Ein Stück Industrie verschwindet – die Nachbarn freuts

Jetzt gehts der Chamer Pavatex ans Lebendige

Die Hallen der Pavatex-Fabrik werden derzeit geräumt. (Bild: wia)

Derzeit ereignet sich in Cham Historisches. Die gewaltigen Maschinen des Dämmstoffherstellers Pavatex werden abgebaut, Gebäude abgerissen. Obwohl damit eines der letzten Industrieunternehmen Chams verschwindet, ist niemand so richtig traurig darüber. Wir haben einen letzten Blick in die ölverschmierten Hallen geworfen.

Aktuell werden im Ennetsee die grossen Geschütze aufgefahren. Dem Chamer Werk des Dämmstoffherstellers Pavatex geht es an den Kragen. Riesige Produktionsmaschinen werden demontiert, um dann nach Polen transportiert und dort wieder aufgebaut zu werden. Auch einige der Gebäude auf dem 40'000 Quadratmeter grossen Areal werden abgerissen, andere sollen ab kommendem Herbst zwischengenutzt werden.

Anfangs 2019 wurde bekannt, dass die Pavatex, die seit 2016 der französischen Soprema-Gruppe gehört, ihr Werk in Cham schliessen würde. Betroffen vom Abbau waren 50 Arbeitsplätze (zentralplus berichtete).

Mit dem Rückbau des Werks endet die Schweizer Ära der Pavatex nach knapp 90 Jahren. Bei diesem historischen Moment wollten wir dabei sein.

Urs Grünig, der ehemalige Produktionsleiter des Pavatex-Werks in Fribourg, begrüsst uns vor Ort. Auch den Standort Cham kennt er bestens. Vor 20 Jahren instruierte er die hiesigen Mitarbeiter, als der Produktionsprozess von Hart- auf Weichfaserplatten umgestellt wurde.

«Es war eine Frage der Zeit, dass auch dieses Werk geschlossen wird», erklärt der 62-Jährige. «Die Mietverträge mit der Cham Group wären sowieso bald ausgelaufen, ausserdem ist dieser Standort nicht mehr geeignet für die Produktion von Dämmstoffen.» Auch habe man hier noch nach einem alten Verfahren Platten produziert, das sehr energieintensiv und nicht mehr zeitgemäss gewesen sei.

Urs Grünig freut sich, dass hier bald 1'000 Arbeitsplätze entstehen. (Bild: wia)

Entsprechend ist Urs Grünig auch nicht sonderlich enttäuscht über die Schliessung. «Für mich ist das keine Niederlage. Wichtig ist, dass es weitergeht und auf diesem Areal bald 1'000 neue Arbeitsplätze entstehen», sagt er. Für die Vermieterin des Grundstücks, die Cham Group, hat er nur gute Worte übrig:

«Sie setzt sich stark dafür ein, dass das Areal nachhaltig im Interesse der Gemeinde und des Kantons genutzt wird, und zeigt sich im Rückbau der Pavatex sehr kooperativ. Auch die Zusammenarbeit mit den Zuger Behörden und den ansässigen Unternehmen ist unbürokratisch und konstruktiv.»

Das Maschinenöl ist noch omnipräsent

Noch strotzt hier alles von nostalgischem Industriecharme. Beim Eintritt in die riesigen Produktionshallen wähnt man sich in einer anderen Zeit. Es riecht nach Maschinenöl, gewaltige Motoren stehen auf den dicken Betonböden. «Sensationell», sagt Grünig immer wieder, wenn er den Fachkräften zusieht.

Achzig Arbeiter sind während mehrerer Wochen vor Ort, um die komplette Produktionsanlage zu demontieren und später in Osteuropa wieder in Gang zu setzen. «Die entstehenden Abfälle werden sauber getrennt und nach kantonalen Vorschriften entsorgt», so Grünig.

«Ich bin erstaunt über die Geschicklichkeit der Arbeiter», sagt Grünig. «Insbesondere, da sie unter Zeitdruck stehen. Im August wird hier der Strom abgestellt, dann muss der ganze Maschinenpark demontiert sein, auch die Hallen müssen dann leer sein.» Später folgt der Rückbau der Gebäude durch die Aregger AG.

Auch der Holzbunker, der ehemals hier eingebaut war, wird nach Osteuropa gebracht. (Bild: wia)

Die Nachbarn sind «not amused»

Mit dem trägen Warenlift gehts in den vierten Stock. Dort klafft ein riesiges rundes Loch im Boden. Der Holzbunker, der sich hier einst über mehrere Stockwerke hinab erstreckte, wurde bereits mit einem Kran aus dem Gebäude gehievt. Auch er bekommt in Osteuropa ein zweites Leben geschenkt.

