Jonas Lüscher liest seinen Roman «Kraft» in Zug

Ist Kraft stark?

Lüscher signiert nach der Lesung sein Buch.

(Bild: zVg)

Wie ein Rhetorikprofessor ins Straucheln kommen kann, wenn er der Welt erklären soll, warum die Welt, so wie sie ist, gut ist. Davon erzählt Jonas Lüscher in seinem Roman «Kraft»: witzig, frisch und intelligent.

Richard Kraft, Professor aus Tübingen in den Fünfzigerjahren, befindet sich in menschlicher und sozialer Hinsicht in einer desolaten Situation: bereits zum zweiten Mal unglücklich verheiratet, mit beiden Frauen je zwei Kinder, deswegen finanziell arg gebeutelt und scheinbar ohne Aussicht auf Erlösung. Das ist die Ausgangslage im eben erschienen Roman «Kraft» von Jonas Lüscher.

Am Samstag las der Autor vor einem literaturaffinen Publikum in der Bibliothek in Zug zwei Kapitel aus dem Leben seines tragischen Helden vor. Vier Jahre habe er an seinem Romanerstling gearbeitet, erklärte er nachher im Gespräch mit dem Präsidenten der Literarischen Gesellschaft Thomas Heimgartner, der die Lesung organisiert hatte.

Der Reichtum lockt

Bei Rhetorikprofessor Kraft zeigte sich aber plötzlich ein Lichtstreifen am Horizont: Die Teilnahme an einer wissenschaftlichen Preisfrage verspricht Befreiung aus den beengenden Familienverhältnissen: «Warum ist die Welt, so wie sie ist, gut und warum können wir sie trotzdem verbessern?» Um die Million Dollar Preisgeld einzufahren, muss er einen brillanten Beitrag zu dieser Frage liefern und damit einen finanzstarken Internet-Mogul aus dem Silikon Valley überzeugen.

Lüscher im Gespräch mit dem Präsidenten der LiterarischenGesellschaft, Thomas Heimgartner.

Lüscher im Gespräch mit dem Präsidenten der Literarischen
Gesellschaft, Thomas Heimgartner.

(Bild: zVg)

«Ich werde mir damit meine Freiheit erkaufen. Ich werde Heike verlassen, das wird ihr nicht das Herz brechen, und ich werde sie zuscheissen mit meinem Geld, alle drei, Heike und die Mädchen.» So sagt es Kraft seinem alten Weggefährten Istvan, der ihm in San Francisco für zwei Wochen Unterkunft bietet, während er an der Stanford University über seiner Aufgabe brüten will.

Rückblenden zeigen das Leben des Antihelden

Natürlich kommt es anders. Der Fachmann für die wirkungsvolle, wohlgeformte Rede ist ausserstande, sich zu konzentrieren. Zu sehr kratzt die Frage an seiner Lebenswirklichkeit, die eben alles andere als gut ist. Er wird von der totalen Schreibblockade übermannt und Kraft wird im Verlauf des Geschehens immer kraftloser. Richtig stark war Kraft sowieso nie. Für seine erste Frau Ruth gar war er vor allem eins: ein Schwafler. So musste diese sich am Ende ihrer Beziehung mit Kraft eingestehen: «Dass sie sich Schwaflern hingab, kam also öfters vor, aber dass die Schwafler, so wie Kraft, sogar in der Hingabe schwafelten, war dann doch eher selten […].»

In zahlreichen Rückblenden dröselt Lüscher das Leben seines Antihelden auf und es sind neben seinem Freund Istvan die Beziehungen zu drei Frauen, an denen er Krafts grösstes Problem, die soziale Inkompetenz, hervortreten lässt. Auch die omnipräsente Erzählerstimme, die den Leser durchwegs begleitet und mehr über unseren Helden weiss als dieser über sich selbst, lassen Krafts Defizite klar hervortreten.  

Kritik am Kapitalismus

Der Roman spielt in der Jetztzeit. Durch die zahlreichen Rückblenden in Krafts Jugend wird die Leserin jedoch über weite Strecken in das Deutschland der 80er-Jahre zurückversetzt. Es ist dies auch die Regierungszeit von Margaret Thatcher und Ronald Reagan, mit der die westliche Welt in einen ungebrochenen Marktliberalismus überführt wurde.

Jonas Lüscher liest aus seinem Roman «Kraft».

Jonas Lüscher liest aus seinem Roman «Kraft».

(Bild: zVg)

Vor diesem Hintergrund lässt Lüscher seinen Protagonisten zusammen mit seinem Freund Istvan, beide vehemente Befürworter des freien, deregulierten Marktes, am Kanzlersturz von Helmut Schmidt und an der anschliessenden Machtübernahme von Helmut Kohl sowie später am Mauerfall teilnehmen. Damit verpasst Lüscher seinem Roman nicht nur eine politische Färbung, es ist auch eine vehemente Kritik am neoliberalen Kapitalismus. Durchaus als Kritik an gewissen Auswüchsen intellektueller Blüten könne der Roman aber auch verstanden werden, so Lüscher in der Diskussion mit dem Publikum.

Ein Held im Hamsterrad

Doch zurück zu Kraft. Anstatt messerscharfe Thesen zu formulieren, wird dieser also in schlaflosen Nächten und verstörenden Tagträumen von seiner Vergangenheit eingeholt. Einmal trifft er seine erste Freundin Johanna und auch bei diesem Treffen zeigt es sich: Jede Chance auf persönliche Entwicklung, die ihm das Leben zuspielt, lässt Kraft ungenutzt an sich vorüberziehen. Wie Lüscher im Anschluss an die Lesung erklärte, sei es genau diese Unzulänglichkeit, die ihn an der Figur Kraft interessiert habe.

Dass Lüscher seinen Protagonisten die ganzen 233 Seiten hindurch in einem Hamsterrad leer treten lässt, tut der Spannung keinen Abbruch. Ganz im Gegenteil; seine virtuose Sprache, der Witz und die scharfen Analysen ziehen in den Bann. Jonas Lüscher ist ein glänzender Erzähler und «Kraft» ein starkes Buch.

Deine Ideefür das Community-Voting

Die Redaktion sichtet die Ideen regelmässig und erstellt daraus monatliche Votings. Mehr zu unseren Regeln, wenn du dich an unseren Redaktionstisch setzt.

Deine Meinung ist gefragt
Deine E-Mailadresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert. Bitte beachte unsere Netiquette.
Zeichenanzahl: 0 / 1500.


0 Kommentare
    Apple Store IconGoogle Play Store Icon