Gottesdienst im Test: Lukaskirche Luzern

Jubel, Schweiss und Tränen bei den Freikirchlern

Auf den ersten Blick wirkt das Ganze wie eine geschlossene Gesellschaft.

(Bild: Remo Wiegand)

Wo sich normalerweise am Sonntag rund zwei Dutzend Rentner verlieren, war an jenem Sonntag – pardon – die Hölle los. Die fromme Fraktion der Reformierten hat zum Date mit Christus in die Luzerner Lukaskirche geladen. Ein 100-minütiges Wechselbad der Gefühle.

Es hat geschneit über Nacht. Herr und Frau Schweizer frönen an diesem Sonntagmorgen ihrem heimlichen Lieblingshobby und schaufeln Schnee. Ich flaniere durch die Morgenidylle und bin entsprechend knapp dran. Beinahe rächt sich das: Kurz vor Gottesdienstbeginn kann ich mich gerade noch in eine Seitenbank quetschen. Höfliches bis leicht gequältes Nicken zur Linken.

Die Lukaskirche ist sozusagen ausverkauft. Beschwingter Smalltalk rumort durch den Raum. Der Altersdurchschnitt ist gefühlte zwanzig Jahre tiefer als in herkömmlichen Gottesdiensten. Ein Mann rechts vor mir trägt ein Sweatshirt mit dem Aufdruck «Ich rede über Gott in Luzern». Gut, ich auch.

Auf der Empore stehen sie wie Fussballfans und skandieren «Lamm Gottes, Du gibst uns Deinen Frieden!».

Ich bin in einem Gottesdienst der Evangelischen Allianz gelandet, dem Sammelbecken freikirchlicher Gemeinden der Region Luzern. Auch einige landeskirchliche Gemeinden finden sich in der Allianz wieder, so jene der Stadt, des heurigen Gastgebers. Als ob die Orgel diese klassische reformierte Welt repräsentiert, darf sie den Anfangs- und den Schlusspunkt setzen, auch der traditionelle Gassenhauer «Grosser Gott, wir loben Dich» erklingt. Dazwischen ist das Strickmuster der Feier klar evangelikal: Freche Videoclips. Eine poppige Band. Freie Gebete. Sehr viel Emotional-Nahbar-Unmittelbares (auf der Empore stehen sie wie Fussballfans und skandieren «Lamm Gottes, Du gibst uns Deinen Frieden!»). Eine halbstündige, freie Predigt, die teilweise reingeht wie Butter. Aber auch gespickt ist mit schlecht verdaulichen Sätzen.

Der Horwer Pfarrer Jonas Oesch begrüsst das Volk anfänglich zur «Familienfeier im grossen Rahmen». Heute treffe sich hier so etwas wie die «erweiterte Verwandtschaft». Da man sich zum Teil kaum kenne, ruft Oesch zur 360°-Kennenlernrunde auf. «Lea.» Freut mich. «Hubert.» Freut mich. «Noemi.» Freut mich. Die Frau linkerhand nuschelt Unverständliches. Überhaupt ist sie auffällig abweisend. Kurz darauf wechselt sie den Platz. Die Frau findet weiter hinten eine engere Verwandte, neben der’s ihr offenbar wohler ist. Auch gut, in unserer Reihe hat’s nun mehr Platz.

Trennung als Segen

Ach, Trennungen … Sie sind so etwas wie der heimliche rote Faden des Gottesdienstes. Beim Werbeblock zu Beginn und am Schluss wird mit Nachdruck für den Trennungsverarbeitungskurs «Lieben – Scheitern – Leben» geworben. Und wie war das nochmals vor 500 Jahren mit Luther? Reformationsjubiläum oder Trennungsgedenken – das ist hier die Frage. Pastor Marek Kolman von der Luzerner Markuskirche betont, Luther habe nicht die Trennung der Kirchen gewollt, sondern einfach, dass Christus wieder im Zentrum der Kirche stehe.

Wo aber ist dieser Christus? Nicht nur in der Bibel, nicht nur bei uns in der frommen Familie, sondern genauso «im anderen, der uns im Glauben herausfordert». In den Fremden also. In Armen und Schwachen. Und sogar in den Katholiken. Er habe schon ganz viel von ihnen über Christus gelernt, lächelt Kolman und tigert leichtfüssig über die Bühne. Es sind ganz grosse Schritte ins Offene für die kleine freikirchliche Bewegung, die sich immer mal wieder gerne vor der ungläubigen Welt verschanzt – mit einem wortwörtlichen Bibelverständnis als undurchdringbarem Schutzschild.

