Einkommen glatt halbiert: Ein Betroffener erzählt

Jobs weg, Prämienschock: Wenn der Luzerner Sparhammer zuschlägt

Patric Gehrig vor dem Kleintheater Luzern.

 

(Bild: giw)

Die Sparmassnahmen des Kantons Luzern haben das Leben des Schauspielers Patric Gehrig auf den Kopf gestellt. Ein Grossteil seiner Projekte fallen aus und Prämienverbilligung gibt es vorerst auch keine mehr. Um sich und seine Familie über Wasser halten zu können, muss er nun Aushilfsjobs suchen oder den Gang aufs Sozialamt antreten.

Von den rund 58’000 Franken Jahresbudget bleiben Patric Gehrig, seiner Frau und dem gemeinsamen Kind gerade noch 28’000 Franken fürs nächste Jahr. Während dem Gespräch im Kleintheater sucht Gehrig immer wieder nach Worten. Als Schauspieler und Theaterproduzent ist Gehrig ganz persönlich betroffen von den kantonalen Sparmassnahmen.

Vor ihm tut sich ein finanzieller Abgrund auf: «Mein Budget für das Jahr 2018 sieht sehr düster aus.» Da bleiben nur schwierige Alternativen, sollte sich nichts an der derzeitigen Ausgangslage ändern: «Kurzfristig kann das für mich heissen, dass ich mich und meine Familie mit Aushilfsjobs über Wasser zu halten versuche und beim RAV oder dem Sozialamt vorstellig werde.»

Nebenjobs und Sozialamt

Die Gründe für die finanzielle Misere sind zweierlei: Mitte August informierte ihn seine Krankenversicherung darüber, dass er nachträglich möglicherweise auf einen Teil seiner Prämienverbilligung bis September 2017 verzichten und ab Oktober gar alle Monatsprämien voll bezahlen muss. Damit ist Gehrig einer von rund 80’000 Luzernern, die Probleme bekommen könnten, ihre Prämien selbst zu bezahlen.

Seine Krankenkasse rät ihm im Brief, wenn möglich die volle Prämienrechnung zu bezahlen. «Wenn Sie die volle Prämienrechnung oder mögliche Nachrechnungen nicht oder nicht vollständig bezahlen können, nehmen Sie bitte mit dem Sozialamt Ihrer Gemeinde oder direkt mit uns Kontakt auf.» Laut einer aktuellen Studie von «Suisse Culture Sociale» verdienen die Kulturschaffenden in der Schweiz rund 40’000 Franken im Jahr. Damit sind wohl nicht wenige von ihnen Bezüger einer Prämienverbilligung.

Auf Facebook teilt Gehrig den Brief seiner Krankenversicherung:

Drei der vier Produktionen fallen aus

Das Ausbleiben der Kantonsbeiträge an die Krankenkassenrechnung ist dabei noch das geringere Übel: Als Schauspieler und Theaterproduzent ist der 46-jährige Familienvater gleich doppelt von den Sparmassnahmen betroffen. Denn die jährlichen Kulturbeiträge an die Freie Szene werden dieses und nächstes Jahr von zwei Millionen auf 1,2 Millionen Franken zusammengestrichen (zentralplus berichtete).

Dadurch sind Gehrigs Theaterprojekte gefährdet: «Drei der vier Theaterproduktionen, an denen ich beteiligt bin im nächsten Jahr, werden vermutlich ausfallen.» Das entspricht mindestens sechs Monaten Arbeit für Gehrig. Die Kürzungen von 800’000 Franken hält auch die IG Kultur für «unverantwortbar und perspektivlos».

«Wir wollen die Kulturförderung sicher nicht sterben lassen.»

Reto Wyss, Regierungsrat

Dass man die fehlenden Gelder über private Stiftungen kompensieren könnte, bezweifelt Gehrig. Erstens müssen die Kulturschaffenden auch dort um jeden Franken kämpfen, zweitens verspürten die privaten Stiftungen wohl keine grosse Lust, die Aufgaben des Kantons zu übernehmen.

Regierungsrat reagiert auf Trauerkarten

Die Sparmassnahmen bei der Kultur führten zu heftigen politischen Reaktionen vonseiten der betroffenen Freien Szene. Unter anderem wurde mit einer Trauerkarte an Kulturdirektor Reto Wyss die Kulturförderung Anfang August symbolisch zu Grabe getragen (zentralplus berichtete). In seinem Antwortschreiben erklärt Wyss die Sparmassnahmen. Der Kulturdirektor betont, dass die angespannten Finanzen ihn zu den Kürzungen zwingen würden. Wyss versichert: «Wir wollen Kulturförderung sicher nicht sterben lassen.»

Das Antwortschreiben von Reto Wyss:

Er will noch nicht aufgeben

Gehrig war mittendrin, als Kulturschaffende am 11. August als weiteres Zeichen der Sichtbarmachung aus dem See stiegen und tropfend Nass in Richtung KKL stapften (zentralplus berichtete). Sein leerer und nach innen gekehrter Blick an diesem Tag wirkt für Aussenstehende wie ein Sinnbild für die Gemütslage des Künstlers. Gehrig widerspricht diesem Eindruck – vorerst: «Ich habe gar keine Zeit, einer derartigen Lethargie zu verfallen.»

