Wie eine Määs-Geschichte ein härziges Ende fand

Journalistin mit kalten Füssen: Stadt Luzern hat Erbarmen

Das Gegenteil von Beamtengeschwurbel: Die Stadt hilft zentralplus mit Naturalien aus. (Bild: wia)

Eine zentralplus-Geschichte vom vergangenen Oktober holt uns ein. Für einmal nicht mit drohenden Klagen und bösen Worten, sondern mit einem Paar Socken. Die Post kam von unerwarteter Seite und brachte die Redaktion anfangs in ein journalistisch-ethisches Dilemma.

«Wieser, halt dich zurück, es darf nicht sein. Vergiss sie einfach!» Unser Besuch an der Määs diesen Oktober war ein trauriges Erlebnis.

Mit 20 Franken machten sich zwei zentralplus-Mitarbeitende auf den Weg zum Inseli. Wie zu guten alten Zeiten, als man sich mit nur einem bescheidenen Chilbibatzen bewaffnet ins Getümmel stürzte (zentralplus berichtete). Und wenn es blöd lief, eine Viertelstunde später blank war, dafür den Bauch voll hatte mit Zuckerwatte, gebrannten Mandeln, Esspapier und Frühlingsrollen. Immerhin verdrängte die darauffolgende Übelkeit die Trauer über den schnellen Verlust des Batzens.

Item. So standen wir im Oktober also vor diesem Stand mit den kanadischen Wollsocken für 10 Franken. Mehrmals kehrten wir zurück. Ob es nicht doch reicht? Was, wenn wir aufs Putschiauto verzichten? Oder auf die Geisterbahn? Aufs Mittagessen? Warme Füsse oder leerer Bauch?

Ein Mittagessen für die Katz

Letztlich siegten die akuten Überlebensinstinkte, statt Socken kauften wir ein Zmittag, ein Biberli für Herrn Bertschi, zwei Samosas für Frau Wieser. Das Sättigungsgefühl war nach einer halben Stunde vorbei. Zum erneuten Hunger kamen kalte Füsse.

Die kalten Füsse blieben. Tage, Wochen, Monate. Wie an eine innige Sommerliebe dachten wir zurück an besagten Oktobertag an der Luzerner Määs. An unsere erste Begegnung mit der flauschigen kanadischen Wolle, an das Gefühl von Seelenverwandtschaft, als unser Blick über das wunderschöne Muster schweifte. Von einer Anmut, wie man sie bei hiesigen eher grobgestrickten Modellen nur mit viel Glück findet. «Stark gegen Wind & Wetter», ein Versprechen, das unwillkürlich Vertrauen schaffte. – Wir fühlten uns verstanden. Geborgen.

Der Herzschmerz über die verpasste Chance war uns ein ständiger Begleiter. Bei Spaziergängen im Schnee war das Leid besonders gross. Kuhnagel und Tränen in Eintracht, immer wieder geplagt von Erinnerungen, «wunderbar wohlig-wärmend», eine überraschende, verspielte Alliteration auf der Etikette … «besonders stabil und haltbar durch die Beimengung von hochwertigem Polyamid.»

«Handwäsche empfohlen» – doch kein Imperativ!

Sie nannten die Dinge beim Namen, schämten sich nicht für ihre Multikulturalität. «Handwäsche empfohlen», aber keine Pflicht. Auch mit einer üblichen 30-Grad-Wäsche sind die Socken zufrieden.  Himmel, wird es je wieder wie früher?

Nein. Es wird sogar besser. Denn als wir bereits alle Hoffnung begraben hatten, je wieder warme Füsse zu bekommen, und aus schierer Verzweiflung auf Zalando schon fast goldene Moonboots gekauft hatten, erhielten wir Post.

Montagmorgen, ein unförmiges Paket erreicht uns. Verheissungsvoll leicht ist es. Darin, himmelherrgottkanndaswahrsein, das gelobte Sockenpaar, lieblicher noch als in unserer Erinnerung.  Darin ein Brief mit dem Betreff «Warme Füsse für bedürftige Redaktorinnen». Der Absender? Niemand Geringeres als die Stadt Luzern.

Man habe derart Spass gehabt am Artikel vom 17. Oktober, dass «die Stadt weder Aufwand noch Kosten scheute, Ihnen für den kommenden harten Winter warme Füsse zu sichern!». Dies untermalt mit einem – entsprechend der ernsten Lage – etwas unangebrachten Smiley.

Socken als Bestechungsmittel?

Seither sind die Tränen getrocknet, die Füsse erfreut, die Stimmung in der Redaktion hervorragend. Die Socken schon beinah angezogen, befällt uns ein schrecklicher Gedanke. Wie war das nochmals mit den journalistischen Grundsätzen? Denn gemäss Leitfaden ist es Medienschaffenden verboten, sich durch Geschenke befangen und bestechlich zu machen.

Doch unsere Liebe gilt primär den Socken, für die Stadt Luzern haben wir aktuell nur eine sehr grosse Sympathie. Eine, die jedoch erfahrungsgemäss relativ volatil ist. Zur Sicherheit blättern wir noch kurz im Leitfaden: «Journalisten nehmen nur kleinste Aufmerksamkeiten an.» Etwa «ein Geschenklein, das man Dritten gegenüber ohne Erröten erwähnen kann», so stehts im Ratgeber «So arbeiten Journalisten fair». Blick auf die Socken. Erröten? Warum erröten? Mit grossem Stolz werden die Socken im Büro getragen und bei jeder privaten Gelegenheit erwähnt.

Gemach, liebe Sparparteien

Bleibt nur noch ein letzter Einwand. Denn wahrscheinlich ist irgendeine städtische Partei bereits wie wild am tippen. Postulat Nr. 445253/35 Titel: «Für das händs denn wider Gäld».

Auch das haben wir geklärt. Mario Lütolf, Leiter Stadtraum und Veranstaltungen bei der Stadt, hat die Socken aus der eigenen Tasche bezahlt.

Aus Gründen der sozialen Gerechtigkeit werden die Socken nun bei zentralplus im Turnus getragen. Der Mitarbeiter oder die Mitarbeiterin der Woche darf diese nun während sieben Tagen spazieren führen. (Politiker-Interviews und Stadtratsberichterstattung nicht ausgenommen.) Rückgabe in der Redaktion in gewaschenem Zustand bis Montagmorgen um 8 Uhr. Handwäsche kann, muss aber nicht sein.

Sie bleiben an den Füssen, bis sie schwarz sind. (Bild: wia)
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1 Kommentar
  • Profilfoto von Laurin Villiger
    Laurin Villiger, 06.12.2019, 09:38 Uhr

    Danke für diesen aufheiternden Artikel! Nur eines: Zuunterst steht: «Dieser Artikel hat uns über 630 Franken gekostet». Ob das wohl auch die Stadt bezahlen wird? Schliesslich hat sie ja euch nun diesen Artikel eingebrockt 😉

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