Der Gottesdienst:
  • Ort: Lukaskirche, Luzern
  • Zeit: Sonntag, 8. Januar, 10 Uhr
  • Länge: 1h40 (!)
  • Team: Pastor Marek Kolman (Predigt), Pfarrer Jonas Oesch (Moderation) ein Keyboarder, ein Trompeter und zwei Vorsängerinnen
  • Volk: ca. 300 Personen
  • Thema: 500 Jahre Reformation – ein Grund zum Feiern?

Die Bibel verlangt Gehorsam

«Seien wir ehrlich: Es gab Zeiten, da haben sich Christen mit der Bibel die Köpfe eingeschlagen», bekennt Kolman dazu. Er sagt leider nicht: Seien wir ehrlich: Noch heute dreschen wir manchmal mit Bibelzitaten auf andere ein. So viel Selbstkritik würde den Familienfrieden dann doch zu stark gefährden. Der Zusammenhalt basiert hier nun mal darauf, dass das Wort Gottes gilt. Die Bibel verlangt Gehorsam. Hier verstrickt sich Kolman in Widersprüche: Mitmenschen sind die bessere Bibelübersetzung, es gibt «keine reine Lehre» – aber diese gilt!

Ja, es bleibt so eine Sache mit der Freiheit in den Freikirchen. Für Uneingeweihte kann die proklamierte Autorität von Bibel und Gott in der Lukaskirche beengend sein. Doch wer die vorläufigen Antworten des Predigers als Suchen und Ringen lesen kann, wer mal ganz naiv eintaucht ins Beten und Singen und darin eher Sehnsucht summen hört statt überheblicher Siegesgesänge, der kann unvermittelt berührt werden. Tatsächlich erlebe ich plötzlich so einen Moment der Rührung, als nach der Predigt der Lobpreisschlager «Vater, deine Liebe …» erklingt. Aufs Mal ist da so ein dankbares «Ja und Amen». Man schwelgt, man wiegt sich in gläubiger Geborgenheit und Gemeinschaft – und erfährt darin: Beziehung und Freiheit zugleich.

Ich ertappe mich dabei, wie ich sogar kurz die Hände in die Höhe recke, ganz wie ein paar enthusiastische Gottesanbeter vor mir. Doch die Hand schnellt rasch wieder runter. Das ist dann doch zu viel. Ich bin nicht Teil dieser Familie – und das ist ganz okay so.

Kurzbewertung (1 bis 5)

Predigt:
Lang, aber nicht langweilig. Gute Fragen. Und die Antwort lautet? Richtig: Christus. Teilweise kreativ, dann aber auch ziemlich plakativ umschrieben.
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Persönlichkeit (Prediger Marek Kolman und Moderator Jonas Oesch):
Keine brillanten Rhetoriker, aber authentische und unterhaltsame Erzähler. Oeschs spontane Gebete beschwören etwas exzessiv Gottes «Läbendigkait!».
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Musik:
Sentimentaler Worship-Pop. Starke Trompete. Die Gemeinde singt lautstark. Warum gibt es dieses einfache, eingängige Liedgut eigentlich nicht mehrstimmig?
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Feierlichkeit:
Energiegeladene Show statt andächtige Einkehr, Videoclip statt Abendmahl, Band statt Ministranten. Kann man machen.
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Kirchenraum:
Die Kirche ist so gut gefüllt, dass der Raum kaum auffällt (was vielleicht gar nicht schlecht ist). Nur etwas: Es ist schön hell.
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Integrationsfaktor:
Auf den ersten Blick wirkt das Ganze wie eine geschlossene Gesellschaft. Dann kommt die Vorstellungsrunde und zuletzt die Einladung zum Mittagessen («Klare Gemüsebrühe mit Teigwaren. Aber Hauptsache Gemeinschaft.»)
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Gesamterlebnis:
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1 Kommentar
  • Profilfoto von Regula Aeppli
    Regula Aeppli, 16.01.2017, 16:05 Uhr

    Rege mich grad etwas über diese Berichterstattung auf. Aber ich glaube, diesem Autor kann man es bezüglich Gottesdienst nicht recht machen. Was in Landeskirchen zu unterkühlt ist, ist ihm im freikirchl. geprägten Gottesdienst zu emotional. «Die Hölle los» – nur schon diese Bemerkung. Sie musste wohl noch irgendwie untergebracht werden, weil sie passend erschien. Das ist #Freikirchenbashing Ich kenne übrigens Marek Kolmann persönlich seit Jahrzehnten. Seine Freundschaft zu einem kath. Pfarrer ist herzlich und echt.Der erwähnte Widerspruch ist keiner, denn in den Bibelkreisen, Kleingruppen wird ausgetauscht darüber, wie man die Bibel verstehen könnte und genau deshalb meinte Marek ja, dass es die «reine Lehre» nicht gäbe. Das eingängige Liedergut wird sehr wohl oft mehrstimmig gesungen.

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