Im Gegenteil, neben der Verbandsarbeit als Co-Präsident von ACT Zentralschweiz und den Proben am Luzerner Theater stecke er jede freie Minute in sein Engagement gegen die Sparmassnahmen und laufe deshalb nah am Limit. Doch würde er die Konsequenzen der politischen Entscheide des Regierungsrates zu Ende denken, dann bleibe vielleicht tatsächlich dieses Bild übrig.

Gehrigs Perspektiven sind nicht einfach: «Mittelfristig werde ich auf die Kulturförderung seitens Kanton verzichten müssen, was zur Folge hat, dass die im nationalen Vergleich ohnehin bescheidenen Produktionsbudgets noch kleiner werden.» Das bedeutet für ihn, dass er nur noch kleine Stücke mit ein bis zwei Personen und mit kürzeren Produktionszeiten umsetzen kann. «Ob man unter diesen Umständen national oder gar international wettbewerbsfähig bleiben kann, sei mal dahingestellt.»

Ohne öffentliche Beiträge nicht finanzierbar

Der Schauspieler und Theaterproduzent sagt, er befinde sich im Verhältnis zu vielen in der Freien Szene gar noch in einer guten Position: «Ich kann mich bislang nicht beklagen, ich wurde in den letzten Jahren vom Kanton oft unterstützt.» Er fühlt sich deshalb der Freien Szene gegenüber umso mehr verpflichtet, stellvertretend für seine Kolleginnen über seine Situation zu sprechen und an die Öffentlichkeit zu treten.

Wie unter anderem die Milchbauern, so sind auch die Kulturschaffenden von Subventionen abhängig, gibt Gehrig zu bedenken. Ein Anspruch auf öffentliche Gelder existierte per se zwar nicht, aber ohne Beiträge der öffentlichen Hand wären die meisten Produktionen nicht finanzierbar. «Würden den Theaterbesuchern alle Kosten einer Produktion aufs Ticket geschlagen, wäre ein Sitzplatz für die meisten unbezahlbar», so Gehrig.

Gehrig spielt mit im zynischen «Imagefilm» für den Kanton Luzern:

40 Prozent der Beiträge fallen weg

Zumindest während den nächsten zwei Jahren fallen mindestens 40 Prozent der Beiträge für die professionellen Freien Kulturschaffenden weg. «Die rund 1,2 Millionen Franken für die nächsten zwei Jahre teilen sich Theater, Tanz, Musik, Bildende Kunst und Literatur», so Gehrig.

Er möchte sich gar noch nicht ausmalen, was die Kürzungen für die Freien Kulturschaffenden für Folgen haben. «In letzter Konsequenz werden sich die Besten verabschieden und ihr Glück ausserhalb von Luzern suchen.» Mit diesem Gedanken spielen der Theaterschauspieler und seine Familie auch selbst: «Langfristig würden die fehlenden Beiträge für uns auf jeden Fall Abwanderung in einen anderen Kanton bedeuten, wo man der Kreativ- und Kulturwirtschaft einen anderen Stellenwert beimisst.»

Ein grosser Rückschritt sei dies: «Die Sparmassnahmen werfen die Freie Szene in Luzern zurück in die 90er-Jahre», schätzt Gehrig, der sich bereits seit 30 Jahren in den verschiedensten kulturellen Bereichen engagiert. Dabei habe sich in den letzten Jahren einiges getan und die Zusammenarbeit zwischen den grossen Kulturbetrieben sowie den Freien Kulturschaffenden hätte sich intensiviert. «Die Salle Modulable sorgte für Aufbruchstimmung.» Diese ist nun jäh verflogen.

Schauspieler Patric Gehrig war auch eine der treibenden Figuren hinter der Aktion.

Schauspieler Patric Gehrig war auch eine der treibenden Figuren hinter der Aktion.

(Bild: jwy)

Geringer Sparbeitrag mit grosser Wirkung

Als das Grossprojekt politisch begraben wurde, habe man damit rechnen müssen, dass es nun ihn und seine Kollegen trifft. Zwar seien die grossen Kulturbetriebe dieses Mal verschont geblieben von Kürzungen – doch bei der nächsten Sparrunde kann sich das schnell wieder ändern, sagt Patric Gehrig.

Mit seinem Engagement will er die Konsequenzen der aktuellen Sparpolitik aufzeigen: «Ich denke, viele Politiker verstehen nicht, was sie anrichten», sagt der Schauspieler. Indem die Kulturschaffenden mit ihren Anliegen nun stärker in die Öffentlichkeit treten, schaffe man auch eine reale Präsenz und hoffentlich eine breite Akzeptanz in der Bevölkerung.

Der Betrag von 800’000 Franken sei im Vergleich zu den Gesamteinsparungen marginal – doch die Auswirkungen seien fatal und im prozentualen Vergleich zu anderen Bereichen unverhältnismässig hoch. Tatsächlich bestünden die Produktionskosten einer Theaterproduktion zu drei Vierteln aus Personalkosten. «Wir sind eigentliche KMU – an diesen Geldern hängen auch Schicksale», gibt Gehrig zu bedenken.

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