Staatsanwältin, Polizeichefin und nun Polit-Vermittlerin

Judith Fischer: «Ich war beruflich immer wieder die ‹erste Frau›»

Judith Fischer bekleidet zwar kein politisches Amt, dennoch kennt sie Bern wie ihre Westentasche. (Bild: wia)

Der Lebenslauf von Judith Fischer ist nicht von schlechten Eltern. Staatsanwältin in Chur, Polizeichefin in St. Gallen, später hat sie für die Bundesräte Metzler und Blocher gearbeitet. Und obwohl sie das Berner Geschehen aus dem Effeff kennt: Je ein politisches Amt zu bekleiden, wäre der Wahlzugerin nicht in den Sinn gekommen.

Judith Fischer kennt Bern wie ihre eigene Westentasche. Das Bundeshaus, die internen Wege, die Strategien, um weiterzukommen und sich Gehör zu verschaffen. Und das, ohne selber je in der Politik tätig gewesen zu sein.

Fischer ist eine Verfechterin der klaren, aber leisen Töne. Eine Eigenschaft, die der Juristin in ihrem heutigen Job dienlich ist. Sie sorgt dafür, dass Unternehmen oder Interessengruppen die richtigen Ansprechpartner finden und ihre Ziele erreichen. Bietet Politikern wissenschaftliche Unterstützung oder berät Politikerinnen im Wahlkampf und bei ihrer Strategieplanung.

«Ein politischer Vorstoss hat nur dann eine Chance, wenn die Bundesverwaltung oder das Parlament auch zuständig sind», sagt sie. «Häufig gibt es ganz andere Wege, um eine schwierige Situation zu verbessern. Es lohnt sich in jedem Fall, das Thema zuerst juristisch einzuordnen», sagt die 57-Jährige.

Sie lotst Unternehmen durch den Bundesdschungel

Klingt etwas abstrakt. «Beispielsweise gelangen ausländische Firmen an mich, welche ein Medikament in die Schweiz auf den Markt bringen wollen. Oft lohnt es sich für sie nicht, das Wissen über die Zulassungs- und Vergütungsprozesse und die relevanten Behördenkontakte firmenintern aufzubauen.» Das kann finanziell und zeitlich sehr aufwendig sein. «Diese Abläufe sind hochkomplex», erklärt die Wahlzugerin, die seit fünf Jahren in der Stadt wohnt.

Doch warum kennt Fischer dieses Bundesbern so gut? Ganz einfach. Im Jahr 2000 wurde sie als Gesamtprojektleiterin angefragt für die Überprüfung des Systems der Inneren Sicherheit der Schweiz (USIS). Der Arbeitgeber? Niemand geringeres als die damalige Bundesrätin Ruth Metzler, die gemeinsam mit den kantonalen Justiz- und Polizeidirektorinnen und -direktoren herausfinden wollte, in welchen Bereichen das Schweizerische Polizeisystem verbessert werden könnte. 2004 erarbeitete sie im Auftrag von alt Bundesrat Christoph Blocher ein Sicherheitskonzept für den Fall eines Beitritts zum Europäischen Sicherheitsraum.

Eine machtvolle Position

Angefangen hat Judith Fischers Berufsweg ganz woanders, nämlich als Staatsanwältin in Chur. «Ich fand Strafrecht immer schon interessant», erklärt sie diesen Schritt. Auch, wenn die Arbeit als Staatsanwältin alles andere als einfach ist.

«Es ist eine machtvolle Position, man trägt viel Verantwortung. Verdächtigen die Freiheit zu entziehen oder ihnen die Konten zu sperren, sind schwere Eingriffe.» Es gibt Fälle, da bleibt auch nach einer Verurteilung eine gewisse Unsicherheit bestehen. Dann nämlich, wenn sich das Gericht statt auf klare Beweismittel auf die Aussagen der Beteiligten verlassen muss.

