Der Luzerner Donald Locher geht in Pension

IV-Direktor: «Meine Mitarbeiter liegen nicht mit einer Kamera im Gebüsch»

Donald Locher war zehn Jahre Direktor bei der IV-Luzern. Nun geht er per Ende Juni in Rente.

(Bild: zvg)

Donald Locher leitet seit zehn Jahren die IV-Stelle des Kantons Luzern. Ende Juni geht er in Pension. Ein – stellenweise sehr persönliches – Gespräch über die Integration von Behinderten, über Gerichtsurteile, Schulden und Sozialdetektive. 

zentralplus: Herr Locher, die letzten zehn Jahre rumorte es regelrecht bei der Invalidenversicherung (IV). Ahnten Sie bei Ihrem Stellenantritt 2009, was auf Sie zukommen würde?

Donald Locher: Ich habe vorher eine Krankenkasse geleitet und dort änderten die Gesetze und damit die Rahmenbedingungen auch immer wieder. Deswegen war ich gewappnet. Aber in der Tat, es war eine anspruchsvolle Zeit. Meine Mitarbeitenden und ich sind diese Änderungen jedoch mit viel Lust und Freude angegangen.

zentralplus: Eigentlich wollten Sie bereits Ende 2018 zurücktreten, doch die Stelle konnte bis dahin nicht neu besetzt werden. Für den Chefposten bei der IV stand wohl niemand Schlange?

Locher: Doch, es sind sehr viele, qualifizierte Bewerbungen eingegangen! Nun freue ich mich sehr, dass mit Rolf Born ein Mann mit politischer Erfahrung und Fachkompetenz sowie Lebens- und Führungserfahrung gefunden wurde. Er ist gewohnt, in Verbänden mitzuwirken und ein Geschäft zu führen, das unter anderem von politischen Abläufen bestimmt wird.

«Missbrauch ist kein zentrales Problem.»

zentralplus: Auf welche Erfolge blicken Sie besonders gerne zurück?

Locher: Besonders hervorheben möchte ich die stärkere Verankerung aufseiten der Arbeitgeber. Dazu zählt unser jährlicher Arbeitgeberanlass, an dem zwei Arbeitgeber, die sich für die Integration von Behinderten besonders engagieren, mit einem IV-Award von je 10’000 Franken ausgezeichnet werden. Dieser Preis kam übrigens aufgrund einer Erbschaft zustande. Auch mit der Lancierung des Magazins «Erfolgreich eingliedern», das einmal im Jahr an alle Haushalte geht, konnten wir den Kontakt zu den Arbeitgebern und zur Bevölkerung stärken. Ein weiterer Erfolg ist sicher auch die Bildung eines kleinen Teams zur Bekämpfung des Versicherungsmissbrauchs.

zentralplus: Damit eröffnen Sie die nächste Frage: Wie viele Versicherungsinspektoren arbeiten denn jetzt bei Ihnen?

Locher: Zum Abklärungsdienst gehören zwei ehemalige Polizisten, eine Juristin und eine erfahrene kaufmännische Sachbearbeiterin. Das sind insgesamt rund 300 Stellenprozente. Meine Mitarbeitenden liegen aber nicht mit einer Kamera im Gebüsch und schauen bei Verdächtigen in die Stube. Für diese Abklärungen beauftragen wir Privatdetektive. Aber Missbrauch kommt schweizweit nur bei 2 Prozent aller Fälle vor. Das ist also kein zentrales Problem! Trotzdem ist es für die Bevölkerung wichtig zu wissen, dass genau hingeschaut wird. Auch die präventive Wirkung ist diesbezüglich nicht zu unterschätzen.

IV- Direktor Donald Locher am Arbeitgeberanlass 2019 im Hotel Schweizerhof.

IV- Direktor Donald Locher am Arbeitgeberanlass 2019 im Hotel Schweizerhof.

(Bild: TERRAPICT,CH)

zentralplus: Was würden Sie eigentlich von Steuerinspektoren anstatt Versicherungsinspektoren halten? Dies würde dem Fiskus doch sicher eine schöne Stange Geld einbringen?

Locher: Als Bürger, der ehrlich steuert, bin ich der Meinung, dass man auch die Steuerverwaltungen mit personellen Ressourcen ausrüsten sollte, damit saubere Überprüfungen gemacht und Missbräuche geahndet werden könnten. Solche Kontrollinstanzen haben eine grosse Akzeptanz bei der Bevölkerung, wie die Abstimmung im Herbst gezeigt hat.

zentralplus: Ich werde Ihnen nun etwas ganz Persönliches sagen: Ich selber habe eine Querschnittlähmung. Sind Sie erstaunt, dass ich nicht im Rollstuhl vor Ihnen sitze?

Locher: Das erkläre ich mir mit dem Grad Ihrer Lähmung. Kompliment, Sie konnten sich sehr gut rehabilitieren.

zentralplus: Wussten Sie, dass es Querschnittgelähmte gibt, die laufen können?

