Neuausrichtung der Kulturpolitik gefordert

Ja mit Nebengeräuschen: Stadt Luzern übt Kritik am neuen Kulturdeal

Wer spielt die erste Geige? Stadt und Kanton beurteilen kulturpolitische Fragen unterschiedlich. (Bild: Emanuel Ammon/Aura)

Die grossen Kulturhäuser in Luzern erhalten in Zukunft mehr Geld von der Stadt und weniger vom Kanton. Die Stadt kritisiert die Grundlage dieser Vereinbarung und stimmt dem Deal nur zähneknirschend zu: Auf lange Sicht brauche es eine Neuausrichtung der Luzerner Kulturpolitik.

Die Stadt Luzern zahlt künftig mehr an die grossen Kulturhäuser, der Kanton weniger. Statt 30 Prozent gehen künftig 40 Prozent zulasten der Stadt, unter dem Strich sind das jährlich drei Millionen Franken zusätzlich. Im Gegenzug übernimmt die Stadt die Federführung beim Bauprojekt fürs Luzerner Theater.

Die beiden Kulturdirektoren von Stadt und Kanton, Beat Züsli und Marcel Schwerzmann, haben den Deal letzten Herbst gemeinsam präsentiert, seitens der Stadt war die Rede von einem Kompromiss (zentralplus berichtete).

Doch hinter den Kulissen wählt der Stadtrat deutlichere Worte. In seiner Stellungnahme zur Vernehmlassung kommt klar zum Ausdruck, dass er den neuen Verteilschlüssel nur zähneknirschend akzeptiert. Die Stadt kritisiert, dass der Kanton zuletzt immer mehr Kosten auf die Stadt übertrage. Im neuen Verteilschlüssel finde «diese Abwälzungstendenz» ihren Höhepunkt.

Kritik am Gutachten der Uni Luzern

Deutliche Kritik äussert der Stadtrat namentlich an der Grundlage des neuen Verteilschlüssels: einem Gutachten von Christoph A. Schaltegger, Professor für Politische Ökonomie an der Universität Luzern. Im 65-seitigen Dokument, das inzwischen veröffentlicht wurde, legt er der Analyse das Konzept der «fiskalischen Äquivalenz» zugrunde. Vereinfacht besagt es, dass der Nutzniesser eines Angebots dieses auch finanzieren soll. Oder in anderen Worten: «Wer zahlt, befiehlt – und umgekehrt.»

«Das Gutachten blendet kulturpolitische oder auch regionalpolitische Aspekte komplett aus.»

Beat Züsli, Luzerner Stadtpräsident

Für den Luzerner Stadtrat ist das Gutachten «nicht schlüssig» und «nicht nachvollziehbar», wie er in seinem Schreiben an den Kanton festhält. «Das Gutachten basiert auf dem Grundgedanken der fiskalischen Äquivalenz und blendet kulturpolitische oder auch regionalpolitische Aspekte komplett aus», sagt der Luzerner Stadtpräsident und Bildungsdirektor Beat Züsli. «In einleitenden Kapiteln wird gar in Frage gestellt, ob Kulturfinanzierung eine staatliche Aufgabe sei oder nicht.» Das sei wenig kompatibel mit der Tradition in der Schweiz.

Die Stadt kritisiert zudem die Berechnungen für auswärtige Gäste. Besucht eine Zürcherin das Theater oder ein Aargauer das Kunstmuseum, werden diese Kosten laut Gutachten vollumfänglich der Stadt Luzern angelastet. Beat Züsli verweist auf die Modelle anderer Kantone im Kulturbereich, wo «eine Art Grunderkenntnis» gelte, dass der Kanton zumindest teilweise für die Kosten der auswärtigen Besucher aufkommt. Für die Stadt ist klar: «Das Gutachten widerspricht in einigen Teilen den gängigen Grundlagen der geltenden Kulturförderpraxis und -politik in unserem Land.»

Kanton verweist auf gemeinsame Beschlüsse

Seitens des Kantons kommentiert man diese Kritikpunkte inhaltlich nicht. «Sowohl der Auftrag für das Gutachten an Prof. Schaltegger wie auch die aus dem Gutachten gezogenen Schlüsse für das weitere Vorgehen waren gemeinsame Beschlüsse von Stadt und Kanton im Zweckverband grosse Kulturbetriebe», sagt Bildungs- und Kulturdirektor Marcel Schwerzmann auf Anfrage.

«Wir können hier kein ‹Abwälzen› erkennen.»

Marcel Schwerzmann, Kulturdirektor Kanton

Der neue Verteilschlüssel sei zudem gut begründet. «Wir können hier kein ‹Abwälzen› erkennen.» Was die Zentrumslasten betrifft, habe der Kanton mit dem Zweckverband und der damit verbundenen Beteiligung an den Kulturhäusern die Stadt Luzern «deutlich» entlastet.

Stadt verlangt neue kulturpolitische Planken

Angesichts der Kritik stellt sich die Frage, wieso die Stadt dem Deal trotzdem zugestimmt hat. «Die Stadt wollte die Situation, insbesondere in der Weiterentwicklung des Luzerner Theaters, deblockieren und dafür sorgen, dass es weitergehen kann», begründet Beat Züsli. Teil der Vereinbarung ist nämlich, dass die Stadt beim Um- oder Neubau des Theaters den Lead übernimmt, was das Projekt beschleunigen dürfte.