«Für mich waren die Fälle sexueller Gewalt gegen Kinder das Schlimmste.»

«Die beruflichen Kontakte sind oft negativ. Man wird dorthin gerufen, wo schwere Straftaten, aussergewöhnliche Todesfälle oder Unfälle passiert sind. Angeschuldigte gestehen ungern und Eindrücke am Tatort sind oft schwer zu verarbeiten. Sogar eine Zeugeneinvernahme startet mit der Strafdrohung für den Fall einer Falschaussage», blickt Fischer zurück.

Sie ergänzt: «Für mich waren die Fälle sexueller Gewalt gegen Kinder das Schlimmste. Die Wahrheit ist in diesen Fällen manchmal schwer zu ermitteln und die Ungewissheit ist belastend. Häufig sind Verwandte oder nahe Bekannte beschuldigt, vielleicht läuft auch noch ein Scheidungsverfahren oder es ist ein Suchtproblem im Spiel und verwertbare Spuren fehlen meistens.»

Sie fährt fort: «Es gibt traumatisierende Situationen für Einsatzkräfte. Ich erinnere mich noch heute an die Bilder von damals, wenn ich an einem speziell bedrückenden Tatort vorbeifahre. Mir hat es jeweils gut getan, die Wohnung mit einem schönen Blumenstrauss zu schmücken oder in die Höhe zu wandern. Von oben sieht alles kleiner und leichter aus.»

Von der Staatsanwältin zur Polizeichefin

Nach sechs Jahren als Staatsanwältin wurde die gebürtige Aargauerin Polizeichefin in St. Gallen und machte die zweijährige Polizeioffiziersausbildung. «Dort stand ich viel im Austausch mit unterschiedlichsten Menschen. Die Sicherheit in einer Stadt zu gewährleisten, ist anforderungsreich und spannend. Als Polizeichefin hat man eine klare Rolle, innerhalb der man handeln muss. Alles ist militärisch strukturiert, was auch Sinn macht.»

Sie ergänzt: «Die Chance, ein nationales Projekt für Bund und Kantone führen zu können, hat mich dann halt gereizt. So bin ich schon nach drei Jahren weitergezogen nach Bern.» Was ihr von der Stelle als Polizeichefin geblieben ist: das Schiessen. Judith Fischer ist passionierte Hobbyschützin. Eine der wenigen Schützinnen, die Ja stimmten bei der letztjährigen Abstimmung zum Waffengesetz.

Ein politisches Amt? «Das passt nicht zu mir»

Nach der Arbeit beim Bund war Fischer Generalsekretärin bei der Suva. Seit 2015 arbeitet sie nun in ihrer eigenen Firma in Zug. «Jetzt kann ich all meine liebsten Tätigkeiten aus den vorhergehenden Jobs vereinen», sagt Fischer freudig. Es ist unschwer zu erkennen, dass sie ihre Arbeit liebt.

Sie möchte selber kein politisches Amt bekleiden: «Das passt nicht zu mir.» Trotzdem ist Fischers Leben durch und durch politisch. Ein Thema etwa ist ihr so wichtig, dass sie dafür den Verein «Pro Patina» gegründet hat. «Wir erleben derzeit eine Pensionierungswelle und wir brauchen ältere Arbeitskräfte dringend, um den Fachkräftemangel aufzufangen. Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber sollten Arbeitskräften ab Mitte 50 deshalb flexible Arbeitspensen anbieten und sie motivieren, länger zu arbeiten. Denn die junge Generation wird nicht mehr in der Lage sein, die Altersleistungen allein zu tragen.»

