Mutmasslicher Mittäter kam ungeschoren davon

Junge Luzernerin wegen Missbrauchs eines Mädchens (13) verurteilt

Die junge Frau flösste dem Mädchen Alkohol ein – danach missbrauchte sie es zusammen mit ihrem Freund. (Bild: Symbolbild Adobe Stock)

Einer heute 28-jährigen Frau wird vorgeworfen, mit ihrem damaligen Freund vor neun Jahren ihre beste Freundin sexuell missbraucht zu haben. Das Opfer war damals 13 Jahre alt. Das Mädchen brauchte Jahre, um zu realisieren, was damals wirklich geschehen war.

Beschuldigte haben das Recht, die Aussage zu verweigern. Das weiss dank Krimis eigentlich jeder. Dass vor Gericht davon Gebrauch gemacht wird, kommt jedoch relativ selten vor. Meistens führen die mutmasslichen Täter in der Verhandlung lang und breit aus, dass sie nichts getan haben – und wenn doch, dann ist alles ganz anders gewesen, als von der Staatsanwaltschaft beschrieben.

In dem Fall, der an diesem Freitagmorgen am Luzerner Kriminalgericht verhandelt wird, ist das anders. Auf der Anklagebank sitzt eine 28-jährige Frau, der vorgeworfen wird, 2011 ein damals 13-jähriges Mädchen sexuell missbraucht zu haben. Die Beschuldigte unternimmt rein gar nichts, um sich in einem besseren Licht darzustellen. Im Gegenteil.

«Die ganze Geschichte ist eine Lüge und ich habe es ehrlich gesagt satt.»

Beschuldigte

Als der Einzelrichter die Verhandlung eröffnet, sitzt die Angeklagte im verwaschenen Kapuzenpullover vor ihm. Ihre Haare hängen schlaff und ungepflegt herunter. Und ihre Haltung stellt gleich von Anfang an klar, dass sie mit dem Vorsitzenden nicht reden will.

«Warum nicht?», will der Richter wissen. «Weil die ganze Geschichte eine Lüge ist und ich es ehrlich gesagt satt habe», antwortet sie patzig. Diplomatisches Vorgehen sieht anders aus.

Mit Alkohol abgefüllt und missbraucht

Die Vorwürfe der Staatsanwaltschaft sind erschütternd. Die damals 18-jährige Frau soll kurz nach ihrer Volljährigkeit eine 13-Jährige zu sich nach Hause genommen und mit Wodka regelrecht abgefüllt haben. Als die Flasche leer war, soll sie ihr zusammen mit ihrem damaligen Freund auch noch Tequila eingeflösst haben. Anschliessend habe der Freund mit dem halb bewusstlosen Mädchen ungeschützten Geschlechtsverkehr gehabt. Auch sie selber soll an dem Kind sexuelle Handlungen vorgenommen haben.

«Es ist ihr zu wünschen, dass ihr Ruf nach Gerechtigkeit gehört wird.»

Staatsanwalt

Fast neun Jahre ist das her. Die drei Beteiligten waren nach der Tat 2011 weiterhin über längere Zeit eng befreundet – trotz der traumatisierenden Geschehnisse in jener Nacht. «Die 13-Jährige ordnete das damals nicht als Missbrauch ein, sie realisierte es erst Jahre später», sagt der Staatsanwalt. Doch die massiven Übergriffe hätten das Opfer nie losgelassen. Die Beschuldigte habe das Machtgefälle aufgrund des Altersunterschieds «rücksichtslos ausgenutzt».

«Das Opfer sagte bei der Anzeigestellung 2017 aus, es habe erst lernen müssen, über den Vorfall sprechen zu können», sagt der Staatsanwalt. «Es ist ihr zu wünschen, dass ihr Ruf nach Gerechtigkeit gehört wird.» Er fordert eine Verurteilung wegen sexuellen Missbrauchs eines Kindes eine bedingte Geldstrafe von 270 Tagessätzen à 90 Franken.

Weil die mutmassliche Täterin nicht vorbestraft ist, soll sie als «Denkzettel» lediglich eine Busse von 2'000 Franken bezahlen. Die 24'300 Franken würden nur im Wiederholungsfall fällig.

Falsche Vorwürfe – aus Rache und Eifersucht?

Die Verteidigung hingegen fordert, dass die Frau freigesprochen wird, weil ihr kein Fehlverhalten nachgewiesen werden könne. «Abgesehen von den Aussagen des mutmasslichen Opfers gibt es keine Beweise», argumentiert die Anwältin. Mit der Anzeige habe das damals 13-jährige Mädchen ihrer ehemaligen besten Freundin nur «eins auswischen» wollen. «Sie fand damals Gefallen an deren Freund – doch er erwiderte ihre Liebe nicht.»

Ihre Mandantin habe überhaupt kein Interesse daran gehabt, ihren «Freund in sexueller Hinsicht mit dem mutmasslichen Opfer zu teilen». Zumal das Mädchen ja in diesen verliebt war und die Freundschaft sich aus diesem Grund zunehmend abgekühlt habe.

