Kriminalgericht Luzern: Ex-Freund beteuert Unschuld

Ist sie ein Vergewaltigungsopfer oder eine notorische Lügnerin?

Eine gewiefte Inszenierung? Das Opfer brachte eine Bodyguard mit und sprach so leise, dass sie mit dem Stuhl näher an die Richter rücken musste, damit man sie verstand. (Bild: Luzerner Gerichte)

Eine Frau wirft ihrem Ex-Freund vor, sie jahrelang brutal misshandelt und mehrfach vergewaltigt zu haben. Im Laufe der Verhandlung vor dem Kriminalgericht Luzern kommt ein ganz anderer Verdacht auf.

Vier Polizisten reichten nicht aus, damit sie sich sicher fühlte. Sie brachte auch noch eine Bodyguard mit, die sich mit verschränkten Armen in die erste Reihe setzte. Die grimmig dreinblickende Frau liess ihre Klientin keine Sekunde aus dem Augen, während sie ihre Aussage machte. Und dies obwohl ihr mutmasslicher Peiniger unter den wachen Augen von Polizisten in einem anderen Raum die Befragung mitverfolgen musste.

Die Staatsanwaltschaft wirft dem Ex-Freund der Frau vor, ein brutaler Haustyrann zu sein. Immer wieder soll er seine Freundin verprügelt haben, wenn sie nicht tat, was er wollte. Er haute ihr derart hart ins Gesicht, dass zwei Mal das Trommelfell platzte. Er schlug sie zu Boden, als sie schwanger war – woraufhin sie das Kind verlor. Mehrfach vergewaltigte er sie brutal, wenn er eine seiner Eifersuchtsattacken hatte. Davon ist die Staatsanwaltschaft überzeugt.

Immer wieder fiel sie auf «falsche Versprechungen» herein

Wer die Anklage liest, der fühlt sich unweigerlich an den Film «What's Love Got to Do with It?», erinnert, die Biografie von Tina Turner. Der Superstar litt jahrelang unter den Gewaltausbrüchen ihres Ehemanns Ike Turner.

Die erschütternde Geschichte hat sich ins kollektive Gedächtnis eingebrannt. Was die Opferzeugin an der Verhandlung vor der Kriminalgericht Luzern schildert, klingt ganz ähnlich. «Was kommt Ihnen in den Sinn, wenn Sie an die Beziehung zurückdenken?», fragt die Richterin. «Gewalt», sagt sie, mit leiser und zerbrechlicher Stimme.

Mehrfach muss die Befragung unterbrochen werden. Weil man sie nicht versteht, muss sie näher ans Mikrofon rücken. Die Richterin möchte wissen, was genau passiert ist. Die Frau antwortet einsilbig. Zögerlich.

«Ich habe alles für diesen Menschen getan. Aber ich konnte es ihm nicht recht machen, ich habe es immer wieder versucht.»

Mutmassliches Opfer

Sie spricht nie von «Streit». Sondern von «verbalen Auseinandersetzungen», die es gegeben habe. Auch das Wort «Vergewaltigung» nimmt sie nur einmal in den Mund. Sonst spricht sie von «nicht einvernehmlichem Geschlechtsverkehr». Vielleicht – so denkt man sich – hilft ihr diese Art der sprachlichen Distanzierung, über die traumatisierenden Taten zu sprechen.

Die Richterin fragt, warum sie acht Jahre lang mit einem Mann zusammen gewesen ist, der derart gewalttätig gewesen sein soll. «Ich hatte Angst», sagt sie. «Und ich habe ja auch Gefühle für ihn gehabt und habe immer gehofft, dass er sich bessert.» Das habe er ihr jedes Mal versprochen, wenn sie sich habe trennen wollen.

