Kinderbetreuung

Junger Vater fällt zwischen Stuhl und Bank

Wer 100 Prozent arbeiten muss, ist teilweise auf eine Fremdbetreuung seiner Kinder angewiesen. (Bild: Emanuel Ammon/AURA)

Der Mann lebt in Baar, die Mutter zusammen mit der gemeinsamen Tochter in Luzern. Die Betreuung des Kindes haben die Eltern untereinander aufgeteilt. Dabei ist der Vater darauf angewiesen, die 3-Jährige einen Tag in eine Kita geben zu können. Auf einen subventionierten Platz darf er aber nicht hoffen. Ihm wird zum Verhängnis, dass er und das Mädchen nicht den gleichen Wohnsitz haben.

Es gibt (noch) nicht viele davon, aber es werden doch immer mehr: Geschiedene oder getrennt lebende Eltern, die die Betreuung ihrer Kinder auch unter der Woche aufteilen, weil sie die Verantwortung gemeinsam tragen wollen. So ist der Nachwuchs beispielsweise von Sonntag bis Donnerstag bei Mama, der Rest der Woche bei Papa.

Eine solche Lösung ist wohl in den allermeisten Fällen im grossen Interesse der Kinder – und der Eltern. Doch sie verlangt von Mutter und Vater auch eine Menge Organisation, und so manche Hürde muss überwunden werden.

Auf Fremdbetreuung angewiesen

Ein junger Vater* aus Baar im Kanton Zug kann davon ein Lied singen. Der 31-Jährige ist geschieden, seine Frau (30) lebt mit der dreijährigen Tochter in der Stadt Luzern. Die Eltern teilen sich das Sorgerecht, die Obhut über das Kind liegt jedoch bei der Mutter. Gemäss Scheidungsurteil lebt das Mädchen jede Woche von Montagabend bis Mittwochmittag in Baar bei seinem Vater.

Deshalb besucht die Tochter jeweils dienstags eine Kindertagesstätte in der Zuger Gemeinde, ganz in der Nähe des Wohnortes des Mannes. Was ihm wiederum erlaubt, seine Anstellung im Kommunikationsbereich in einem 100-Prozent-Pensum auszuüben.

Negativer Bescheid aus Baar

Fremdbetreuung hat aber ihren Preis und kann das eigene Portemonnaie ziemlich belasten, vor allem wenn man zusätzlich Alimente bezahlen muss. Deshalb fragt der Kommunikationsspezialist, der in einer mittelgrossen Firma tätig ist, bei seiner Wohngemeinde nach einem subventionierten Krippenplatz an.

Ein solcher wäre wohl verfügbar, aber trotzdem ist der Bescheid negativ: «Das Kind muss Wohnsitz in der Gemeinde Baar haben, damit es einen subventionierten Kitaplatz beanspruchen könnte», lautet die Antwort der Baarer Fachstelle Familienergänzende Kinderbetreuung. «Da die Obhut und somit der Lebensmittelpunkt des Kindes bei der Mutter, also in Luzern ist, können wir keine Subventionsleistungen erbringen.»

Was heisst Obhut?

An dieser Stelle sind die beiden Begriffe Sorgerecht und Obhut zu erklären: Das Sorgerecht, auch elterliche Sorge genannt, ist die Befugnis der Eltern, die für das minderjährige Kind nötigen Entscheidungen zu treffen. Das Sorgerecht umfasst verschiedene Rechte und Pflichten wie Erziehung, Ausbildung und gesetzliche Vertretung des Kindes sowie die Verwaltung seines Vermögens.

Als Teil der elterlichen Sorge steht den Eltern die Obhut über das Kind zu. Die Obhut wird auch Aufenthaltsbestimmungsrecht genannt. So beinhaltet sie das Recht zu entscheiden, wo das Kind wohnt, sowie die Befugnis, über dessen Aufenthaltsort zu bestimmen. Das Obhutsrecht wird jedoch beschränkt: einerseits durch Anordnungen über den persönlichen Kontakt mit dem Kind für jenen Elternteil, der nicht obhutsberechtigt ist, andererseits durch öffentlich-rechtliche Vorschriften wie beispielsweise der Schulpflicht.

Oftmals erhält die Mutter die Obhut

Nach geltendem Recht wird die elterliche Sorge im Fall einer Scheidung entweder der Mutter oder dem Vater übertragen. Es ist jedoch auch möglich, das Sorgerecht bei beiden Elternteilen zu belassen. Dafür muss aber ein Antrag gestellt werden. Derzeit werden die betreffenden Artikel des Zivilgesetzbuches revidiert. Das gemeinsame Sorgerecht soll zur Regel werden, auch für nicht verheiratete Eltern. Wann die Gesetzesrevision in Kraft tritt, steht noch nicht fest.