War die 18-Jährige geistig auf dem Stand eines Kindes?

Dass die Beschuldigte in der ganzen Untersuchungszeit nie ein Wort zu ihrer Verteidigung gesagt habe, habe medizinische Gründe. Die Frau leide an einer frühkindlichen Entwicklungsstörung. «Sie ist mit einer Befragung überfordert. Sie reagiert gestresst und kann damit nicht umgehen», so die Verteidigerin. Trotzdem habe sie immer bestritten, dass es zu dem Vorfall gekommen sei – und davon sei auch auszugehen.

«Abgesehen von den Aussagen des mutmasslichen Opfers gibt es keine Beweise.»

Verteidigerin

Für den Fall, dass das Gericht anders entscheiden sollte, gelte es zumindest die besondere Konstellation zu berücksichtigen. Die mutmassliche Täterin und das Opfer seien trotz des Altersunterschieds eng befreundet gewesen. Der Grund dafür sei, dass ihre Mandantin damals geistig nicht das Niveau einer 18-Jährigen gehabt habe. Wenn es zu einer Verurteilung komme, so müsse das berücksichtigt und von einer Bestrafung abgesehen werden.

Das Schweigen hinterlässt einen zwiespältigen Eindruck

War die Beschuldigte tatsächlich so unreif? Wollte sie in kindlicher Naivität ihren Freund mit ihrer sexuellen Offenheit beeindrucken? Der Einzelrichter des Kriminalgerichts glaubt nicht daran. Im Gegenteil:

«Es ist ein Sexualdelikt, wie wir es oft zu beurteilen haben. Wir haben nur die Aussagen der Beteiligten», beginnt er die Urteilsbegründung. Zwei Umstände des Falles seien speziell: «Zum einen haben wir selten eine weibliche Täterin. Und auch dass die beschuldigte Person nichts zur Sache sagt, ist unüblich.»

«Das Motiv der Eifersucht wirkt sehr konstruiert.»

Kriminalrichter

Die Aussage zu verweigern, das sei natürlich das Recht der Beschuldigten. «Das lernt man in der ersten Vorlesungsstunde an der Uni. Und doch hinterlässt es gewisse Fragen», meint der Richter.

Die Verteidigerin habe argumentiert, die Beschuldigte sei intellektuell überfordert gewesen. «Das kann sein. Aber solche intellektuelle Fähigkeiten sind dann gefordert, wenn man etwas konstruieren und etwas erfinden muss. Wenn man erzählt, was passiert ist, braucht es das nicht.»

Die Frau ist die Drahtzieherin

Auch wenn die Verteidigung es anders dargestellt habe, es sei kein Grund ersichtlich, warum das damals 13-jährige Mädchen ihre Freundin falsch belastet haben sollte. Das Opfer habe den Freund der 18-Jährigen erst an jenem Abend kennengelernt. «Das Motiv der Eifersucht wirkt sehr konstruiert.»

Die Aussagen des Opfers hingegen seien glaubwürdig. Sie habe Erinnerungslücken eingeräumt und die Täterin nicht übermässig belastet. Beispielsweise habe sie betont, dass ihre Freundin den Missbrauch wohl nicht geplant habe.

«Ich hoffe, Sie sind heute an einem anderen Punkt in Ihrem Leben und haben etwas gelernt.»

Kriminalrichter

Der Richter sieht die Beschuldigte als Drahtzieherin. Sie habe mit den sexuellen Übergriffen begonnen und das Mädchen mit Alkohol und Überredung dazu gebracht, dem mehrfachen Geschlechtsverkehr zuzustimmen. Dabei habe sie selber zugeschaut. Ohne ihr «Go» wäre es nicht zu all dem gekommen.

Harte Strafe – doch der Mittäter kommt davon

Dass die heute 28-Jährige keine Einsicht und Reue gezeigt hat, wirkt sich straferhöhend aus. Das Kriminalgericht verurteilt die Frau zu einer bedingten Geldstrafe von 300 Tagessätzen à je 100 Franken. Auf eine sofort zu bezahlende Busse wird hingegen verzichtet.

«Ich hoffe, Sie sind heute an einem anderen Punkt in Ihrem Leben und haben etwas gelernt», wendet sich der Richter zum Schluss an die Frau. Die Geldstrafe werde fällig, wenn sie sich innerhalb von zwei Jahren Ähnliches zuschulden kommen lasse.

Das Verfahren gegen den damaligen Freund der Beschuldigten – zur mutmasslichen Tatzeit 17 Jahre alt – ist 2018 übrigens eingestellt worden. Im Jugendstrafrecht gelten andere Verjährungsfristen, weshalb eine ausserkantonale Jugendstaatsanwaltschaft den Fall nicht weiterverfolgen konnte.

Das Urteil des Kriminalgerichts ist noch nicht rechtskräfig. Es kann ans Kantonsgericht weitergezogen werden.

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