Zuger Salesianum-Debatte unter der Lupe

Ist das alles auch wahr? Natürlich nicht!

Viel Streit ums Salesianum. Aber wie steht's um die Wahrheit? Wir machen den Faktencheck. (Bild: zentral+)

Leserbriefkrieg! Her mit den Argumenten! Aber stimmen die auch? zentral+ unterzieht die Salesianum-Debatte einem knallharten Faktencheck. Wir finden raus: Da wird gelogen, verwässert, gebrüllt und auf den Mann geschossen.

Man weiss ja, wie das ist: Mitten im schönsten Streit kommen einem die Argumente durcheinander, und da sagt man auch mal was, was man nicht so genau weiss. Das ist in den Leserbriefdebatten zum Salesianum nicht anders. Aber anders als beim Streit am Familientisch gibt’s hier eine Auflösung. Und die präsentieren wir Ihnen im folgenden zentral+-Faktencheck.

 

1. «Die Leserbriefschreiber gegen den Bebauungsplan Salesianum sind fast ausschliesslich Anwohner des Areals.»
Etienne Schumpf, FDP-Gemeinderat Zug

Knallhart auf die Person gezielt. Und nicht mal schlecht, das würde ja naheliegen. Aber: Wir haben ausgezählt und kommen auf ganz andere Zahlen. In den diesjährigen Leserbriefen zur Abstimmung haben sich 17 Personen gegen den Bebauungsplan gestellt. Davon wohnen nur neun in der unmittelbaren Umgebung des zu bebauenden Grundstücks. Das ist etwas mehr als die Hälfte. Also: Falsch. 

Die Befürworter stehen allerdings in Sachen Leserbriefe etwas weniger engagiert da: Gerade mal fünf Personen haben für den Bebauungsplan geschrieben. Und dann noch ein Verhältnis, das uns überrascht. Von den insgesamt 22 Leserbriefschreibern in der Causa Salesianum sind nur drei Frauen. Wo kommt der Gender-Gap her? Noble weibliche Zurückhaltung? Wir wissen es nicht, finden den Männerclub aber langweilig.

2. «Das gesamte Areal ist von nationaler Bedeutung und ist gemäss ISOS kein Bauland.»

Ernst Rohrer, Zug

Das ist knifflig. Denn es stimmt – aber es stimmt auch nicht. Die ISOS-Frage ist eine der Knacknüsse des Geschäfts. Eigentlich liegt das ganze Areal, das überbaut werden soll, in einer Zone, die vom ISOS, also dem Orstbildschutz des Bundes, «dem Erhaltungsziel ‹a› unterworfen ist und damit grundsätzlich nicht weiter überbaut werden dürfte». Das schreibt das Verwaltungsgericht in seinem Urteil über den ersten Bebauungsplan. Das bedeutet: Die Wiese rund ums Salesianum dürfte kein Bauland sein. Sie müsste geschützt werden. Genauso wie das Land weiter nördlich, das allerdings schon überbaut wurde. (siehe box)

Wie ist das möglich? Die Stadt Zug hat 2009 bei der Erneuerung der Zonenplanordnung, wie auch schon zuvor, festgelegt, dass diese Grundstücke als Bauland gelten sollen. Diese Festlegung widerspricht zwar dem ISOS und wäre damit nicht zulässig – allerdings hat niemand Einsprache gegen die Bau- und Zonenplanordnung erhoben. Somit ist sie nun gültig, und es gibt keine rechtliche Möglichkeit, in einem Einzelfall den lokalen Richtplan auf Übereinstimmung mit dem ISOS zu überprüfen. Das schreibt das Verwaltungsgericht in seinem Urteil.

Deshalb Ja – es ist kein Bauland. Aber Nein – es ist doch Bauland. Klingt paradox, ist aber eindeutig. Da darf gebaut werden. Die Stadt war so frei. Niemand hat’s gemerkt? Selber schuld.

3. «Der Bebauungsplan erfüllt die speziellen Vorschriften der Bauzone und setzt die Vorgaben des ISOS um.»

Alfred Müller AG

Das wiederum stimmt nicht. Denn wie gerade beschrieben fordert die ISOS-Vorschrift, dass das Gelände rund um den Gebäudekomplex nicht bebaut werden darf. Richtig wäre: Der Bebauungsplan erfüllt die ISOS-Vorschriften in Bezug aufs historische Gebäude, jedoch nicht diejenigen in Bezug auf die Wiese, die neu überbaut werden soll. Sie erfüllt stattdessen die Vorschriften der Zuger Bau- und Zonenplanung, die mit dem ISOS in Konflikt stehen. Klarer Fall: Gemogelt.

