«Alle wussten davon» – das sagen Ex-VBL-Chefs vor Gericht
Der ehemalige VBL-Direktor Norbert Schmassmann (vorne) mit seinem Anwalt auf dem Weg zum Gericht. Dieses tagt im Hotel Radisson. (Bild: mas)
Fünf ehemalige Kadermitglieder der VBL stehen in Luzern vor Gericht. Es geht um Subventionen, Zinsen und angebliche Schummeleien. Vor Gericht streiten sie die Betrugsvorwürfe vehement ab.
Mit einem freundlichen «Guten Morgen» begrüsst Norbert Schmassmann die Journalisten vor dem Hotel Radisson in der Nähe des Luzerner Bahnhofs. Der ehemalige VBL-Direktor und frühere CVP-Kantonsrat scheint sich am Dienstagvormittag keine grossen Sorgen zu machen – oder lässt sie sich zumindest nicht anmerken. Er ist eines von fünf teils ehemaligen Kadermitgliedern der Verkehrsbetriebe Luzern, die heute hier vor Gericht stehen. Der Vorwurf: Sie sollen bei Subventionsbezügen geschummelt haben (zentralplus berichtete).
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was der Staatsanwalt entgegnet
Die Staatsanwaltschaft fordert 18 Monate bedingte Haft. Es geht konkret um die Verrechnung von Zinsen innerhalb der VBL-Holding, Dividenden an die Stadt Luzern und den Vorwurf, dass die VBL-Verantwortlichen gegenüber dem Besteller, dem Verkehrsverbund Luzern (VVL), geschwindelt haben sollen.
Im Hotel tagt das Luzerner Kriminalgericht, und zwar wegen des grossen Andrangs. Zig Anwälte, Besucher, Medienschaffende und Gerichtsmitarbeiter teilen den Saal mit den fünf Beschuldigten. Es ist einer der grössten und aufsehenerregendsten Prozesse der jüngsten Zeit in Luzern. Erste Aufregung entsteht gleich nach dem Satz des Richters. Er ist schlicht und einfach nicht bis in die hintersten Reihen zu hören. Nachdem ein Mikrofon organisiert ist, kann die Verhandlung starten.
Verwaltungsrat soll Druck gemacht und alles abgesegnet haben
Am gespanntesten wartete der Saal wohl auf die Stellungnahme des früheren Direktors Norbert Schmassmann. Er ist der Mann, der am stärksten in der Öffentlichkeit stand, auch wenn er am Dienstag nur einer von fünf Beschuldigten ist.
Vor Gericht wirkt er über weite Strecken wie die Ruhe selbst. Langsam und betont lässig läuft er zum Redepult. Dort sitzt er ruhig auf dem Stuhl. Er möchte auf Hochdeutsch sprechen, bittet er zu Beginn. Er könne dann besser formulieren. Dass er ein geübter Redner ist, zeigt sich rasch. Er spricht ruhig und schlüssig.
Auf die Fragen des Richters stellt er sich dabei auf zwei Hauptstandpunkte. Erstens: Die Vorgänge und Verrechnungspraxen, die ihm nun vor Gericht zu Last gelegt werden, seien damals in der ÖV-Branche Usus gewesen. Zweitens: Vom VVL über die Stadt Luzern bis hin zum Verwaltungsrat der VBL hätten alle davon Kenntnis gehabt und die Praxis abgenickt. «Es kann niemand sagen, er habe nichts gewusst», sagt Schmassmann.
Immer wieder bringt er den damaligen Verwaltungsrat ins Spiel. Dieser habe Druck ausgeübt, dass man die Verhandlungen mit dem Besteller, dem VVL, schnell in trockene Tücher bringt. Es ging dabei um Zielvereinbarungen, die eben den strittigen Punkt beinhalteten, dass aus dem ÖV-Bereich keine Gelder für Dividenden genutzt werden dürften. Der Verwaltungsrat habe Druck gemacht, dass die Beschuldigten Formulierungen finden, die zusichern, ohne es auszuschliessen, so der Beschuldigte.
Die angewandte Verrechnungspraxis sei vom Verwaltungsrat quasi abgesegnet gewesen, so Schmassmann. Er selbst sei immer davon ausgegangen, dass das Vorgehen rechtens und abgesegnet sei. Und er sei unter Druck gestanden.
Nach dem Postauto-Skandal wurden die Schrauben angezogen
Weiter sei es früher, in der «alten» ÖV-Welt, wie Schmassmann sagt, in der Branche nicht unüblich gewesen, dass es Verbuchung, Geldflüsse, Abrechnungen und andere finanztechnische und buchhalterische Abläufe und manchmal vielleicht auch Finessen zwischen einer Tochter- und Muttergesellschaft gab. Die Behörden hätten darüber hinweggesehen. Nach dem Postauto-Skandal hätten sie aber die «Schraube angezogen». Dabei seien schweizweit bei vielen ÖV-Unternehmen Unstimmigkeiten entdeckt worden, nicht nur in Luzern. Von Betrug könne aber keine Rede sein.
