtet auch die Charakter der verantwortlichen Behördevertreter, Regierungsräte und kleingeistigen Kommentatoren.

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  • Profilfoto von Dolfino
    Dolfino, 02.02.2023, 10:51 Uhr

    Eine Frechheit wenn sich Ukrainer beschweren, dass sie bei der Caritas einkaufen müssen. Sollen froh sein dass sie zu essen bekommen. Ist das Dankbarkeit der Ukrainer.

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    Marc, 01.02.2023, 19:21 Uhr

    Es ist ein Witz Seit froh das ihr wir sind

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  • Profilfoto von estermap
    estermap, 01.02.2023, 08:59 Uhr

    Herr Frye, die Ukrainer sind eben «forndernd» (Zitat RR GG). Bitte vergessen Sie jene mit «N» und «F» und die Abgewiesenen nicht; diese leben seit Jahren menschenunwürdig.

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    • Profilfoto von PKD2000
      PKD2000, 01.02.2023, 13:02 Uhr

      Fordern ist das eine. Die gesetzliche Grundlage als universelles Prinzip der Anwendung das andere. Dies muss also die Handlungsmaxime sein. Der Rahmen ist abgesteckt. Kantonsrat Frye müsste diese rechtliche Tatsache im Grunde bekannt sein. Dies kann also nicht Grundlage seiner Motivation sein. Fordern darf man immer, jederzeit, was und wo man will. Muss jedoch nicht erhört werden. Das ergeht Jahr für Jahr Millionen von Erwerbstätigen hinsichtlich Lohnforderungen nicht anders….

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  • Profilfoto von Hans Hafen
    Hans Hafen, 01.02.2023, 07:54 Uhr

    DAS Existenzminimum existiert nicht. Es gibt entweder das betreibungsrechtliche Existenzminimum nach SchKG oder das soziale Existenzminimum nach SKOS.
    Die Vermischung dieser beiden Begriffe wird hier meiner Ansicht nach propagandistisch, bewusst fehler- und unstatthaft eingesetzt! Zudem muss berücksichtigt werden, dass die Prämien KVG beim Sozialhilfebezug vollumfänglich durch die Prämienverbilligung durch den Kanton gedeckt sind, keine Selbstbehalte von Arztbehandlungen finanziert werden müssen, Transportkosten auch inklusive, sämtliche Zahnarztbehandlungen pour toute la famille der Staat bezahlt und keinerlei Steuern entrichtet werden. Bei einer Vollkosten-Rechnung stehen am Ende diejenigen mit Sozialhilfe-Existenzminimum sogar deutlich besser da, als jene, mit Existenzminimum nach SchKG. Das ist einfach ein Faktum!

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    • Profilfoto von Peter Bitterli
      Peter Bitterli, 01.02.2023, 09:00 Uhr

      Aber darum geht es doch gar nicht. Es ist Wahlkampf. Jede Kandidatin hat da noch ihr privates Budget.

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    • Profilfoto von psychomodo
      psychomodo, 01.02.2023, 14:39 Uhr

      Aber Herr Frye, stecken sie im Wahlkampf? Natürlich, Wahlstimmen müssen her.

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      • Profilfoto von Peter Bitterli
        Peter Bitterli, 01.02.2023, 16:15 Uhr

        Höhere Sympathiewerte für die ukrainischen Flüchtlinge werden ja so kaum generiert. Das weiss auch Herr Frye. Für wen dann?

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