 4. «Nur mit einer baulichen Entwicklung auf dem Gelände kann dem historischen Gebäude wieder Leben eingehaucht und der zu Recht geforderte, angemessene Anteil an öffentlich zugänglicher Nutzung verwirklicht werden.»

Beat Aeberhard, ehemaliger Stadtarchitekt von Zug, Basel

Stimmt – die Alfred Müller AG dürfte auf einen Bau verzichten und somit auch auf die Umsetzung einer öffentlichen Nutzung des Gebäudes. Das dürfte aber eher unwahrscheinlich sein, da sie in das Gelände investiert hat, als sie es im Baurecht erwarb. David Hossli, der Vorsitzende der Geschäftsleitung der Alfred Müller AG, sagte gegenüber zentral+: «Dass es bei einer Ablehnung einen dritten Versuch geben wird, ist klar.» Allerdings wisse er dann nicht, was er noch ändern solle – die Kritik aus dem Verwaltungsgerichtsurteil habe man umgesetzt. Und wenn die Alfred Müller AG mit einem neuen Projekt kommt, muss auch die öffentliche Nutzung im Salesianum wieder Thema sein – so verlangt es das Gesetz.

5. «Doch ausserhalb der Wohnungen wird kein Mehrwert geschaffen. Die Bauverantwortlichen könnten es sicher besser, die Qualitäten müssten nur eingefordert werden.»

Ruedi Zai

Okay, das ist schwierig, weil Ansichtssache. Albi Nussbaumer Architekten sind überzeugt, dass sie gute Arbeit geleistet haben. Das waren sie allerdings auch schon beim ersten Mal. Wir sagen angesichts mangelnder Objektivität: Unentschieden.

6. «Zweitens ist das Salesianum für öffentlich zugängliche Nutzungen bestimmt, zudem primär für Schulen, Kultur usw. Zuerst muss also eine öffentlich zugängliche Nutzung definiert und umgesetzt werden.»

Isabelle Reinhart-Engel, CVP Zug

Müsste die öffentliche Nutzung zuerst geklärt werden? Diese Frage geben wir gerne weiter an die Juristen des Baudepartements der Stadt Zug.

Nicole Nussbaumer vom Baudepartement schreibt: «Nein. In einem Bebauungsplan ist die Nutzungsmenge (anrechenbare Geschossfläche oder Bauvolumen) sowie die Nutzungsart (Wohnen, preisgünstiges Wohnen, Arbeiten, öffentliche Nutzung oder publikumsorientierte Nutzung) festgehalten. Eine weitergehende Spezifizierung (Grösse der Wohnung, Eigentum oder Miete; Büro oder stilles Gewerbe: Produktionsfläche oder Labor etc.) wird in einem Bebauungsplan nicht gefordert bzw. nicht geregelt.» Ein Bebauungsplan lege den Städtebau fest, keine konkreten Projekte. «Dies bedingt eine Festsetzung der Grobstrukturen, gewissermassen der Spielregeln, aber keiner weitergehenden Details.» Also: Falsch. Auch wenn das völlige Fehlen einer Vision für die öffentliche Nutzung stutzig macht (zentral+ berichtete).

7. «Unsere heutige Nationalhymne entstand 1841 im Salesianum.»

Othmar Kähli, Zug

Teilweise richtig. Der Zisterzienser Alberich Zwyssig hat das Stück zwar im Karlshof im Salesianum zusammengefügt –allerdings sind die beiden Teile des Stücks nicht hier entstanden: Den Text des Schweizerpsalms schrieb der Zürcher Leonhard Widmer. Die Musik für den Schweizerpsalm hatte Zwyssig schon sechs Jahre zuvor in Wettingen für eine Festmesse geschrieben – als «Diligam te Domine», ein Teil der damaligen Liturgie. In Zug wurden diese beiden Teile zusammengefügt – in diesem Sinne «komponierte» Zwyssig den Schweizerpsalm im Salesianum. Allerdings: Das ist die Sideline am Familientisch. Darüber will nicht mal der streitlustige Opa streiten. Wir kehren zurück zum letzten handfesten Vorwurf.

 8. «Der neue Bebauungsplan ist nicht gerichtsfest.»

Heinz Gross, Zug

Hier wollen wir dem Gericht nicht vorgreifen, denn so engagiert wie die Gegner das letzte Mal zu Felde zogen, könnte man sich auch hier vor Gericht wieder treffen. Allerdings dürfte es dieses Mal für die Gegner der Vorlage schwieriger werden: Das Hauptargument des Verwaltungsgerichts zur Abschmetterung des ersten Bebauungsplans war die übertrieben grosse Ausnützung, die die Stadt der Alfred Müller AG zugestehen wollte. Im neuen Bebauungsplan ist die Ausnützung kleiner. Falsch oder richtig? Gewiss ist wohl nur eines: Wir werden’s rausfinden –  wenn die Bevölkerung Ja sagen sollte.