Die Obhut wiederum wird üblicherweise einem einzigen Elternteil zugesprochen, selbst wenn die elterliche Sorge weiterhin gemeinsam ausgeübt wird. Zwar ist es möglich – sofern beide Eltern einverstanden sind und es die Umstände zulassen –, dass die Obhut geteilt beziehungsweise alternierend ausgeübt wird. Doch dies kommt gemäss Rechtsexperten nicht oft vor. Vielmehr wird in den meisten Fällen die Obhut der Mutter übertragen, die häufig die Hauptbetreuung des Kindes übernimmt. 

Der Versuch in der Stadt Luzern

Zurück zu unserem Fall. Die Gemeinde Baar erteilt dem jungen Vater nicht einfach eine Absage, sondern fordert ihn auf, in Luzern doch Betreuungsgutscheine für die Betreuung seiner Tochter in einer Kita in Baar zu beantragen. Betreuungsgutscheine sind eine finanzielle Unterstützung der Stadt Luzern für die Betreuung von Kindern im Vorschulalter und für alle Kinder bei Tageseltern.

Der Vater nimmt die Aufforderung aus seiner Wohngemeinde gerne an und wendet sich an die Abteilung Kinder, Jugend, Familie. Aber auch da: Endstation. Anspruch auf Betreuungsgutscheine hat, wer seinen Wohnsitz in der Stadt Luzern habe, lautet die Antwort. «Da Sie in Baar wohnhaft sind, ist diese Voraussetzung nicht erfüllt ist.»

Dem Vater wird also zum Verhängnis, dass er in einer anderen Gemeinde, ja in einem anderen Kanton als seine Tochter lebt – und er das Mädchen auch unter der Woche betreuen möchte. Es stellt sich die Frage, ob in einer mobilen Gesellschaft, in der immer mehr Leute zwischen Wohn- und Arbeitsort pendeln, das Kriterium Wohnsitz wirklich noch so stark und ausschliessend gewichtet werden soll.

Kaum Erfahrung mit solchen Fällen

«Die Situation ist für uns unbefriedigend», sagt Claudia Huser, Bereichsleiterin Vorschulalter der Luzerner Abteilung Kinder, Jugend, Familie. Im vorliegenden Fall würden die Eltern «finanziell geschnitten». Huser will deshalb nochmals auf die Eltern zugehen und nach einer Lösung suchen. «Wir haben im Bereich der Betreuungsgutscheine noch keine Erfahrung mit Eltern, die in verschiedenen Kantonen wohnen», erklärt die Bereichsleiterin.

Ähnlich tönt es aus Baar. «Es gibt tatsächlich heute erst wenige Paare, die sich die Kinderbetreuung von Montag bis Freitag aufteilen», sagt Clemens Eisenhut, Abteilungsleiter Soziales/Familie. Deshalb sei es gerade in Baar bis heute noch nicht vorgekommen, dass ein Elternteil eine Kita-Subventionierung beantragt hat, dessen Kind in einer anderen Gemeinde und gar in einem anderen Kanton den Wohnsitz hat. «Diese Thematik ist noch sehr neu», sagt Eisenhut.

Mehr Flexibilität gefordert

Was nun? Für den Baarer Eisenhut ist klar: «Die für die Kinderbetreuung verantwortlichen Dienststellen müssen sich diesen sehr seltenen Ausnahmefällen stellen.» Er plädiert für mehr Flexibilität, «sollten immer mehr solcher komplexer Fälle auf den Tischen der Fachleute landen». Denkbar wäre dann eine Anpassung der betreffenden Regelungen. Der Abteilungsleiter spricht sich aber auch dafür aus, jeweils den Einzelfall anzuschauen und wenn möglich nach einer Lösung zu suchen.

So ist denn auch vom Familienvater zu hören, dass Baar auf sein Gesuch zurückkommen will. Auch Claudia Huser von der Stadt Luzern verspricht, «die Eltern nochmals zu kontaktieren». Und: «Wir wollen eine Praxis entwickeln, wie wir künftig mit solchen Fällen umzugehen haben.»

Es scheint also, als würde die Situation der jungen Familie die Dienststellen bewegen und den Weg ebnen für eine bessere Lösung zugunsten anderer Eltern, die sich einst in einer ähnlichen Situation befinden könnten.

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