Locher: Nein, so direkt wusste ich das nicht.

zentralplus: Im Winter, wenn ich Hosen trage, denken die Leute, ich hätte ein Bein gebrochen. Im Sommer wenn sie meine Unterschenkelschienen sehen, bin ich eine ziemlich schwer behinderte Frau. Das sagt etwas sehr Zentrales aus, nämlich …

Locher: Ich weiss, worauf Sie hinaus wollen: Die Bevölkerung weiss im Allgemeinen sehr wenig darüber, was eine Behinderung tatsächlich beinhaltet.

«Ich freue mich auf unverplante Tage.»

zentralplus: Ja, und viele Einschränkungen sind völlig unsichtbar. Aber verlassen wir die persönliche Ebene wieder. Ihre Amtszeit fiel in die Umsetzung der Revisionen 5 und 6a. Mehrere systemrelevante Gerichtsurteile boten in dieser Zeit dem harten Sparkurs Einhalt. Frustrierend für Sie?

Locher: Diese Urteile sind keine Kritik an unserer Arbeit, deshalb war ich auch nie frustriert darüber. Bei medizinischen Fragen ist man nicht immer einer Meinung. Ich bin jedoch hundertprozentig davon überzeugt, dass ein Mensch, der Teil der Arbeitswelt sein kann, glücklicher ist als einer, der zu Hause auf die Rente wartet!

zentralplus: Seit 2016 etwa haben Menschen mit nicht klar diagnostizierbaren Schmerzen und psychosomatischen Leiden wieder ein Recht auf Rente. Damit hat das Bundesgericht ein früheres Urteil aufgehoben. Wie gingen Sie damit um, dass Menschen zu Unrecht die Rente gestrichen wurden?

Locher: Die IV Luzern ist ein Betrieb mit 180 Mitarbeitenden, darunter 25 Ärzte, 15 Juristinnen sowie Psychologen. Alle machen eine seriöse Arbeit. Dass mit verschiedenen Gerichtsurteilen Systemkorrekturen vollzogen wurden, zeigt doch, dass unser Rechtsstaat funktioniert.

zentralplus: Per Ende 2017 wurde aufgrund eines Urteils aus Strassburg die gemischte Berechnungsmethode, welche fast ausschliesslich Frauen benachteiligte, abgeschafft. Wäre es denn nicht Ihre Pflicht gewesen, die Politik auf solch gravierende Ungerechtigkeiten aufmerksam zu machen?

Locher: Die kantonalen IV-Stellen sind nur Ausführende, das liegt nicht in unserem Zuständigkeitsbereich.

zentralplus: 2017 hielt vor dem Kantonsgericht jede zweite IV-Verfügung nicht stand.

Locher: Schaut man die Statistik genau an, ist ersichtlich, dass ein grosser Teil zu weiteren medizinischen Abklärungen zurückgeschickt wurde. Im Jahr 2018 hob das Kantonsgericht von allen angefochtenen IV-Entscheiden nur 18 Prozent der Urteile vollständig auf. Es gibt den Druck der Allgemeinheit und der Politik, die sagen, dass die IV kein Defizit mehr machen darf.

zentralplus: Die IV-Schulden beliefen sich 2010 auf um die 15 Milliarden Franken. Geplant war, dass der gesamte Schuldenberg bis 2025 abgetragen sein würde. Doch die IV steckt bei der AHV bis heute mit 10 Milliarden in der Kreide. Was lief falsch?

Locher: Es ist doch ein Erfolg, dass die Schulden reduziert werden konnten und die IV wieder schwarze Zahlen schreibt.

zentralplus: Die konnten doch massgeblich reduziert werden durch die Einschüsse der Mehrwertsteuer. Das waren immerhin eine Milliarde Franken pro Jahr.

Locher: Das stimmt zum Teil, aber das war auch mit der 5. Revision so geplant und lief Ende 2017 aus. Trotzdem soll nicht negiert werden, dass eine Kehrtwende herbeigeführt werden konnte. Die Revision 6b hat der Nationalrat 2013 gekappt, nun hat man die totale Schuldensanierung auf 2031 geplant: Auch das ist ein sportliches Ziel.

zentralplus: Bald müssen Sie sich nicht mehr mit solchen Dingen herumschlagen. Ende Juni gehen Sie in Pension. Worauf freuen Sie sich?

Locher: Ich freue mich auf unverplante Tage! Vielleicht besuche ich an der Senioren-Uni eine historische Vorlesung, auch eine Sprache aufzufrischen, wäre schön. Meine Frau meinte zudem, es wäre erst einmal gut, einen Schnitt zum bisherigen Berufsalltag zu machen. Wir planen nun, für drei Monate nach Rom zu gehen.

Neben den Ämtern im Stiftungsrat vom «Roten Faden» und dem «Ronald-McDonald-Haus» bleibe ich weiterhin der Integration von Menschen mit psychischen Schwierigkeiten verbunden: Ich freue mich sehr, dass ich soeben zum Präsidenten des sozialen Unternehmens Wärchbrogg gewählt wurde!

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1 Kommentar
  • Profilfoto von estermap
    estermap, 02.06.2019, 11:35 Uhr

    «… nicht mit einer Kamera im Gebüsch und schauen bei Verdächtigen in die Stube. Für diese Abklärungen beauftragen wir Privatdetektive.» Sein Nachfolger Born aus Emmen bringt grosse Erfahrung mit.

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