Der Begriff «Familienzeit» ist ihr ein Dorn im Auge

Es sei ihr schon klar, so Fischer: «Themen wie die Revision der AHV und der beruflichen Vorsorge sind politisch hartes Brot. Politiker müssen sich alle paar Jahre zur Wiederwahl stellen. Wer fordert, dass die ältere Generation auch einen Beitrag leistet, riskiert die Wiederwahl», sagt Fischer. «Jetzt soll sich auch die Wirtschaft stark machen gegen Altersdiskriminierung und den Wert von Age Diversity für die Arbeitswelt und die Gesellschaft erkennen. Es geht auch um Anreize, Frauen zu motivieren und zu befähigen, nach der Familienzeit in die Arbeitswelt zurückzukehren. Gemeinsame Lösungen funktionieren nur auf Augenhöhe», ist sie überzeugt.

Ihr Vorschlag: «Menschen über 50 müssen besser und länger im Arbeitsmarkt integriert sein. Vielleicht nimmt ihre Schnelligkeit etwas ab, doch haben sie Erfahrung im Umgang mit Misserfolgen. Sie haben schon viele Hürden gemeistert, was ihnen Gelassenheit, Selbstwert und Zuversicht verleiht. Und das ist für die Zielerreichung und die Kundenbindung oft wichtiger als Zahlen, Fakten und Zeitpläne. Kommt dazu, dass viele aus meiner Generation genug haben von der grossen Show. Menschen ab Mitte 50 suchen oft mehr nach Sinn und einer sinnvollen Beschäftigung.»

«Eine Mutter mit Kindern, die vielleicht daneben ein Tennisteam trainiert hat, verfügt zweifellos über Führungskompetenz.»

Fischer erklärt weiter: «Es wäre doch interessant, wenn man mittels eines Assessments eine Standortanalyse machen und eruieren könnte, was eine Person gut kann. Auch wenn sie dazu keine Ausbildung hat. Eine Mutter mit Kindern, die vielleicht daneben ein Tennisteam trainiert hat, verfügt zweifellos über Führungskompetenz und kann motivieren. Oder sie hat ihren Schwiegervater gepflegt. Dabei hat sie sich viele Fähigkeiten angeeignet, die im Beruf sehr nützlich sein könnten. Diese undifferenzierten Löcher – meist im CV von Frauen – werden dann Familienzeit genannt. Sie müssten mit einem aktuellen Fähigkeitszeugnis ergänzt werden. So steigen die Chancen auf dem Arbeitsmarkt.» Das Ziel von Pro Patina sei es, Anreize zu schaffen in den Unternehmen und gesetzliche Anpassungen in die Wege zu leiten.

«Wenn wir uns gegenüber der EU immer zickiger verhalten, dann stellen wir eine 20-jährige Zusammenarbeit auf die Probe.»

Auch bei einem brandaktuellen Thema ist Judith Fischer vorne mit dabei. So ist sie Kampagnenleiterin des Zuger Komitees «Nein zur Kündigungsinitiative». Warum? «Wenn wir uns gegenüber der EU immer zickiger verhalten, dann stellen wir eine für uns sehr vorteilhafte 20-jährige Zusammenarbeit auf die Probe», findet sie. «Wir werden bei einem Ja kein Gehör mehr finden. Die EU schuldet uns nichts. Wir jedoch profitieren von der Zusammenarbeit mit ihr.» Fischers Haltungen sind dezidiert, sie spricht mit grosser Eloquenz und viel Überzeugungskraft. Ob sie sich ein politisches Amt nicht doch überlegen will?

«Wenn sich Leute von mir beraten lassen, die in den Stände- oder Nationalrat möchten, kläre ich immer erst, ob sie wissen, was das Amt bedeutet. Will man jederzeit angesprochen werden und zuhören? Möchte man, dass die eigene Haltung öffentlich diskutiert wird? Ist der Partner, die Familie bereit mitzugehen?», sagt Judith Fischer. «Ich war beruflich immer wieder ‹die erste Frau› in der Öffentlichkeit und in den Medien. Diese Bühne habe ich gerne verlassen. Heute analysiere ich viel lieber Probleme und hecke sinnvolle und konkrete Lösungen aus. Ich mag es, Menschen und Unternehmen vertraulich zu befähigen und voranzubringen.»

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