Bei seinen Ausführungen holt Schmassmann immer wieder weit aus, beginnt mal bei der Umstrukturierung der VBL zu einer Holding oder bei Reformen in der ÖV-Branche in den Neunzigern. Das Verfahren sei für ihn «interessant», aber auch anstrengend, erzählt er. Er glaube aber an den Rechtsstaat und daran, dass ein gerechtes Urteil gefällt werde. Gut zwei Stunden dauert seine Einvernahme.
Die Einvernahmen der anderen vier sind etwas kürzer, aber nicht weniger eindringlich. Neben Schmassmann sitzen auf der Anklagebank der damalige Leiter Rechnungswesen, der Leiter Finanzen, der Leiter Planung sowie der Leiter Betrieb und Markt. Zwei von ihnen arbeiten heute noch bei den VBL.
«Es ist nicht fair, wir haben nichts falsch gemacht»
Sie alle sollen auf die eine oder andere Weise in den mutmasslichen Betrug involviert sein. Vor Gericht streiten sie alles ab. Dass sie den Tatbeschluss gefasst hätten, den VVL über den Tisch zu ziehen, wie es die Staatsanwaltschaft ihnen vorwirft, sei an den Haaren herbeigezogen. Unisono sagen sie, dass sie nach bestem Wissen und Gewissen gehandelt hätten. «Ich kann nicht verstehen, weshalb wir heute hier sind», sagt einer der Beschuldigten zum Beispiel. Tatsächlich sei gar nie ein Schaden entstanden. Es sei nie zu viel Geld ausbezahlt worden. «Es ist nicht fair, dass einem das nun vorgeworfen wird.»
«Wir hatten nie etwas gemacht, was wir nicht hätten tun dürfen», sagt auch ein anderer. Die Entrüstung ist spürbar. «Wir setzten uns tagtäglich für den ÖV ein und das mit einem latent unguten Gefühl, dass uns vorgeworfen wird, irgendwann einmal etwas Falsches gemacht zu haben», so ein Votum. Von «Psychoterror» spricht ein anderer.
Eines der Hauptargumente: Die Zielvereinbarung zwischen VBL und VVL, die unter vielem anderen eben die Zahlungen von Dividenden regelt, habe gar nie für die Muttergesellschaft der VBL, über welche die Offerten gestellt wurden, gegolten. Vielmehr sei sie für die Tochtergesellschaft, über welche der ÖV schliesslich abgewickelt wurde, abgeschlossen worden. Es folgen aber auch Spekulationen. Der VVL habe sie nur angezeigt, um Druck auf die VBL-Chefetage zu machen, dass diese die 16 Millionen Franken zurückzahlt, um die es im VBL-Skandal zwischen 2010 und 2017 ging (zentralplus berichtete).
Was alle fünf Beschuldigten sagen: Sie würden alle noch einmal gleich handeln – zumindest mit dem Wissensstand von damals.
Staatsanwalt: «Schlaumeierei» und «Bubentrickli»
Für den Staatsanwalt sind diese Argumente aber reine Schutzbehauptungen. Es gebe bei den VBL nur die eine Dividende von der Muttergesellschaft an die Stadt Luzern. Wenn in Vereinbarungen von Dividenden oder den damit zusammenhängenden Eigenkapitalzinsen gesprochen würde, könne dies nur die Muttergesellschaft betreffen. Somit sei die Behauptung, die Zielvereinbarung habe nur für die Tochtergesellschaft gegolten, schlicht falsch.
Dass die fünf Beschuldigten arglistig gehandelt haben sollen, stützt er unter anderem auf den E-Mail-Verkehr zwischen ihnen und dem Verwaltungsrat. Darin sollen sie sich etwa darüber ausgetauscht haben, mit welchen Formulierungen sie gegenüber dem VVL das Wort «Eigenkapitalzinse» umschiffen können. Eine «Schlaumeierei» oder ein «Bubentrickli» nennt es der Staatsanwalt.
«Als der Postauto-Skandal bekannt wurde, wurden die Beschuldigten unruhig und versuchten, mit leeren Worthülsen ihr Fehlverhalten als grosses Missverständnis darzustellen», so der Staatsanwalt.
Er führt weitere E-Mails vor, die beweisen sollen, dass sie sich bewusst waren, dass sie gemauschelt hatten und dies nun kaschieren wollten.
Mit seinem Plädoyer geht der erste Prozesstag zu Ende. Insgesamt dauern die Verhandlungen drei Tage. Die Einvernahme der fünf Beschuldigten, die Plädoyers und Repliken brauchen ihre Zeit.
Das Verfahren ist nicht nur darum kompliziert – ein finanztechnisches Detail jagt das nächste, es geht um kalkulatorische Zinsen, Kapital, Verrechnungen, Dividenden und zig Details der Buchhaltung. Etwas Auflockerung entsteht, als der Richter vor einer Pause die Besucher und weitere Anwesende eindringlich auffordert, das Buffet, das vor dem provisorischen Gerichtssaal im Hotel aufgebaut wurde, bitte nicht anzurühren. Das sei für eine andere Gesellschaft im Radisson.
Wann ein Urteil zu erwarten ist, ist noch nicht klar. Noch gilt die Unschuldsvermutung.
Schreibt gerne über harte Fakten und skurrile Aufreger. Seit über zehn Jahren Journalist bei Online, Print und Fernsehen. Für zentralplus schreibt der Wahl-Luzerner seit 2024.