«Ich habe alles für diesen Menschen getan. Aber ich konnte es ihm nicht recht machen, ich habe es immer wieder versucht.» Das passt in das Bild, das man sich von einem gewalttätigen Mann macht. Die Staatsanwaltschaft jedenfalls ist von seiner Schuld überzeugt und beantragt eine Freiheitsstrafe von drei Jahren, wobei ein Jahr unbedingt zu vollziehen sei. Sie stützt sich dabei unter anderem auf Arztberichte, welche verschiedene Verletzungen dokumentieren, die sich die Frau in jener Zeit zugezogen hat.

Er gefiel sich in der Rolle des «Retters in Not»

Nach der Befragung verlässt die Opferzeugin den Saal. Es herrscht betretenes Schweigen. Die Jus-Studierenden im Publikum werfen sich vielsagende Blicke zu, als der Beschuldigte wieder hereingeführt wird.

«Sieht er aus wie ein Vergewaltiger?», scheinen sie sich zu fragen. Schwer zu sagen. Es ist ein Mann, wie er durchschnittlicher kaum sein könnte. Er trägt eine praktische Fleece-Jacke, dazu eine saubere Jeans. Vom Auftreten her könnte er Informatiker sein und in einem Luzerner Vorort leben. Er ist eher kein Städter, wie man an seinem Dialekt merkt.

Als Erstes fällt auf, dass er deutlich jünger ist als seine Ex-Freundin. Gute zehn Jahre trennen die beiden. «Ich habe sie kennengelernt, weil ihre Mutter unsere Nachbarin war», sagt er. «Sie hat mir erzählt, dass sie einen gewalttätigen Ehemann habe, der ihre Tochter missbraucht habe. Ich bin schockiert gewesen und wollte ihr helfen.»

«Ich wollte mich mehrfach trennen. Aber ich konnte ja nicht eine Frau mit zwei Kindern auf die Strasse setzen.»

Beschuldigter

Am Anfang sei es keine Liebe gewesen, diese sei erst mit der Zeit gewachsen. Er war der Retter in der Not. Zuerst zog er einige Wochen zu seinen Eltern und überliess ihr seine Wohnung, damit sie mit ihren beiden Kinder ein Dach über dem Kopf hatte. Dann besorgte er ihr einen Job, damit sie wieder auf die Füsse kommen konnte.

Um sie zu unterstützen, bezahlte er sogar die Gerichtsvorschüsse und reiste als «Bodyguard» mit nach Deutschland an die Gerichtsverhandlungen, in denen sie gegen ihren Ex-Mann aussagte.

Der Ex-Mann wurde freigesprochen

In dieser Zeit bekam er mit, wie sie ihrer Tochter am Küchentisch einbläute, was sie aussagen sollte. Erste Risse bekam das Verhältnis, als der Beschuldigte einmal den Ex-Mann am Telefon hatte. «Er sagte zu mir: ‹Du glaubst mir jetzt kein Wort, aber du wirst diese Frau noch kennenlernen.› Er gab mir Unterlagen zu Gerichtsverfahren, die bewiesen, dass sie mich angelogen hatte.»

Der Ex-Mann wurde von sämtlichen Vorwürfen freigesprochen. Ein Gericht kam zum Schluss, dass er seine Tochter nicht missbraucht hatte. Von den Gerichtsvorschüssen sah der Luzerner nie mehr etwas.

«Ich wollte mich mehrfach trennen. Aber ich konnte ja nicht eine Frau mit zwei Kindern auf die Strasse setzen», erzählt der Beschuldigte. Kommt hinzu: Seine Freundin soll ihm gesagt haben, dass sie an einer tödlich verlaufenden Krankheit leide. «Auch das stimmte nicht. Heute glaube ich, dass sie das nur gesagt hat, um mich an sich zu binden.»

«Eigentlich hätte ihm schon damals nicht nur ein Licht, sondern ein Kronleuchter aufgehen sollen», poltert der Verteidiger in seinem Plädoyer. Er habe ja aus nächster Nähe miterlebt, wie die Frau auf die Kinder einwirkte, um ihren Ex-Mann ins Gefängnis zu bringen. Und nun sei eben er selber dran. Das Ganze sei ein Rachefeldzug.