Die Abstimmung

Am 28. Februar stimmen die Zuger darüber ab, ob die Alfred Müller AG auf dem Areal des Salesianums acht Mehrfamilienhäuser mit 56 Wohnungen bauen darf. Es ist schon das zweite Mal, dass über einen Salesianums-Bebauungsplan abgestimmt wird – eine erste Volksabstimmung hat die Alfred Müller AG zwar gewonnen, diese wurde aber vom Verwaltungsgericht zurückgepfiffen. Der Bebauungsplan weise eine massiv überhöhte Ausnützung aus, so der Gerichtsbeschluss. Das neue Projekt hat nun eine 30 Prozent kleinere Ausnützung als das vorherige. 

Die Gegner der Vorlage argumentieren, der historische Teil des Salesianums in seiner ländlichen Umgebung werde durch die Überbauung erdrückt und abgewertet – die «Perle» müsse gerettet werden. Die Befürworter argumentieren, der Bebauungsplan sei mit der Denkmalpflege abgesprochen und konform mit dem Bundesinventar schützenswerter Ortsbilder von nationaler Bedeutung. Nur eine Überbauung könne Leben ins Quartier und damit ins alte Gebäude bringen.

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2 Kommentare
  • Profilfoto von Markus Mathis
    Markus Mathis, 21.02.2016, 16:32 Uhr

    Nach den gemachten und nicht gemachten Erfahrungen mit öffentlich zugänglichen Räumen und Gastronutzungen in den Hochhäusern Uptown und Park-Tower glaube ich keine Sekunde, dass Alfred Müller das Salesianum in einem Masse öffentlich nutzen wird, wie es dem Geist des Gesetzes entspräche. Dass man zur Zeit allenfalls an ein Restaurant denkt und dann händeringend mit der Aussicht hadert, wohl keinen Pächter zu finden, dem man die Kosten für die Renovation überwälzen könnte, lässt Schlimmstes erahnen.

    Ob Punkt 6 nun Humbug ist oder nicht: Bevor nicht eine konkrete öffentliche Nutzung des Salesianums in Aussicht steht, kann man sich eigentlich keinen Reim zum Projekt machen, respektive muss m.E. nach den oben gemachten Erfahrungen mit Nein stimmen.

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  • Profilfoto von Heinz Gross
    Heinz Gross, 19.02.2016, 23:17 Uhr

    Zu Punkt 2
    Die Ausführung ist insofern korrekt, dass der Bund sagt es ist kein Bauland, die Gemeinde sagt es ist Bauland. Aber mit dem § 53 im ersten Satz sagt die Bauordnung der Stadt Zug „ Das Areal Salesianum soll in seinem Charakter und Erscheinungsbild erhalten bleiben“. Wenn dem so ist, darf dieses jetzige Projekt sicher nicht realisiert werden. Die 8 repetitven Wohnblocks zerstören Charakter und Erscheinungsbild. Dies steht auch im Widerspruch zur Ausnutzung von 0.5 nach W2B. Es ist kaum möglich diese volle Ausnutzung zu realisieren und das ländlich geprägte Grundstück trotzdem zu bewahren, so wie es das Verwaltungsgericht in seinem Urteil formuliert hat.
    Zu Punkt 6
    Isabelle Reinhart hat mit ihren Ausführungen Recht. Die öffentlich zugängliche Nutzung ist festgeschrieben und steht im ersten Satz der Bauordnung. Damit wird umschrieben, dass dieses ganze Grundstück diesem Zweck dienen soll. Im Mittelpunkt des Bebauungsplanes müsste daher das Kernstück Salesianum stehen. Die Zukunft dieses Ensembles muss gesichert werden. Man kann doch nicht ohne einen Plan und eine festgesetzte Strategie für die Nutzung dieser historischen Gebäudegruppe das gesamte, zur Verfügung stehende Land mit Wohnungen überbauen. Wohnungen sind nie öffentlich zugänglich. Sobald einmal gewohnt wird, will man keine öffentliche Zugänglichkeit mehr. Daher muss diese Abgrenzung zum Voraus definiert sein. Dies ist eine Bauzone „mit speziellen Vorschriften“ und diese sind auch einzuhalten und Bestandteil des Bebauungsplans. Sie treffen es daher richtig, wenn sie die Ausführungen des Baudepartementes als „Humbug“ bezeichnen.
    Heinz Gross, Zug / 19.2.2016

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