Trotz aller Sorgfalt bei den Arbeiten: «Ohne Lärm gehts nicht», sagt Grünig seufzend. Entsprechend gibt es immer wieder Reklamationen aus der Nachbarschaft. «Ich kann das nachvollziehen, doch alle auf dem Gelände beteiligten Parteien geben wirklich ihr Bestes, um die Emissionen zu minimieren. Wir sind hier auf das wohlwollende Verständnis der Anwohner angewiesen.»

40'000 Quadratmeter gross ist das Gelände der Pavatex. (Bild: wia)

5,2 Tonnen tote Fische und viel Gestank

Emissionen wie Lärm, Gestank und Wasserverschmutzung sind seit jeher ständige Begleiter der Firma Pavatex und deren Umgebung. Ein Blick ins Archiv des Doku Zug zeigt dies eindrücklich.

Anfangs der 1980er-Jahre etwa war die vom Zugersee ausfliessende Lorze bei Maschwanden derart verseucht, dass ein Badeverbot verhängt wurde. Der Zugersee gehörte damals zu den schmutzigsten Seen der Schweiz. Im Juni 1982 wurden zwischen Frauenthal und Reussspitz 5,2 Tonnen tote Fische an Land gezogen, wie der «Tages-Anzeiger» damals berichtete.

Kritische Schreiben des Maschwandener Gemeinderats wurden heruntergespielt, das Zuger Gewässerschutzamt äusserte sich ebenfalls nicht zu den Vorwürfen. Erst nachdem der Kanton Zürich und der Bund zu intervenieren begonnen hatten, lenkte der Kanton Zug ein und versprach zu prüfen, ob die Restabwässer der Papierfabrik und der Pavatex in die Abwasserreinigungsanlage geleitet werden könnten.

In dieser gigantischen Maschine wurden Dämmplatten gepresst. (Bild: wia)

Die Pavatex als ungeliebte Nachbarin

Doch auch Jahre später äusserte sich die Bevölkerung kritisch gegenüber der Pavatex. Messungen im Jahr 1987 ergaben etwa, dass die Emission von organischen Lösungsmitteln aus der Lackierstrasse den Grenzwert um das Zwei- bis Dreifache überschritten. Und auch gewisse von der Pavatex verursachte Luftschadstoffe überschritten den Grenzwert «um ein Mehrfaches», wie die «Zuger Nachrichten» damals schrieben. Das Resultat: Den Chamern hat es gewaltig gestunken.

Leserbriefschreiber schrieben damals von «verlorenem Vertrauen» und davon, dass die Chamer «die Nase voll von der Pavatex-Dreckluft» hätten, ebenso von «den schönen Worten». Man wolle endlich Taten sehen.

Doch nicht nur Anwohnerinnen, auch die Politik biss sich an der Pavatex zeitweise die Zähne aus. Im März 1989 erliess die Zuger Baudirektion ein «vollständiges Einleitungsverbot von Abwässern in die Lorze». Denn noch immer spüle die Firma einen Teil ihres verschmutzten Wassers direkt in den Fluss, so lautete der Vorwurf. Die Pavatex wehrte sich gegen diese Aussage und verzögerte die Umsetzung des Verbots mit Beschwerden.

Bis zum Schluss blieben die Probleme

Auf Geheiss des Regierungsrats musste die Firma ihr Chamer Werk 1990 sanieren. Weil dies aber nur bedingt nützte, wurde 2016 eine weitere Sanierung verlangt.

Urs Grünig bestätigt, dass die Probleme mit dem Geruch und dem Lärm bis zum Schluss bestanden haben. «Es ist ein Spagat. Die Menschen wollen zum einen eine Industrie, die Arbeitsplätze schafft, zum andern jedoch keine Emissionen zu spüren bekommen.»

Stinken tat es in den letzten zwei Dekaden bei der Pavatex übrigens nicht nur wegen der Produktion. Von 1997 bis zur Schliessung des Werks brannte es hier unzählige Male. Fast immer ging es glimpflich aus. Einzig bei einem Grossbrand im Jahr 2009 entstand ein Sachschaden von einer halben Million Franken.

Interessant ist: Rund 15 Jahre, nachdem die Pavatex wegen ihrer Umweltsünden an den Pranger gestellt worden war, wurde sie 2008 in die «WWF Climate Group» aufgenommen. Gemäss Medienberichten kam es dazu, weil die Pavatex Produkte herstelle, welche die Umwelt schonen würden, wie es hiess.

Erste Industriegebäude sind bereits verschwunden. (Bild: wia)
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