Falsche Anschuldigungen konnten widerlegt werden

Die Frau strengte weitere Verfahren gegen den Beschuldigten an. Angeblich hatte auch er ihre Kinder geschlagen. Dafür gab es allerdings keinerlei Anhaltspunkte, weshalb die Staatsanwaltschaft die Ermittlungen einstellte.

Das habe die Frau aber nicht davon abgehalten, weitere falsche Anschuldigungen zu erheben. So behauptete sie, der Beschuldigte stelle ihr nach – und wollte ein gerichtliches Kontaktverbot erwirken. «Das Gericht aber stellte fest, dass die Behauptungen falsch waren. Mein Mandant konnte beweisen, dass die Vorwürfe nicht stimmen», behauptet der Verteidiger.

«Sie war immer für sexuelle Ausschweifungen zu haben. Wer sich so verhält, kann nicht geltend machen, vergewaltigt worden zu sein.»

Verteidiger

zentralplus hatte bisher keine Möglichkeit, das entsprechende Urteil einzusehen, um diese Vorwürfe zu verifizieren. Der Verteidiger jedenfalls ist überzeugt, dass es der Frau nur darum gegangen sei, aus Rache für die Trennung ein weiteres Gerichtsverfahren «vom Zaun zu brechen». Und dies auf Kosten des Staates, denn als Sozialhilfeempfängerin müsse sie keine Gerichtskosten tragen.

Wer Sex geniesst, kann nicht vergewaltigt worden sein?

Der Verteidiger vertrat seine Sache mit grosser Überzeugungskraft, liess sich dabei aber zu fragwürdigen Aussagen hinreissen. So verlangte er vom Gericht, diverse selbstaufgenommene Sexvideos des Paares einzusehen, welche die Luzerner Polizei gesichert hatte.

Die Aufnahmen würden zeigen, dass das mutmassliche Opfer während der ganzen Beziehung ein sehr freizügiges Sexualleben mit dem Beschuldigten gepflegt habe. Auf dem Bildmaterial sei zu sehen, dass sie sich ihrem Partner mit «Lust und Freude» hingegeben habe.

«Ich weiss, dass ich das nicht gemacht habe. Deshalb mache ich mir auch keine Gedanken, dass ich verurteilt werden könnte.»

Beschuldigter

«Sie war immer für sexuelle Ausschweifungen zu haben und inszenierte diese selber vor der Kamera. Wer sich so verhält, kann nicht geltend machen, vergewaltigt worden zu sein.» Wer misshandelt werde, verkehre nicht auf diese Art und Weise mit dem Täter.

Der Verteidiger verstieg sich sogar zu der problematischen Argumentation, dass es sein Mandant in Anbetracht der sexuellen Offenheit des mutmasslichen Opfers gar nicht «nötig gehabt» hätte, sie zu irgendetwas zu zwingen. Auch die Arztberichte würden nicht beweisen, dass die Verletzungen vom Beschuldigte verursacht worden seien. Er beantragt deshalb, den Beschuldigten vollumfänglich freizusprechen.

Der Beschuldigte zeigt sich in der Verhandlung ziemlich sicher, dass er auf freiem Fuss bleiben wird: «Ich weiss, dass ich das nicht gemacht habe. Ich weiss, dass ich ihr gegenüber nicht gewalttätig geworden bin. Deshalb mache ich mir auch keine Gedanken, dass ich verurteilt werden könnte.»

Das Urteil wird den Parteien schriftlich mitgeteilt. Der Verteidiger gibt dem Gericht hierfür noch ein Zitat von Kurt Tucholsky mit auf den Weg: «Juristerei ist keine Wissenschaft, sie ist ein Handwerk. Aber richten ist eine Kunst.» Das trifft auf diesen Fall, wo sich eine Verurteilung praktisch ausschliesslich auf die Glaubwürdigkeit der Zeugen stützen muss, zweifelsfrei zu.

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