Regierungsrat Marcel Schwerzmann (links) und Luzerns Stadtpräsident Beat Züsli vor dem Luzerner Theater. (Bild: Franca Pedrazzetti / Stadt Luzern)

«Wir betrachten den neuen Schlüssel als Zwischenschritt», sagt Züsli daher. Mittel- und längerfristig ist laut der Stadt jedoch eine Neuausrichtung der Kulturpolitik im Kanton Luzern unerlässlich. «Das, was heute gilt, wurde über viele Jahre immer weiterentwickelt – in den letzten Jahren vor allem vor dem Hintergrund eines grossen Spardruckes», sagt der Luzerner Stapi. «Nun müsste man sich wieder gemeinsam über Ziele, Methoden, Nutzen und dann auch Kostentragung unterhalten.» Die Stadt fordert konkret einen Ansatz, der die Zentrumslasten-Problematik ernst nimmt.

Einer Diskussion um den Kurs der Luzerner Kulturpolitik, der mit dem Planungsbericht von 2014 bestimmt wurde, steht der Kanton offen gegenüber. «Es wird auch unserer Ansicht nach notwendig sein, die gegenwärtige Situation zu analysieren und zu prüfen, ob die strategische Linie immer noch stimmt», sagt Schwerzmann. «Zumal auch Covid-19 das Kulturschaffen vor neue Herausforderungen stellt, von denen wir noch nicht genau wissen, ob und wie sie langfristig die Kulturangebote verändern werden.»

Dass das Verhältnis zwischen Stadt und Kanton wegen der Differenzen im Kulturbereich angespannt ist, dementieren beide Seiten. «Nein, die Zusammenarbeit im Zweckverband ist sehr gut und dies zeigt sich auch in einer guten Zusammenarbeit in der Projektierungsgesellschaft für das neue Luzerner Theater», so Beat Züsli. Marcel Schwerzmann stimmt ihm zu: «Wir arbeiten auf allen Ebenen und in verschiedenen Gremien gut und konstruktiv zusammen.»

Das sagen die Parteien zum «Kulturdeal»

Bei den Parteien ist die neue Kulturfinanzierung in der Vernehmlassung, die Ende Juni auslief, auf tendenziell gute Resonanz gestossen. Mehrere Seiten fordern jedoch, dass die 2,8 Millionen Franken, die der Kanton zukünftig einspart, weiterhin der Kultur zugute kommt.

Die CVP beurteilt den neuen Schlüssel als «fair und ausgewogen». Auch die SVP sieht darin eine verursachergerechtere Verteilung der Kosten.

Auch die SP spricht sich – mit Vorbehalt – für die 60/40-Formel aus. In der neuen Mehrbelastung der Stadt sieht sie aber eine gewisse Gefahr, da sie finanziell unter Druck stehe und allenfalls – wenn sich die Coronakrise wirtschaftlich zuspitzt – die Kulturausgaben in Frage gestellt werden könnten. Die Grünliberalen sehen ebenfalls gute Gründe für den neuen Deal, warnen aber, dass die Zentrumslasten der Stadt im Auge behalten werden müssten.

Angriffige Grüne, unschlüssige FDP

Der neue Verteilschlüssel bedeute einen Rückzug des Kantons aus der Kulturförderung, kritisieren die Grünen. Sie teilen die Kritik der Stadt am Gutachten von Professor Schaltegger: Dessen Herangehensweise sei «fragwürdig» genauso wie das Ausblenden kulturpolitischer Aspekte und die Berechnung der Kosten auswärtiger Besucher. Gleichwohl stimmen die Grünen dem neuen Schlüssel grundsätzlich zu, da angesichts des «stark städtischen Resonanzraums des Luzerner Theaters» eine höhere Beteiligung der Stadt nachvollziehbar sei.

Noch nicht festgelegt hat sich die FDP. Die Partei argumentiert, dass die zukünftige Ausrichtung des Theaters die Finanzierung massgeblich beeinflusse. «Letztlich hängt der Verteiler davon ab, wie weit das Theater künftig primär ein Stadttheater oder aber ein kantonales Luzerner Theater ist.» Kantonsrat Gaudenz Zemp hat mittels Motion eine Vision in verschiedenen Szenarien statt nur den Fokus auf das bestehende Mehrspartenhaus mit eigenem Ensemble gefordert.

Der Regierungsrat will dem Kantonsrat voraussichtlich bis im Frühling 2021 die Botschaft zum Kulturförderungsgesetz vorlegen.

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1 Kommentar
  • Profilfoto von kurt_heller bluewin.ch
    kurt_heller bluewin.ch, 17.08.2020, 17:57 Uhr

    So kommt es raus wenn man Schaltegger und Schwerzmann zusammenführt. Und wieso der Auftrag an Schaltegger ging, ist sonnenklar. Damit will man die Kulturausgaben reduzieren und einen Ansatz forcieren, der die öffentliche Hand von Kulturausgaben entheben soll.

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